Der Schuh. Gabriela Bock

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Der Schuh - Gabriela Bock

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Badezimmertür. Ich öffnete einen Spalt und sie schlüpfte herein. Sie schnappte sich Robert und ging mit ihm untergehakt nach draußen. Später kam sie grinsend auf mich zu. Wir standen am Speisebüfett.

      »Du bist ja eine«, sagte Helga.

      »Nicht das, was du denkst«.

      »Und wenn schon.«

      So war meine Freundin, so kannte ich sie.

      »Emi, das Leben ist kurz und wer weiß, wie lange man uns noch attraktiv findet. Oder meinst du, ich schlafe mit dem Arsch an der Wand und wüsste nicht, mit wem mein Paulchen ab und zu die Nächte verbringt?«

      »Bist du da sicher?«, fragte ich und tat so, als hätte ich davon noch nichts mitbekommen. Trotzdem imponierte es mir mal wieder, wie cool Helga sein konnte.

      »Erst habe ich mir die Augen rot geheult, so wie du es manchmal machst, aber inzwischen sage ich mir, auch andere Mütter haben schöne Söhne. Mensch Emi, du warst doch früher viel weniger verklemmt als ich. Was stimmt mit Henry und dir nicht?«

      Ich schluckte. Es fiel mir schwer, darüber zu sprechen. Irgendwas drückte mir den Hals zu und ich hatte Tränen in den Augen, als ich mit erstickter Stimme sagte: »Henry und ich, wir sind uns unheimlich vertraut. Er behandelt mich wie seine Ehefrau, mehr bin ich für ihn nicht. Die Mutter der Kinder. Wir haben drei Mal in der Woche Sex, davon träumen andere nur, aber ich spiele dabei keine große Rolle. Wahrscheinlich bin ich austauschbar und alles, was für ihn mit weniger Verpflichtungen zu tun hat, bringt ihm auch mehr Spaß. Jedenfalls hat Gabi mir erzählt, sie hätte noch nie einen wilderen Liebhaber gehabt als ihn.«

      »Gabiiii?«

      Helga sah mich an, als wäre ich ein Wesen von einem anderen Stern.

      »Ja, in unserer Hochzeitsnacht. Und wahrscheinlich auch immer noch.«

      »Der nimmt wohl alles, sogar so’n Mannweib!?« Helga schüttelte sich und grinste. »Interessant, diese Allesficker, oder? Uns sind doch früher schon oft solche begegnet.«

      »Du begreifst nicht«, sagte ich, » ich habe das Gefühl, ihm völlig egal zu sein. Dabei sagt er mir immer, wie sehr die Familie mich braucht. Ich sterbe bald vor Angst.«

      »Sag ihm doch einfach, was du brauchst. Stelle Forderungen an ihn.«

      Helga kaute zufrieden und wirkte so, als hätte sie die Lösung für meine Probleme gefunden.

      »Soll ich ihm sagen, dass ich leicht masochistisch veranlagt bin? Dass er sich eine durchgeknallte Nymphomanin als Mutter seiner Kinder ausgesucht hat? Dass ich mich immer wieder extrem spüren muss, um meine Akkus aufzuladen? Das alles rückt doch in den Hintergrund, wenn ich an mein Leben denke. Soll ich ihn bitten, mir etwas vorzuspielen, was er von sich aus niemals tun würde? Verstehst du, die Kinder sind mein Ein und Alles. Ich liebe Henry. Es ist ja nicht so, dass der Sex mit ihm nicht schön wäre, im Gegenteil, aber …«

      Helga lächelte. »Ich weiß genau, wie es in dir aussieht, Emi. Du bist es einfach satt, von einem Arschloch zum nächsten zu wandern. Rate mal, warum ich glücklich bin, dass es Paul gibt?«

      Mir tat es leid, was ich gesagt hatte. »Vergiss es, ich liebe Henry mehr als alle Männer zuvor.«

      Helga ließ nicht locker. »Glaub mir, ich liebe Paul auch und er mich, und trotzdem vögelt er sich woanders die Seele aus dem Leib. Ich bin bald dreißig, aber Paulchen steht auf ältere Frauen. So mindestens um die vierzig, und er findet Hängebusen erotisch, meiner ist ihm viel zu knackig.«

      »Bist du da sicher?« Ich verstand nicht so ganz.

