Der Schuh. Gabriela Bock

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Der Schuh - Gabriela Bock

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nahm noch etwas von dem Fisch, der in einer wohlschmeckenden Soße aus Zwiebeln und Fruchtstücken schwamm.

      »Zu meinen Eltern hat Onkel Ernst-Walter völlig den Kontakt abgebrochen«, sagte ich kauend und lobte noch einmal das köstliche Essen.

      »Ich habe jetzt so ein bisschen was über diese Frau von Grosche herausbekommen«, meinte Hans und zog einen Schreibblock aus der Schublade des Esstisches. Das Thema schien ihn sehr zu beschäftigen. »Sybille von Grosche, geborene Sybille Schulze, hatte damals in Königsberg eine Vorliebe für sehr viel ältere Männer. Auf jeden Fall heiratete sie zu Beginn des Krieges den Doktorvater deines Onkels.«

      »Herrn von Grosche«, fiel ich ihm ins Wort.

      »Der Mann hieß Leiner und starb kurz darauf an Altersschwäche. Mit ihm hatte sie keine Kinder. Dann lernte sie Herrn von Grosche kennen, einen Richterkollegen von deinem Onkel. Sie heirateten. Nach dem Krieg machte Herr von Grosche Karriere in der Justiz. Auch mit ihm hatte sie keine Kinder. Sie hat eine Schwester, Irmgard heißt die und ist mit einem Herrenschneider aus Oldenburg verheiratet, dort wohnt sie auch. Sie hat mit ihrem Mann eine Tochter, die kinderlos geblieben ist. Sybilles erster Mann und Herr von Grosche waren kurioserweise auch ohne Geschwister aufgewachsen. Mit einer großen Familie konnte diese Frau nie aufwarten. Herr von Grosche starb vor acht Jahren. Sie fand ihn tot vor der Toilette. Kurz darauf entdeckte die Gute ihre Vorliebe für sehr viel ältere Männer wieder neu. Da ihr Mann ein Spieler gewesen war und ihr mehr Schulden als Bares vermacht hatte, besorgte sie sich das Geld auf anderen Wegen. Alle Männer starben, kurz nachdem sie ein Testament zu ihren Gunsten gemacht hatten, laut Totenschein eines natürlichen Todes. Weil nie Angehörige vorhanden waren, erbte sie immer die gesamte Barschaft, versteht sich.«

      »Und wo kommt dieser Neffe her?«, fragte ich. Es war ja schon unglaublich, was Hans so erzählte.

      »Das ist genau das, was ich dir eigentlich damit sagen möchte, Emilia. Der heißt wirklich Frank Holtziegel, der Name tauchte noch nirgends in Zusammenhang mit einem Verbrechen auf und er ist auch nicht vorbestraft. Jedenfalls ist er noch nie erwischt worden. Seine Frau hat mal das Finanzamt beschissen mit unterschlagenen Einnahmen aus ihrem Kosmetikinstitut, was sie auch nicht mehr besitzt. Dafür gab es aber nur eine saftige Geldstrafe. Auffallend ist doch, dass sie beide dicke Autos fahren und die Töchter auf einem teuren Internat sind. Die Herkunft des Frank Holtziegel, so wie die seiner Frau, einer geborenen Dörne, lässt nicht gerade eine große Erbschaft vermuten. Beide stammen aus sehr ärmlichen Verhältnissen und waren schon kurz nach der Heirat hoch verschuldet.« Hans schlug die dritte Seite seines Schreibblocks auf. »Ich gönne jedem Arbeitslosen, dass er gut gekleidet ist, aber hast du mal ihre Klamotten gesehen? Nur vom Feinsten. Ich frage mich einfach: Wo haben die das Geld her, um so einen auf dicke Hose zu machen? Wenn du sie fragen würdest, würden sie ›von Tantchen‹ sagen. Und so wird es auch sein. Die Frage ist doch nur, was die dafür für Tantchen machen. Und das, wo er doch nachweislich gar nicht ihr Neffe ist.«

      »Was glaubst du?«, fragte ich, total erstaunt, was Hans alles wusste.

      »Ich tippe mal so auf Finanzberater bei Erbschaften, Bodyguard, der Mann fürs Grobe«, meinte Hans.

      »Weißt du, dass Eva von Anfang an schon misstrauisch gewesen ist und unglaubliche Dinge über ihren Vater herausbekommen hat?«, fragte ich, froh darüber, endlich jemanden gefunden zu haben, den das interessierte.

      Hans wurde so weiß wie die Wand, vor der er saß.

