Feierabend hab ich, wenn ich tot bin. Markus Väth
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»Zuwendung gegen Leistung« ist ein Erfolgs- und Lebensprinzip, das oft das ganze Leben durchzieht.
Als Ergebnis lernen Kinder aus der Gleichung »Zuwendung gegen Leistung« ein Erfolgs- und Lebensprinzip, das ihr weiteres Leben durchzieht. Im Coaching können oft Situationen aus Berufsausbildung und Karriere wie Perlen auf eine Schnur aufgereiht werden, die das einmal erlernte Muster bestätigen. So kam einmal eine Abteilungsleiterin zu mir, die sich bitterlich darüber beschwerte, dass bereits jahrelang immer wieder Kollegen an ihr vorbei befördert würden. Sie war mittlerweile völlig am Boden zerstört und zweifelte an sich und ihren Fähigkeiten. Nach einiger Zeit arbeiteten wir heraus, dass sie bei Bewertungs- und Mitarbeitergesprächen mit ihrem Chef immer wieder in die Rolle der kleinen Tochter zurückfiel, die ihrem Vater (in Gestalt ihres Chefs) Rechenschaft ablegte. In diesen Momenten war sie viel zu abhängig von seinem Lob und der damit verbundenen »Liebe«, um in den Ring zu steigen und endlich eine Beförderung zu fordern. Selbstverständlich tat der Chef auch nichts dergleichen. Sonst hätte er ja eine bienenfleißige, kompetente und nach Anerkennung dürstende Mitarbeiterin verloren, kurz: eine perfekte, belastbare, genügsame und überall einsetzbare Arbeitskraft.
Im Endeffekt erhoffte sich diese Abteilungsleiterin jahrelang die Anerkennung und Liebe, die ihr Vater ihr immer wieder versagt hatte – ein unerfüllbarer Wunsch. Doch genau diese Falle ist es, die so manchen im Burnout verbrennen lässt: die immer noch unbefriedigte Suche nach bedingungsloser Anerkennung durch die Eltern. Das, was der Betroffene nicht oder nicht ausreichend bekommen hat. Es ist diese Stimme im Kopf, die einen weitertreibt: Noch dieses Projekt, diese Aufgabe, noch dieses harte Jahr und ich werde erlöst, werde anerkannt, geliebt, ohne Wenn und Aber, löse endlich das große Ungleichgewicht in meinem Kopf auf. Finde Frieden.
Der einsame Reiter zeichnet sich durch Eigeninitiative und Selbstständigkeit aus.
Niemand brachte diese Falle bisher besser auf den Punkt als ein Klient, der mir einmal erklärte: »Herr Väth, ich versuche immer noch, meinem Vater zu beweisen, dass ich besser bin als er. Das Problem ist nur: Er ist seit zehn Jahren tot.« Und obwohl sich dieser Mann schon als Jugendlicher von seiner Familie getrennt hatte und in seinem Beruf sehr erfolgreich war, konnte er doch diese klaffende Wunde nicht schließen, die ihm sein Vater geschlagen hatte: Du musst beweisen, dass du meiner Liebe würdig bist. So ein Geschacher von den Menschen, die einem im Leben am nächsten stehen sollten, kann uns bis ins Mark erschüttern, uns verhärten. Bis wir alles hinter uns lassen und zum Lonesome Ranger werden, der sich eher aus dem Sattel schießen lässt, als Hilfe anzunehmen. Denn man muss das Leben allein meistern, sonst ist man nichts wert. Das haben Mummy und Daddy einem gründlich beigebracht.
Die positive Seite des einsamen Reiters liegt in seiner bewundernswerten Neigung zur Eigeninitiative und Selbstständigkeit. Mit ihr schießt er jedoch zunehmend übers Ziel hinaus, je ausgeprägter sein Leistungsdenken und je fordernder das Arbeitsumfeld wird. Wie der Schlüssel im Schloss sucht und findet der Burnout-Anfällige komplexe und verantwortungsvolle Tätigkeiten, die zu seinem Leistungshunger passen und an denen er sich austoben kann. Dementsprechend ist die erste Phase eines Burnouts auch mit Enthusiasmus überschrieben (siehe 2. Kapitel, Eschers Treppe): die berühmte Win-win-Situation, bei der das Unternehmen und der Burnout-Anfällige sich gegenseitig in die Hände spielen. Die Firma bekommt einen Mitarbeiter, der sich von Anfang an voll reinkniet, kompetent und mit hoher Energie. Der Burnout-Anfällige wiederum kann sich beweisen, will produktiv sein und das alte Muster von Liebe gegen Leistung einmal mehr voll ausleben. Dass diese Gleichung im Arbeitsleben niemals aufgehen kann, weil diese Form von Anerkennung und Liebe nur die Eltern und engsten Verwandten stillen können, weiß er nicht. Ihm fehlen die Schutzmechanismen, der oben angesprochene Schild, den andere Menschen haben.
