Golf von Neapel Reiseführer Michael Müller Verlag. Andreas Haller
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Auf einer Fläche von nur 4,1 km2 leben ca. 10.500 Menschen, was einer relativ großen Bevölkerungsdichte entspricht. Procida ist das geologische Bindeglied zwischen Ischia und der Küste westlich von Neapel mit dem Kap von Miseno. Außerdem ist die Insel ein integraler Teil des Regionalparks Campi Flegrei. Die meisten besuchen das Eiland im Rahmen eines Tagesausflugs und bleiben nur für wenige Stunden. Wer länger verweilt und sogar auf Procida nächtigt, lernt weitere faszinierende Facetten der Inselschönheit kennen: die Abendstimmung an der Marina di Corricella, die Strände rund um die Marina Chiaiolella und die verschwiegenen Zitronengärten im Innern der Insel. Egal, ob Stippvisite oder längerer Ferienaufenthalt − jeder Besucher landet zunächst mit der Fähre an der Marina Grande. Der an der Inselnordseite gelegene Hafen wird von einer Zeile verwitterter Häuser gesäumt, die schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf mehr gibt. Hier konzentriert sich ein gewichtiger Teil der Infrastruktur, häufig geht es laut und hektisch zu, kein Ort zum Bleiben also, weshalb die meisten Besucher umgehend den Schildern Richtung Abbazia San Michele folgen und sich auf den (zuweilen schweißtreibenden) Weg zur Terra Murata begeben. Auf halber Strecke zum Altstadthügel erweitert sich die verkehrsberuhigte Gasse zur Piazza dei Martiri mit der Statue des Risorgimento-Protagonisten Antonio Scialoja in der Mitte. Als Finanzminister gehörte er der zweiten Regierung des frisch vereinigten Königreichs Italien an; er starb 1877 hier auf der Insel. Von der Piazza zweigt die Via San Rocco in Richtung Corricella, dem alten Fischerhafen auf der anderen Inselseite, ab. Um zur historischen Keimzelle Procidas − der Terra Murata − zu gelangen, geht es von der Piazza weiter stramm bergauf. Man passiert den kuppelbekrönten Santuario Santa Maria delle Grazie und genießt anschließend von der Kanonenbastion den Paradeblick auf Corricella, bevor das Sträßchen einen Knick macht und das Altstadttor passiert. Auf dem Altstadthügel empfiehlt sich natürlich der Besuch der Kathedrale, die dem hl. Erzengel Michael geweiht ist und von den umliegenden Wohngebäuden bis zur Unkenntlichkeit zugebaut ist.
Zwei Inselbuslinien steuern auf verschlungenen Routen den abgelegenen Inselteil mit dem für Reisende aus dem Norden wegen der zahlreichen Vokale nur schwierig aussprechbaren Namen Chiaiolella an. Der Abstecher lohnt sich besonders für Wasserratten, denn vom kreisrunden Jachthafen − ein ehemaliger Vulkankrater − sind die schönsten Inselstrände zugänglich. Der beliebteste und deshalb auch meistfrequentierte Sandstrand ist die Spiaggia del Ciracciello. Zwei Tuffsteinfelsen im Wasser mit Wahrzeichencharakter bilden die Grenze zur etwas ruhiger gelegenen Spiaggia del Ciraccio. Eine Handvoll Hotels, Restaurants und Lidos komplettieren das Freizeitareal der Insel. Außerdem befindet sich an der Marina di Chiaiolella der Brückendamm zur vegetationsreichen Insel Vivara. Das ca. 0,4 km2 große, sichelförmige Eiland ist der Rest eines vor rund 55.000 Jahren entstandenen Kraters und steht unter Naturschutz. Gegenwärtig darf das Inselchen nicht betreten werden.
