Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane. A. F. Morland
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Читать онлайн книгу Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane - A. F. Morland страница 22
„Wie wirst du den Abend nun verbringen?“
„Es gibt so vieles in der Praxis aufzuarbeiten ...“
„Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, Sven.“
„Brauchst du nicht zu haben“, hatte der Grünwalder Arzt erwidert. „Wir sehen uns eben, wenn die Japaner wieder weg sind. Sie haben wohl kaum vor, sich fix bei dir einzunisten und bei der Regierung um Asyl anzusuchen.“
„Nein, morgen fahren sie nach Österreich weiter.“
„Na also, dann verschieben wir unser Rendezvous eben auf morgen.“
„Du bist der liebste, netteste und verständnisvollste Mann, den ich kenne.“
Sven hatte gelacht. „Deshalb bist du auch so rasend in mich verliebt.“
„O ja, das bin ich, das bin ich wirklich.“
„Viel Spaß mit den Japanern. Sayonara“, hatte Sven schmunzelnd gesagt und aufgelegt. Dann hatte er sich von der Wohnung in die Praxis begeben, sich an seinen Schreibtisch gesetzt und mit den Aufräumarbeiten begonnen, die auch einmal erledigt werden mussten.
Irgendwann hatte ihn dann dieser Anruf erreicht. „Herr Doktor!“ Eine schrille Frauenstimme. „Dem Himmel sei Dank, dass ich Sie erreiche ...“
„Frau Kramreiter?“, hatte Dr. Kayser auf gut Glück gefragt.
„Ja“, hatte Herta Kramreiter aufgeregt gesagt. „Können Sie sofort kommen?“
„Was ist passiert?“
„Mein Mann, mein Albert ... Er hat auf einmal so furchtbare Schmerzen ... Er sagt, erhält das nicht aus!“
„Was hat er zu Abend gegessen?“, hatte Sven Kayser wissen wollen.
„Reibekuchen mit Apfelmus.“
„Wo hat er die Schmerzen? In der Brust?“, hatte sich der Grünwalder Arzt erkundigt.
„Nein, im Unterleib. Albert geht die Wände hoch, Herr Doktor, bitte, kommen Sie ganz schnell.“
„Bin schon unterwegs, Frau Kramreiter.“ Sven hatte seine Bereitschaftstasche geholt und das Haus verlassen.
Albert Kramreiter hatte sich im Bett stöhnend hin und her gewälzt. Das Gesicht seiner Frau war wächsern gewesen. „Sehen Sie nur, wie schlecht es ihm geht, Herr Doktor“, hatte sie gejammert. „Und ich kann nichts für ihn tun, das macht mich verrückt.“
„Beruhigen Sie sich, Frau Kramreiter, nun bin ja ich hier“, hatte Sven Kayser erwidert und die Arzttasche abgestellt.
„Diese Schmerzen, diese verfluchten Schmerzen, Herr Doktor“, hatte Albert Kramreiter gehechelt und dabei die Hände gegen seinen Unterleib gepresst. „Nicht auszuhalten sind sie. Woher kommen diese furchtbaren Schmerzen? Bitte, helfen Sie mir, Herr Doktor.“
„Wo befindet sich das Zentrum des Schmerzes, Herr Kramreiter?“
„Ich ... weiß ... nicht ... Es tut alles weh, so weh ... Der ganze Unterleib ... Ein Bohren und Ziehen ... Ganz schrecklich, Herr Doktor ... Bis runter in die Hoden ... Was ist das bloß? Muss ich sterben, Herr Doktor?“
„O mein Gott!“, hatte Herta Kramreiter verzweifelt aufgeschluchzt. „Sag doch nicht so etwas Furchtbares, Albert! Der Herr Doktor wird dir ganz bestimmt helfen! Nicht wahr, Herr Doktor,
das werden Sie!“
Sven hatte den Patienten untersucht.
„Ich kann nicht stehen, nicht liegen, nicht knien“, hatte Albert Kramreiter geröchelt. „Diese grässlichen Schmerzen lassen in keiner Lage nach.“
„Scheint sich um einen Nierenstein zu handeln“, hatte Sven gesagt. „Oder um Sand im Harnleiter.“
„Muss mein Mann operiert werden?“, hatte Herta Kramreiter ängstlich gefragt.
„Wenn es Nierensand ist, lässt er sich ausschwemmen.“
„Und wenn es ein Stein ist?“
„Muss auch nicht gleich operiert werden“, hatte Sven erwidert. „Es gibt eine ganze Menge von Methoden, einen Nierenstein zu entfernen, ohne zu operieren.“
Er hatte dem Patienten eine intravenöse Spritze gegeben, und mit dem nächsten Herzschlag waren die Schmerzen wie weggeblasen gewesen.
Über das eben noch schmerzverzerrte Gesicht des Mannes hatte sich ein verblüffter Ausdruck gebreitet. „Liebe Güte, wie haben Sie das gemacht, Herr Doktor? Mir tut auf einmal nichts mehr weh. Sie sind ein Zauberer.“
Herta Kramreiter hatte unendlich erleichtert die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. „Ich ... ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Herr Doktor. Der Himmel möge es Ihnen vergelten, und bitte verzeihen Sie, dass ich Sie angerufen und Ihnen den Abend verdorben habe, aber ...“
„Schon gut, Frau Kramreiter“, hatte Sven Kayser erwidert. „Sie haben mir den Abend nicht verdorben.“ Er hatte dem Patienten empfohlen, viel zu trinken. „Wenn Sie Glück haben, geht der Stein oder der Sand – was immer es ist – von alleine weg. Auf jeden Fall aber lassen Sie sich am Montag in der Seeberg-Klinik ansehen. Sobald man Sie geröntgt hat, wird man wissen, was los ist, und, falls erforderlich, die entsprechende Therapie einleiten.“
„Danke, Herr Doktor“, hatte Herta Kramreiter selig gesagt. „Tausend Dank.“
„Wo kann ich mir die Hände waschen?“, hatte Sven gefragt.
„Ich zeig’s Ihnen.“ Frau Kramreiter hatte ihm ein sauberes Handtuch gebracht. Wenig später hatte er sich verabschiedet.
Und nun trat Sven Kayser aus dem Haus, in dem die Kramreiters wohnten, und ging zu seinem Wagen. Er hatte Durst und überlegte, ob er irgendwo ein Bier trinken gehen solle.
Da sprach ihn plötzlich jemand an: „So spät noch unterwegs, Herr Doktor? Ein Hausbesuch? Sie haben wohl nie frei, wie?“
Sven drehte sich um. „Ah, guten Abend, Herr Schmidt.“
Walter Schmidt, der Patient mit dem ausgeheilten Magengeschwür, kam näher. „’n Abend, Herr Doktor.’’
„Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sich Sven Kayser. „Was macht Ihr Magen?“
Schmidt grinste. „Der erfreut sich wieder bester Gesundheit.“
„Freut mich zu hören“, sagte Sven. ,,Wohin sind Sie unterwegs?“
Walter Schmidt zog die Mundwinkel nach unten und hob die Schultern. „Ich hab’ eigentlich kein bestimmtes Ziel. Ich zieh’ einfach so um die Häuser. Zu Hause sterben die Leute, sagt man.“ Eine Idee blitzte in den Augen des mittelgroßen, mageren Grafikers auf. „Was halten Sie davon, wenn ich Sie zu irgend etwas einlade, Herr Doktor?