Burnoutler glauben, sich durch Leistung Harmonie erkaufen zu können.
Initiative, Perfektionismus und Sozialkompetenz als Bestandteile des Organisationstalents von Burnout-Betroffenen führen oft dazu, dass diese ihre Familien zusammenhalten. Nicht selten sind Burnoutler die Manager ihrer Familie, halten die Generationen zusammen, sind die Nabe im Rad des Familienalltags. Es gibt Fälle von Betroffenen, die als Vermittler die Scheidung ihrer Eltern organisieren oder als diplomatisches Bindeglied zwischen Eltern und Großeltern pendeln, weil sich diese beiden Generationen nicht mehr vertragen. So schnappt die Beziehungsfalle zu: Die Selbstaufopferung von Burnoutlern und ihr Bestreben, ihre Familie im Gleichgewicht zu halten, gründet auf der irrigen Annahme, sich durch diese Leistung eine wie auch immer geartete Harmonie erkaufen zu können. Die Nabe in der Radmitte hat stark zu sein.
Wenn diese Nabe im Zuge des Burnouts bricht, fängt das Rad gefährlich an zu eiern und ist in Gefahr, gänzlich auseinanderzufallen. Denn jeder in der Familie hat seinen Platz gefunden rund um den Lonesome Ranger, der alle Probleme in den Griff kriegt und das System Familie managt. Und der einsame Held in der Mitte wiederum hat seinen Platz liebgewonnen, hat aus dem Funktionieren heraus eine gewisse Befriedigung erhalten, die erst durch das erzwungene Hinterfragen der Lebenssituation ins Wanken kommt. So implodiert eine Familie im Burnout nach zwei Seiten: Das Lebensgebäude des Betroffenen stürzt in sich zusammen. Und die Familie muss erkennen, wie sehr sie sich in all den Jahren einen Manager herangezüchtet hat, der ihre scheinbar heile Welt in der Balance gehalten hat. Bis jetzt.
Dazu noch ein Beispielfall: In meiner Praxis saß eine erfolgreiche, attraktive Frau Mitte 30 mit Doktortitel, die eigentlich wegen einer beruflichen Beratung gekommen war. Sie hatte gleich mehrere Karriereoptionen, unter denen sie wählen konnte. Und genau das war das Problem – sie konnte sich nicht entscheiden. Wie so oft in solchen Fällen kamen wir von einem offensichtlichen Businessthema schnell auf ein Problem auf der persönlichen Ebene zu sprechen. Im Coaching wurde der Klientin klar, warum sie sich nicht entscheiden konnte: In allen bisherigen Lebensphasen und beruflichen Stationen war sie immer die »kleine, brave Tochter« gewesen, die die Leistungsansprüche ihrer Eltern erfüllt und dafür Zuneigung geerntet hatte. Das hatte sie gründlich satt, konnte aber nichts dagegen tun, weil sie bislang diesen Mechanismus nicht durchschaut hatte. Im Coaching platzte dieser Knoten. Sie führte einige durchaus sehr emotionale, aber heilende Gespräche mit ihren Eltern und hatte schließlich die Kraft und Klarheit für eine Karriereentscheidung.
Schlimm genug also, wenn Eltern auf den Trichter der unbewussten Leistungsdressur verfallen. Immer häufiger jedoch kommt es gar nicht mehr dazu, weil keine Eltern mehr da sind, die diesen Druck ausüben könnten. Der Trend zur Ein-Elternteil-Familie nimmt zu; Großfamilien sind höchstens noch ein Thema für nostalgische Retro-Soaps im Privatfernsehen. So lebten 2006 in Deutschland 2,7 Millionen alleinerziehende Mütter und Väter mit Kindern – eine Zunahme von 24 Prozent innerhalb von zehn Jahren.17 Auch die Zahl Alleinstehender – Ledige, verheiratet getrennt Lebende, Verwitwete und Geschiedene – nimmt zu: 2006 waren in Deutschland 16,5 Millionen Menschen ohne Lebenspartner und ohne Kinder alleinstehend. Das sind 16 Prozent mehr als noch 1996.18 Selbst in traditionellen Familien arbeiten immer mehr Eltern gleichzeitig (bei Ehepaaren: 19 Prozent, bei ehelichen Lebensgemeinschaften: 38 Prozent).19
Insgesamt also fragmentiert unsere Gesellschaft zusehends. Für das aufwachsende Kind bedeutet das eine mangelhafte Orientierung an Rollenbildern in der Kindheit und wenig Zeit mit den Eltern. Vom Luxus eines Großfamilienverbundes ganz zu schweigen. Wir haben in Mitteleuropa eine familienpolitische