      »Um Himmels willen, Emilia. Bitte erzähl Eva nichts von unserem Gespräch heute Abend. Wenn du die Möglichkeit hast, halte sie davon ab, ihrem Vater gegenüber in die Offensive zu gehen. Wenn der Alte anfängt, um sich zu schlagen, und das mit solchen Leuten an seiner Seite, dann wird es für Eva gefährlich. Später erzähle ich dir mehr. Emilia, ich bin gerade an der Sache dran, aber es ist nicht ganz einfach.«

      Ich kam gegen Mitternacht nach Hause. Außer den Hunden schliefen schon alle. Als ich zu Henry unter die Decke kroch, brummte der nur: »Wo kommst du denn jetzt erst her, konntest du nicht durchrufen?«

      »Du musst dir das anhören, was Hans, ein Freund meiner Eltern, über meinen Onkel und Frau von Grosche erzählt hat«, sprudelte es aus mir heraus.

      »Verschone mich bitte mit diesen dekadenten Leuten und ihren Geschichten«, brummte er, »das Leben ist kompliziert genug.«

      Ich war aufgewühlt und musste meinen Kopf irgendwie freikriegen. An Schlafen war nicht zu denken. Weil Henry nach dem Ficken immer fragte: Ich fand’s geil, und du? Und ich nicht sagen wollte: Schön... wie immer, hatte ich mir angewöhnt, eine Farbe dafür zu finden. Es gab der Sache etwas zurück, was ich sehr vermisste.

      »Zart lindgrün«, sagte ich.

      Die Tage vergingen. Der Herbst kam. Das bedeutete: Nasse Hunde, Regenüberzüge über Kinderkarren, Gummistiefel, Spaziergänge im bunten Wald, das Einfangen von Sonnenstrahlen, bevor der Winter kommt, und Tage, die wir nur drin verbrachten. Linda lief jetzt auch perfekt, und ich war den ganzen Tag damit beschäftigt, hinter den beiden her zu kommen. Von Eva erhielt ich eine Postkarte aus Teneriffa. Die Jungen spielten viel mit Freunden bei uns, und Henry träumte von einem Leben auf dem Land und fand die Vierzimmerwohnung entschieden zu klein. Obwohl er sich Mühe gab, mich so oft wie möglich zu entlasten, blieb doch die Hauptarbeit mit den Kindern und im Haushalt meist an mir hängen. Wie gern wäre ich arbeiten gegangen, raus aus dem Haus, eigenes Geld verdienen, mal was anderes sehen, aber…

      Nachmittags hatte ich mich in dem Stress noch zum Frisör geschleppt und mir rote Strähnen ins Haar färben lassen. Vorher hatte ich die Jungs im Laden abgesetzt und die Zwillinge mitgenommen. Ich wollte, dass Henry mich mal wieder ansah, einmal was Liebes zu mir sagte. Ich hatte mir ein rotes Kleid gekauft, extra passend zu den Strähnen. Auch wenn ich mich nicht hundertprozentig wohl darin fühlte, er wollte, dass ich Farbe trug. Und genau so sollte er mich sehen. Ich stellte mir seinen Blick vor, wenn…

      Er kam spät wegen einer Veranstaltung im Jugendzentrum.

      »Du bist ja schon im Nachthemd«, sagte er, und, »gibt’s was zu essen?«

      »Mach dir was«, sagte ich.

      Und er fragte: »Sag mal, was machst du eigentlich den ganzen Tag?«

      Reflexartig ging ich zur Schublade des Küchenschranks und holte mein Portemonnaie raus. Weg hier, dachte ich.

      »Siehst du mich überhaupt noch?«, fragte ich ihn, dabei hatte ich schon Tränen in den Augen.

      »Du hast die Haare kürzer, mit Rot drin. Steht dir gut«, sagte er, und ich fand seine ganze Art fürchterlich schnodderig und kühl.

      »Findest du mich eigentlich noch attraktiv?«, fragte ich.

      »Bitte verlange nicht von mir, dass ich ständig hinter dir herlaufe und dir sage, wie schön und attraktiv ich dich finde«, brüllte er mich an.

      »Aber du sagst es nie!«, brüllte ich zurück.

      »Zum letzten Mal«, sagte er, wieder etwas netter »ich finde dich attraktiv. Und jetzt nerv mich nicht mehr damit.«

      »Ist das alles?!« Ich dachte, ich muss von der Welt, so wütend war ich inzwischen.

      »Was willst du von mir?«, fragte

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