Eine Insel wie eine Leinwandkulisse: Procida als Drehort
Eigentlich muss man am Setting nicht mehr viel ändern, denn die ästhetisch geschlossene Architektur von Procida schafft den perfekten Rahmen für die Verfilmung nostalgischer, sozialromantischer Genreszenen. Der bekannteste Streifen, der 1994 teilweise auf Procida gedreht wurde, ist „Der Postmann“ („Il Postino“). Der Film spielt in den 1950er-Jahren und erzählt vom Dichter Pablo Neruda, der sein Exil auf den Liparischen Inseln verbringt. Auf einer tieferen Ebene handelt das cineastische Werk von Freundschaft, Liebe und der Funktion von Kunst im Lebensalltag. Zahlreiche Stelltafeln auf der Insel weisen auf Drehorte hin oder erzählen Anekdoten im Zusammenhang mit den dreimonatigen Dreharbeiten. Bei einigen Szenen wirkten Einheimische als Statisten mit, Hauptdarsteller Massimo Troisi starb nur einen Tag nach Ende des Drehs an einem Herzinfarkt. 2010 benannte die Kommune einen Platz in Corricella nach dem Schauspieler (Piazza Massimo Troisi). An den Film erinnert heute ferner die Spiaggia del Postino am Pozzo Vecchio.
Ein weiteres Leinwandepos, das 1999 zu einem kleineren Teil auf der Insel entstand, ist „Der talentierte Mr. Ripley“ („The Talented Mr. Ripley“). An der Verfilmung des gleichnamigen Kriminalromans von Patricia Highsmith war ein Staraufgebot an Schauspielern beteiligt − u. a. Jude Law, Cate Blanchett, Matt Damon und Gwyneth Paltrow. Drehorte waren u. a. die Piazza Marina Grande und die Piazza dei Martiri.
Erinnerungen an eine Sternstunde der Filmgeschichte
Geschichte
Aus der Antike finden sich auf Procida nur spärliche Spuren. Mit Sicherheit aber war die Insel von Griechen und Römern bewohnt, man kultivierte u. a. Wein und erbaute Ferienvillen am Strand. Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reichs wandelte sich Procida unter byzantinischer Herrschaft zum Inselasyl für jene Festlandbewohner, die vor dem langobardischen Eroberungszug hierher flüchteten. Die heutige dichte Besiedelung hat in dieser Zeit ihren Ursprung. Der vom Meer her uneinnehmbare Berg, die heutige Terra Murata, war für eine Befestigung wie geschaffen, was jedoch nichts daran änderte, dass die Insel nach üblichem historischem Strickmuster nacheinander an die Normannen, Staufer, Anjous und Aragonesen fiel. Immer wieder war Procida Ziel von Angriffen osmanischer Korsaren. Besonders heftig fielen die Verwüstungen 1534 beim Einfall des Flottenadmirals Khair ad-Din aus, dessen Beiname Barbarossa nichts mit dem gleichnamigen Stauferkaiser zu tun hatte. Zahlreiche Inselbewohner wurden versklavt, ihre Häuser zerstört. Erst gegen Ende des 16. Jh. nahm die Zahl der Piratenangriffe ab. Als Reaktion auf die Überfälle verstärkten die Vizekönige die Befestigungen, die Terra Murata erhielt ihr heutiges Gesicht. Im 18. Jh. wandelten die Bourbonen das einstige Feudallehen Procida in ein königliches Jagdgebiet um. Außerdem legten sie die Basis für die Marine- und Seefahrtstradition, indem sie ihre Flottenaktivitäten hierher verlagerten. Es begann eine Blütezeit, in deren Folge die Bevölkerungszahl am Ende des Jahrhunderts auf 16.000 Einwohner anstieg.
In der Abtei San Michele
Sehenswertes
Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten befinden sich innerhalb der Terra Murata. Die „gemauerte Erde“ (terra murata) auf dem steilen Felsen über dem Meer ist das urbane, kulturelle und strategische Zentrum der Insel und ersetzte in der frühen Neuzeit eine mittelalterliche Siedlung an gleicher Stelle. Letztere gruppierte sich um die Abtei der Benediktiner, von der noch einige wenige Spuren erhalten geblieben sind (→ unten). Die Terra Murata besteht aus betagten, teils leerstehenden Wohnhäusern, Befestigungswällen, Sakralbauten und Residenzen des weltlichen und kirchlichen Adels.
Palazzo d’Avalos: Bis zum Beginn des 18. Jh. lenkte die Familie d’Avalos für zwei Jahrhunderte die Geschicke der Insel. Der gleichnamige Renaissance-Palazzo aus dem 15. Jh.