Still ruht der See. Gisela Witte

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Still ruht der See - Gisela Witte

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könnten im See schwimmen, mit den mitgebrachten Rädern über die Dörfer fahren, in einfachen Gasthäusern essen, den Garten neu gestalten. Und vielleicht fände er Gefallen an der Natur, am Landleben. Im Haus wäre ausreichend Platz für ein Büro, ohne eine horrende Miete bezahlen zu müssen wie in Berlin. Und – dieser Gedanke schleicht sich jetzt ein – sie hätte ihn besser unter Kontrolle. Mit einem Mal überkommt sie das Verlangen, nahe bei ihm zu sein, sich an ihn zu schmiegen, zu spüren, wie er sie hält. Soll sie zu ihm gehen, ihren Stolz überwinden? Nein sie hat schon zu viele Zugeständnisse gemacht.

      Die Lampe über der Tür wirft einen matten Schein in den Innenhof, sie lauscht den Geräuschen der Nacht. Ein aufkommender Wind fährt in das Blätterwerk der Kastanie im Hof. In den Büschen, die die Backsteinmauern säumen, raschelt es. Nachttiere sind unterwegs und begeben sich auf die Jagd. Erst nach einer Weile dringt zu den Geräuschen im Hof eine gedämpfte Stimme aus dem Haus zu ihr herüber. Frank ist von seiner Joggingrunde zurückgekehrt und geht seiner Lieblingstätigkeit dem Telefonieren nach. Beim Näherkommen hört sie ihn durch die offene Terrassentür sagen:

      »Nein Sie stören nicht. Das ist ja wichtig. Komme zurück, so bald ich kann.« Danach senkt sich Stille über das Haus.

      Katrin seufzt. Mist. Da hat sie sich falsche Hoffnungen gemacht. Das hört sich nicht nach einem entspannten, gemeinsamen Urlaub an.

      Die Moskitos fallen jetzt mit aller Bosheit über sie her und sie erschlägt einige. Auch beginnt sie zu frösteln und beschließt schlafen zu gehen. In der Halle begegnet sie Frank.

      »Tut mir leid«, sagt er und legt beschwichtigend die Hand auf ihre Schulter. »Meine Sekretärin hat mich eben informiert. Wir haben Probleme mit der Bank und müssen schnell reagieren, spätestens übermorgen muss ich nach Berlin zurück.«

      »Das war nicht so geplant«, antwortet Kathrin. Sie ist so bitter enttäuscht, dass sie ihn am liebsten ohrfeigen würde. Es war schließlich seine Idee gewesen, sie zu begleiten und gemeinsam Urlaub zu machen. Brüsk dreht sie sich um und stampft die Treppe hoch, ohne sich noch einmal umzudrehen.

      In ihrem Zimmer angekommen, drückt sie auf den Lichtschalter. Das Licht leuchtet kurz auf und erlischt. Im Flur ist die Elektrizität ebenfalls unterbrochen. Schade, sie hätte gern noch die Räume im Obergeschoss begutachtet und danach etwas gelesen. Soll sie sich in der Dunkelheit die Treppe hinunter zum Sicherungskasten vorarbeiten? Durch das offene Fenster zum Hof dringt ein mattes Licht. Die Lampe über der Haustür scheint nicht vom Kurzschluss betroffen zu sein. Kathrin tastet die Wand entlang zum Fenster, lehnt sich hinaus und sieht in den sternenklaren Himmel. Kein Laut ist zu hören, nur das ferne Röhren eines Motorrads.

      Als sie sich umwenden will, nähert sich ein Auto und hält auf der anderen Straßenseite. Während der Motor weiter läuft, steigt jemand aus. Unmittelbar danach springt der Bewegungsmelder an. Die Silhouette eines Mannes zeichnet sich ab. Minutenlang bleibt er am Tor stehen, hält die Gitterstäbe fest umklammert und starrt auf das Haus.

      Kapitel 2

      Mitten in der Nacht wacht sie auf. Ein greller Schmerz durchfährt die linke Seite ihres Kopfes. Sie presst die Hand an die pochende Schläfe, stöhnt auf. Blitze zucken vor ihren Augen. Ihr Mund fühlt sich trocken an, wie nach einem tagelangen Marsch durch die Wüste. Kathrin drückt auf den Schalter der Nachttischlampe und schwingt die Beine aus dem Bett. Dabei stößt sie mit dem Fuß auf die am Boden liegende Rotweinflasche, die schwungvoll über die Dielen rollt. Verdammt. Sie hatte sich geschworen, nur noch in Gesellschaft zu trinken und dann höchstens zwei Gläser. Sie weiß doch, dass Rotwein Migräne bei ihr auslöst. Mit zwanzig war das in Ordnung gewesen, mehr zu trinken. Aber jetzt konnte sie den Kater nicht mehr so leicht abschütteln. Jetzt muss sie für ihre Unvernunft büßen. Ihre Handtasche mit den Tabletten liegt auf dem Stuhl. Sie erhebt sich schwankend, ihr wird schwindlig und sie hält sich am Bettpfosten fest. Jede Bewegung kostet Mühe und steigert das Pochen in ihren Schläfen. Sie wühlt in ihrer Handtasche, findet die Packung. Dann greift sie nach der Mineralwasserflasche auf der Kommode und spült drei Tabletten hinunter.

