Feierabend hab ich, wenn ich tot bin. Markus Väth
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Feierabend hab ich, wenn ich tot bin - Markus Väth страница 9
In der Regel haftet der Politikerszene etwas Krämerhaftes an. Für einen Autobahnbau hier oder ein Milliönchen da scheinen Prinzipien oder Wahlversprechen schnell über Bord geworfen. Quote ist King, auch in der Politik. Darum wird der Politiker oft zum Häschen mit den großen Ohren, das angestrengt den neuesten Beliebtheitsumfragen wie der allwöchentlichen »Treppe« des Magazins SPIEGEL lauscht. Wittert es einen Abstieg, wird es Zeit, zum nächsten Mikrofon zu hoppeln und sich wieder ins Gespräch zu bringen.
Insgesamt vermissen die Menschen in der Politik Persönlichkeiten, zu denen sie aufblicken können. Menschen, die stark sind auch gegen Widerstand. Die für etwas stehen und dadurch so glaubhaft sind, dass von ihnen Werte abgeschaut werden können: Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeit, Ehre, Respekt. Eben das Gegenteil einer als rücksichtslos erlebten Arbeitswelt, in der jeder nur für sich kämpft, Intrigen spinnt und Kollegen oder Kunden über den Tisch zieht.
Die Manager
Als dritte Bevölkerungsgruppe, die ihrem gesellschaftlichen Auftrag nicht nachkommt, sind leider auch die Manager und Führungskräfte von Unternehmen zu nennen. Vom kleinen Mittelständler bis zum Weltkonzern. Zugegeben: Führungskräfte haben heute einen schwierigen Job. Immer komplexeren Anforderungen steht eine ungenügende Vorbereitung gegenüber. Auf der Grundlage einer »Wirtschaft mit menschlichem Antlitz« sollen sie Umsatz erzielen und gleichzeitig für ihre Mitarbeiter sorgen. Eine herausfordernde Mission, der sich einige Dinge in den Weg stellen.
Manager haben heute oft nicht mehr das Gefühl, gestalten zu können.
Manager haben heute oft nicht mehr das Gefühl, gestalten zu können. Sie werden zerrieben zwischen den Ansprüchen verschiedener Stakeholder: Mitarbeiter, der eigene Chef, das Topmanagement, Kunden, Lieferanten, Presse, Politiker und der ganz normale Nachbarsbürger, der ihn auf der Straße trifft. Sie alle haben Vorstellungen vom und Ansprüche an das Wirken eines Managers. Eben, wie er seinen Job zu erledigen hat. Und diese Ansprüche sind durch die Finanzkrise nochmals gesteigert worden. »Gierige« Manager stehen nun generell unter Beobachtung und Rechtfertigungszwang. Als unrühmliche Platzhalter sind hier Josef Ackermann, seines Zeichens der Chef der Deutschen Bank, mit seinem Victory-Zeichen und Klaus Zumwinkel, der uneinsichtige Post-Chef, mit seinem Schloss in Italien ins kollektive Gedächtnis eingegangen. So sehen sich Manager heute eingekeilt zwischen schlechter Presse, immer neuen gesetzlichen Regelungen, einem größer werdenden persönlichen Haftungsrisiko und erhöhten Ansprüchen von Mitarbeitern, Kunden und Öffentlichkeit. Dass hier manche Führungskraft zumindest innerlich hinschmeißt, ist verständlich. So wird man eben nicht zur Kreativkanone, sondern nur zum Zustandsverwalter, der die eigene Lähmung damit rechtfertigt, wenigstens nichts falsch zu machen.
In einer eher untypischen Management-Literatur findet man hierzu einen interessanten »Business Case«: in der Bibel. Das Matthäus-Evangelium beschreibt das Gleichnis von den Talenten, einer damaligen Geldeinheit (Mt 25,14–30): Ein reicher Mann ging auf Reisen und gab seinem ersten Diener fünf, seinem zweiten Diener drei und dem letzten Diener ein Talent. Sie sollten das Beste aus diesen Geldbeträgen herausschlagen, während ihr Herr auf Reisen war. Die ersten beiden Diener wirtschafteten gut und verdoppelten ihre Geldsummen. Der dritte Diener jedoch vergrub das Geld aus Angst, es falsch einzusetzen und zu verlieren. Dementsprechend bestraft wird dieser Diener nach der Rückkehr des Herrn. Lieber hätte der Diener aktiv sein und etwas riskieren sollen – auch unter der Gefahr des Verlusts.