      »Doch«, lachte Helga, »und irgendwie muss ich auch so was wie Alter und Reife verkörpern, denn mir geht es so, dass ich immer auf jüngere, beinah noch pubertierende Männer abfahre. Und die auf mich. Aber bis jetzt nur einmal ernsthaft. Du weißt doch noch, Horst, diesen schnuckeligen Medizinstudenten, den er übrigens angeschleppt hatte, um mich abzulenken. Dreimal darfst du raten, wovon.«

      »Wenn du so auf Pubertierende abfährst, dann versuch es doch mal mit Henry«, rutschte es mir raus, und ich meinte es in dem Augenblick todernst.

      »Ach Emi«, stöhnte Helga, »wenn wir doch könnten, wie wir wollten.«

      »Henry und die Kinder sind mir das Wichtigste«, verkündete ich, »ich will nie wieder in mein altes Leben zurück.«

      Um Mitternacht liefen alle kreuz und quer und stießen mit Sekt an. Henry ging mit mir runter zu Franziska und Konstantin, die Besuch von Hans hatten.

      Alle, die an der Silvesterknallerei auf der Straße keinen Gefallen fanden, trafen sich kurz nach zwölf oben auf dem Dachboden des Hauses. Hier gab es neben anderem Gerümpel ein altes Sofa und mehrere Sessel, jetzt besetzt von Robert, Hans, Franziska, Eva und mir. Wir alle waren winterlich angezogen. Von unten drangen gedämpft Musik und Knallgeräusche nach oben.

      Eva sagte, dass sie Angst hätte und erst mal aus Berlin verschwinden würde. Sie bräuchte auch eine Pause. Nach zwei Semestern. Sie hatte beschlossen, ein Testament zu machen, weil einige Freunde von ihr auf seltsame Art und Weise ums Leben gekommen waren, und sie sich so absichern wolle. Nachdem sie uns das mitgeteilt hatte, stand Eva von ihrem Sessel auf und setzte sich auf die Lehne des Sofas direkt neben mich.

      »Wenn mir was passiert, vermache ich dir meinen Fernseher, Emi. Den aus der Berliner Wohnung. Das Ding ist alt und kaputt. Wenn du ihn zum Laufen bringen willst, musst du ihn nur hinten aufschrauben und dann genau nachsehen, hörst du, dann findest du die Lösung. Versprich mir, dass du das machst.«

       War sie nicht ganz dicht? Was sollte ich mit einem kaputten, alten Fernsehapparat anfangen?

      »Machst du es, oder nicht?«

      »Du spinnst doch. Erst der Quatsch, es könnte dir was passieren, dann das mit dem Fernseher!«

      »Na gut, dann nicht!« Eva war eingeschnappt.

      »Wenn dir so viel daran liegt. Natürlich mache ich es.«

      Die anderen guckten erstaunt. Worüber stritten die eigentlich? Um einen alten Mistfernseher?

      Eva sagte, sie würde sich im Landhaus von Frau von Grosche bedroht fühlen. Aber gut, dass sie schon mit so vielen darüber gesprochen hätte, da würde sie ihr nichts mehr antun. Hans gab Eva noch ein paar entscheidende Tipps für das Testament und Robert hörte interessiert zu. Franziska wollte konkret von Eva wissen, warum sie sich bedroht fühlen würde.

      »Es ist noch zu früh, euch etwas zu erzählen«, meinte Eva, »aber so viel kann ich euch verraten. Die Sache ist so gefährlich, dass man ohne Beweise in ein Wespennest sticht, in das man besser niemals reingestochen hätte.«

      Wir verließen den Dachboden bald wieder und schlossen uns den übrigen Feiernden an. Ich tanzte abwechselnd mit Hans und Konstantin.

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