      Aus ihren Erfahrungen mit Migräneanfällen weiß sie, dass sie das Tageslicht unerträglich blenden wird. Als sie sich aus dem Fenster lehnt, um die Fensterläden zu schließen, nimmt sie eine Bewegung in der Hecke am Zaun wahr. Sie meint ein Rascheln zu hören, sieht genauer hin. Aber nichts bewegt sich, sie muss sich getäuscht haben.

      Das Dröhnen in ihrem Kopf verstärkt sich. Wenn der Schmerz doch endlich aufhören würde! Sie will ihn wegschlafen und rollt sich auf ihr Bett.

      »Schläfst du noch?«

      Kathrin schlägt die Augen auf, Frank beugt sich über sie.

      »Die Leute von der Reinigungsfirma können jeden Moment kommen.«

      Sie hält sich die Ohren zu. »Schrei bitte nicht so, ich hab Migräne.« Kathrin ist froh, dass sie noch in der Nacht daran gedacht hat, die Rotweinflasche zu verstecken. Frank würde sonst einen längeren Vortrag über ihre Unbelehrbarkeit, ihre Unvernunft halten. Nachdem sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben, sieht sie seinen prüfenden Blick.

      »Kannst du dich um die Leute kümmern? Mir ist so schlecht. Ich bleib noch liegen. Und bitte bring mir Wasser.«

      Frank verlässt geräuschlos den Raum, schließt behutsam die Tür hinter sich und sie schläft sofort ein.

      Später weckt sie das Geräusch eines Rasenmähers auf. Sie klettert aus dem Bett, öffnet die Fensterläden und sieht einen Mann, der den Rasenmäher vor sich herschiebt. Der schaut plötzlich zu ihr hoch. Sein Blick bleibt an ihr haften. Er starrt sie so hasserfüllt an, dass sie vom Fenster zurückstolpert. Wer ist das? Hat sie ihn schon mal gesehen? Und vor allem: Was hat sie ihm getan?

      Sie zieht sich in ihr Bett zurück und zittert am ganzen Körper. Ach was, beruhigt sie sich. Ich reagiere überempfindlich wegen der Migräne. Das ungute Gefühl will aber nicht von ihr weichen. Sie wird so lange im Bett bleiben, bis die Reinigungskräfte gegangen sind.

      Da klopft es. Frank bringt ihr eine Schale mit Gemüsesuppe und Tee.

      »Geht’ s besser?« fragt er. Seine Stimme klingt besorgt. »Du solltest aufstehen und an die frische Luft gehen.«

      Er setzt sich auf den Bettrand und reicht ihr die noch dampfende Schale. »Etwas essen solltest du auch. Das wird dich wieder auf die Beine bringen.«

      Kathrin nickt und löffelt lustlos in der Suppe herum.

      »Die Reinigungsleute sind gerade gegangen. Ein Mann und vier polnische Frauen. Der Mann hat im Garten gearbeitet und die Frauen haben ziemlich flott die Räume im Erdgeschoss gereinigt. Allerdings konnten sie nicht das ganze Haus an einem Tag schaffen. Sag ihnen Bescheid, wann sie wiederkommen sollen.«

      Er legt ihr eine Visitenkarte auf die Bettdecke, die sie im Moment nicht sonderlich interessiert. Frank hält kurz inne, bevor er weiterredet.

      Er hebt einen grauen verschnürten Karton vom Boden auf.

      »Ach übrigens, das hing vorne am Portal und ist an dich adressiert. Ich mach mal einen Kaffee und warte auf dich im Garten.«

      Frank erhebt sich von der Bettkante und verlässt den Raum, indem er leise die Tür hinter sich schließt.

      Kathrin betrachtet die steile Druckschrift auf dem Karton mit ihrem Namen. Keine Schriftzüge, die ihr bekannt vorkommen.

      Sie steigt aus dem Bett, holt die Nagelschere aus dem Etui und zerschneidet die Schnur. Als sie den Karton öffnet, gleitet

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