Das biblische Gleichnis von den Talenten ist typisch für viele Führungskräfte. Dabei sind sie weder dumm noch faul, sondern schlicht von immer komplexeren Führungsaufgaben überfordert. Das merken natürlich nicht zuletzt die Mitarbeiter. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise trauten 40 Prozent der Arbeitnehmer ihren Chefs kein entsprechendes Krisenmanagement zu.15 Eine Einschätzung, die sicher nicht nur unter dem Eindruck der Krise entstand und damit sozusagen vom Himmel fiel.
Profil und eigene Meinung leisten sich viele Führungskräfte nicht mehr.
Manager sollen unterschiedliche, konkurrierende Ansprüche verschiedener Gruppen befriedigen: Aufsichtsräte, Führungskräfte, Mitarbeiter, Betriebsrat, Kunden, Aktionäre, Presse. Das setzt Entscheidungen voraus, zu denen man stehen muss, die Entwicklung eines individuellen Profils. Mit Ecken und Kanten und nicht stromlinienförmig auf die Karriere ausgerichtet. Profil und eigene Meinung jedoch leisten sich viele Führungskräfte nicht mehr und ziehen sich in einen Egozentrismus zurück. Eine eigene Meinung ist aber wichtig, um die Leuchtturmfunktion auszuüben, die zumindest im oberen Management erwartet werden darf. In diesem Sinne haben Manager durchaus Vorbildfunktion, weil sie einem so wichtigen Bereich der Gesellschaft – Wirtschaft und Arbeit – vorstehen. Daraus kann und darf sie niemand entlassen.
Der Philosoph Karl Popper analysierte die Atomisierung der Moral und die Anfälligkeit der Moderne für Heilslehren verschiedenster Art auf hellsichtige Weise: »Bertrand Russell […] schreibt, dass […] wir uns intellektuell zu schnell entwickelt haben und moralisch zu langsam und, als wir die Kernphysik entdeckten, nicht zur rechten Zeit die nötigen moralischen Prinzipien verwirklichten. Mit anderen Worten: Nach Russell sind wir zu gescheit, aber moralisch sind wir zu schlecht. […] Ich glaube das genaue Gegenteil. Ich glaube, dass wir zu gut sind und zu dumm. Wir werden leicht von Theorien beeindruckt, die direkt oder indirekt an unsere Moral appellieren, und wir stehen diesen Theorien nicht ausreichend kritisch gegenüber; wir sind ihnen intellektuell nicht gewachsen und werden ihre gutwilligen […] Opfer.«16
Wendet man diesen Gedanken auf die Felder der Politik, der Wirtschaft und der Religion an, so kann man durchaus entsprechende Parallelen in unserer Gesellschaft entdecken. So zum Beispiel:
den »Glaubenskrieg« um den angeblichen oder tatsächlichen Klimawandel,
die größtenteils subjektive und oft bar jeder Sachkenntnis geführte Debatte um Sexualstraftäter oder auch
die Stigmatisierung der Raucher als Verletzer der grassierenden »Gesundheitsreligion«.
Popper redet keinem Zynismus das Wort. Er stellt fest, dass die großen moralischen Leuchtfeuer in unserer Gesellschaft erloschen sind und Tausenden von kleinen Taschenlampen Platz gemacht haben. Damit geht eine größere individuelle Entscheidungsmacht, aber auch ein größeres Frustpotenzial für den Einzelnen einher.
Bis hierher lässt sich festhalten, dass sich die alltägliche Überforderung des Einzelnen jenseits individueller Umstände aus drei großen gesellschaftlichen Strömungen speist:
1. Arbeit als übergroßer Teil des Selbstwerts. Zum einen wurde die eigene Rolle als arbeitender Mensch in der westlichen Gesellschaft zum übermächtigen Anteil des Selbstkonzepts, von dem Status, Wohlbefinden und individueller Lebenssinn abhängen. Das Ergebnis ist eine Dichotomie der Werte: Menschen mit Arbeit fühlen sich wertvoll, Menschen ohne Arbeit leiden unter ihrer vermeintlichen Wertlosigkeit und unter fehlender Anerkennung durch die Gesellschaft.
2. Erfolg als Richtschnur aller Lebensbereiche. Das Streben nach Erfolg ist als Quasireligion weitgehend akzeptiert. Das eigene Leben wird gegen Vergleichspersonen und -gruppen »gebenchmarkt«. Man verfällt in einen nie endenden Optimierungswahn seiner selbst, der Karriere, der Partnerschaft, seiner Kinder. Wie eine Welle erfasst der Zwang zum Erfolg alle Lebensbereiche: Arbeit sowieso, aber auch Gesundheit, Fitness, Erziehung, Freizeitgestaltung etc.
3. Atomisierung der Moral. Da übergeordnete