Still ruht der See. Gisela Witte

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Still ruht der See - Gisela Witte

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Morgen die Frauen abholt, sieht sie noch einmal nach Jelena. Als sie das Zimmer aufschließt, traut sie ihren Augen nicht und wankt einen Schritt rückwärts. Sämtliche persönlichen Gegenstände fehlen. Sie öffnet die Schranktür. Auch die Kleider und Pullover sind verschwunden. Dann entdeckt sie auf dem Bett einen Brief.

       Mir sehr leidtun. Aber muss Polen. Mama krank.

       Viele Grüße

       Jelena

      Das Papier ist zerknittert und der Brief in einer krakeligen Handschrift verfasst. Warum hat sie sich nicht verabschiedet? War sie zu sehr in Eile? Oder hat sie gelogen und ist nicht bei ihrer Mutter, sondern zu einem Mann gezogen? Tina seufzt tief. Wo bist du Jelena? Ihr Magen verkrampft sich vor Sorge.

      Kapitel 5

      Am Nachmittag erwartet Kathrin die Reinigungskräfte. Einer der Leitsätze von Tante Erika kommt ihr spontan in den Sinn. »Das Personal muss man wie Könige behandeln, das hat schon meine Großmutter gesagt.« Kathrin hat bisher keinerlei Erfahrungen mit Dienstpersonal, aber es leuchtet ihr ein, dass Menschen, denen Beachtung entgegengebracht wird, ansprechbarer sind. Sie backt leidenschaftlich gerne. Alles was sie darüber weiß, hat sie von der Tante gelernt. Leider hat sie in den letzten Monaten viel zu wenig Zeit zum Kochen und Backen gehabt. Es wäre ein guter Einstand, die Leute nach getaner Arbeit mit der Aprikosen-Torte, ein Rezept der Tante zu bewirten. Wie gut, dass sie alles, was sie für die Zubereitung braucht, aus Berlin mitgebracht hat.

      Sie eilt in die Küche und sucht die Zutaten für den Teig zusammen. Sie schneidet die kalte Butter in kleine Stücke, fügt Zucker, Mehl und ein Eigelb hinzu, verknetet alles rasch zu einem glatten Teig und formt eine Kugel, die sie in Folie wickelt und in den Kühlschrank legt. Jetzt müssen noch die Rosinen in Calvados mariniert werden.

      Da klingelt es an der Haustür.

      Eine schlanke Frau, die dunklen Haare zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr über der Schulter hängt, steht ihr gegenüber. Sie trägt eine große blaue Leinentasche in der Hand und mustert Kathrin freundlich.

      »Hallo, ich bin Tina Schreiner. Mein Mann war schon vor zwei Tagen mit unserem Personal da.«

      Hinter ihr erscheinen vier Frauen mit Staubsaugern und einem Dampfreiniger. Tina stellt sie vor. Kathrin gibt allen die Hand und hält die Tür weit geöffnet.

      Tina Schreiner geht an ihr vorbei. »Freut mich, sie kennenzulernen. Ich war früher häufiger hier. Meine Mutter hat vor Jahren ab und zu für ihre Tante gearbeitet.«

      »Perfekt«, ruft Kathrin aus. »Dann brauche ich Ihnen nichts zu erklären. Die Küche müssen Sie nicht reinigen. Ich backe gerade für uns Tante Erikas berühmte Aprikosen-Torte.«

      Die Gesichter der Frauen hellen sich schlagartig auf. Sie teilen sich, nach Anweisung von Tina Schreiner, die einzelnen Räume auf. Als Kathrin in die Küche zurückgeht, dringen bereits das Klappern von Eimern und Putzgeräusche aus den Räumen.

      Kathrin füllt den Teig in die Springform, belegt ihn mit den aufgeschnittenen Aprikosen und schiebt die Form in den vorgeheizten Ofen. Schon nach kurzer Zeit zieht ein köstlicher Duft durch das Haus. Warum sollen allein die Rosinen im Teig mit Calvados verwöhnt werden? Jetzt, da die Arbeit beendet ist, genehmigt sie sich ein Gläschen Calvados.

      Tina steckt den Kopf zur Tür herein.

      »Ah, das gute alte Rezept. Es riecht genau wie früher. Köstlich. Wir sind bald fertig.«

      Kathrin findet in dem Wandschrank im Flur eine rotkarierte Tischdecke, mit der sie den Küchentisch bedeckt. Allerdings passen die Teller und Tassen nicht zueinander. Sie gibt sich Mühe, dem Tisch mit Stoffservietten und einer Kerze eine festliche Note zu verleihen. Nach fünfundvierzig Minuten nimmt sie die Torte aus dem Ofen, während die Kaffeemaschine vor sich hinblubbert. Es fehlen nur noch die Schnapsgläser. Das kennt sie von früher: Hierzulande gehören ein, oder auch mehrere Gläschen Korn zum Kaffeetrinken dazu. Jetzt bleibt ihr noch Zeit, die Küche zu reinigen.

      Kurz darauf spürt sie eine Hand auf ihrem Arm und zuckt überrascht zusammen.

      »Wollen Sie mal gucken?«, fragt Tina Schreiner und strahlt sie an. Kathrin folgt ihr. Tina führt sie von einem Zimmer zum nächsten mit den Frauen im Schlepptau. Nirgendwo ist mehr ein Stäubchen zu sehen. Nach der Besichtigungstour schauen sie alle erwartungsvoll an.

      »Das haben Sie toll gemacht – und in solch einer Geschwindigkeit. Vielen Dank. Man könnte vom Boden essen. Aber das wollen wir natürlich nicht. Ich habe in der Küche gedeckt.«

      Die Frauen lachen erfreut, stoßen sich gegenseitig an und folgen ihr in die Küche. Da läutet es.

      »Das muss meine Schwägerin sein«, sagt Tina. Das Lächeln erlischt schlagartig auf ihrem Gesicht. »Sie will die Frauen zu ihrem nächsten Einsatz abholen. Hoffentlich macht sie keinen Stress wegen des Kaffeetrinkens. Und meine Tochter wollte auch kommen.«

      An der Tür steht eine leicht rundliche, stark geschminkte Frau, in den Dreißigern, mit hochgesteckten blonden Haaren, neben ihr ein etwa siebzehnjähriges, schmales Mädchen mit langen blonden Haaren.

      »Manuela Schreiner«, stellt sie sich vor. »Und das ist Chantal, meine Nichte. Sind die Frauen fertig mit Putzen?«

      »Kommen Sie doch bitte herein, ich habe alle zum Kaffeetrinken eingeladen.«

      In der Halle schaut sich Chantal nach allen Seiten um und ruft aus: »Hammer, das ist ja fast ein Palast!« Dann stürmt sie in die Küche, umarmt ihre Mutter und grüßt die polnischen Frauen.

      Eine beklemmende Stille breitet sich aus, als Manuela die Küche betritt, missbilligend in die Runde sieht und sich ohne Gruß auf den bereitgestellten Stuhl setzt. Die Temperatur im Raum scheint zu sinken.

      »Alles fertig?«, fragt sie und blickt die polnischen Frauen nacheinander prüfend an. Die nicken stumm.

      »Sie haben gute Arbeit geleistet und sich eine kleine Stärkung verdient«, sagt Kathrin bestimmt. Nein, sie will sich nicht die Laune verderben lassen. Sie reicht Manuela Schreiner ein volles Schnapsglas, das diese sofort ergreift und hinunterkippt.

      »Aber nur einen. Wir müssen schließlich noch arbeiten.«

      Die Spannung löst sich. Jetzt reden alle durcheinander. Die Frauen laden sich nach Aufforderung ein Stück nach dem anderen auf den Teller und verputzten die Torte in einer enormen Geschwindigkeit.

      »Eine Supertorte«, meint Chantal und schaufelt Sahne auf den Teller.

      »Sie müssen mir unbedingt das Rezept geben. Ich backe auch nicht schlecht.« Tina sieht Kathrin an. »Wir haben auch einen Tortenservice. Zum Beispiel für Geburtstage. Eigentlich besteht der Tortenservice nur aus mir.« Sie kichert und lässt den Blick über den Tisch wandern. »Wissen Sie, dass es hier im Haus richtig tolles Geschirr, gegeben hat? Meißen und KPM. Das haben Sie offensichtlich noch nicht gefunden.«

      »Meißen und KPM?«, hakt Manuela nach.

      »Ja, das habe ich hier selbst gesehen«, bestätigt Tina. »Meine Mutter hat es immer bewundert und mir erzählt, wie kostbar und edel es ist.«

      »Haben Sie auch Silber gefunden?«, fragt Manuela. Tina wirft ihr einen erstaunten Blick zu. »Weshalb fragst du?«

      Manuela

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