Kleine Geschichte des Hörspiels. Hans-Jürgen Krug
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Adaptionen, die den Hörern Theaterstücke nahe bringen sollten, waren früh ein fester – und manchmal sogar zwei- bis dreistündiger – Programmteil. Bereits 1926 wurden rund 600 Werke von 280 Dramatikern im Hörfunk gesendet. Doch die Zusammenarbeit zwischen den Konkurrenten Theater und Hörfunk war zunächst schwierig. Das alte Medium ›Theater‹ sah in dem neuen Medium ›Hörfunk‹ nur die gefährliche Konkurrenz – und auch aus diesem Grund musste das Radio früh nach eigenen, radiospezifischen Formen suchen. Um neue Autoren und Stoffe zu bekommen, schrieb die Radiozeitschrift Die Sendung 1924 erstmals ein Preisausschreiben aus – und musste es wieder absagen. Auch ein neuer Versuch 1927 brachte zwar 1.177 Einsendungen, aber keine besonderen Qualitäten und keine neuen Hörspieldichter. Der von der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft ausgeschriebene Preis wurde nicht verliehen.
ANPASSUNG ANS RADIO: DIE BEARBEITER
Recht bald zeigte sich, dass Theaterstücke nicht eins zu eins im Radio übertragen werden konnten oder besser sollten. Die Helden etwa mussten im Hörfunk unsichtbar bleiben – und dies hatte für die Inszenierung Folgen. Früh etablierte sich deshalb neben dem Autor auch der Bearbeiter zunächst vor allem von klassischen Theatertexten. Über diese in der Regel eher unbekannten Mitarbeiter ist nur wenig bekannt. Rudolf Hoch etwa bearbeitete 1927 Shakespeares Hamlet, Prinz von Dänemark (Deutsche Stunde), führte Regie und gehörte auch zu den Sprechern. Auch populäre Autoren probierten sich damals als Bearbeiter aus. Arnolt Bronnen beispielsweise bearbeitete Schillers Wallenstein (1927), Kleist oder Hoerschelmann, Bertolt Brecht das Shakespeare-Stück Macbeth (Funkstunde Berlin 1927).
RADIO, TECHNIK, LIVE-PRINZIP
Die frühen Hörspiele konnten einzig in den Funkhäusern produziert werden. Sie waren unabdingbar mit der Radiotechnik verbunden und ein reines und ausschließliches Radioprodukt. »Die Tatsache, dass die Hörspielform ohne die technischen Rundfunkvorgänge nicht entstehen kann, unterscheidet sie grundsätzlich von allen anderen Sendeformen des Rundfunks, die, sofern sie nicht mit Hörspielelementen gemischt sind, bloß Übertragung, bloß Reproduktion darstellen. In diesem Satz ist die erste Definition des Hörspiels enthalten« (SCHWITZKE 1963: 43). Die frühen Hörspiele wurden ausschließlich live gesendet und unter schwierigen Produktionsbedingungen hergestellt: »Ich hatte«, schrieb Erich Kästner 1929, »anderthalb Stunden Gelegenheit, zu beobachten, mit welcher Präzision die Inspizienten und ihre Handlanger zu arbeiten verstehen. Und ich sah auch, welche Mühe und welche Aufmerksamkeit diese Präzision erfordert. Kein Wort darf gesprochen oder auch nur geflüstert werden. Zwanzig Menschen, über zwei Räume und einen Flur, der die Säle verbindet, verteilt, und jeder hält ein Textbuch in der Hand, in dem der Regisseur mit Blau- und Rotstift inszeniert hat, und jeder wartet auf bestimmte Winke, winkt weiter, winkt wieder, führt Winkbefehle aus! […] Er selber, der Regisseur, sitzt inzwischen in seiner Isolierzelle, hört per Radio, was außerhalb seiner Zelle geschieht, gibt durch ein Fenster Wink-Kommandos, jagt seine Sendboten zu den Inspizienten, sie möchten den Regen das nächste Mal besser machen, und zu der Schauspielerin X, sie möge lauter sprechen oder eindringlicher weinen. Und zwischendurch verschlingt er ein Wurstbrötchen, weil er den ganzen Tag schon gesprochen und einstudiert und gewirkt hat« (BLAES 2002: 28).
Außerhalb der technisch noch einfachen Hörfunkstudios war das frühe Hörspiel nicht realisierbar. Es war ausschließlich im Radio mit seinen knisternden Mittel(MW)- und Langwellefrequenzen (LW) hörbar. Unabhängig vom Hörfunk war die spezifische Radiokunst nicht möglich. Hörspiele wurden nicht separat aufgeführt (wie etwa Theaterstücke), sondern waren ein Bestandteil eines vielfältigen – 1925 durchschnittlich etwa sechsstündigen und bald permanenten – täglichen Live-Radioprogramms. Und sie waren vor allem regionale Spiele. Weiter als 150 Kilometer konnten die ersten Sender nicht senden; das Hamburger Programm blieb den Leipziger Hörern unbekannt – und umgekehrt. Die Hörer hatten kaum Alternativen, aber das störte damals wenig. Und wenn ein Stück von mehreren Sendern gespielt wurde, dann immer in verschiedenen Realisationen. Kein Spiel war gleich. Doch die Ausstrahlung eines Hörspiels bei zwei Sendern war lange nicht die Regel, sondern ein »unwahrscheinliches Glück« (SCHNEIDER 1984: 162).
DAS HÖRSPIEL ALS REGIONALE RADIOKUNST
Die Zahl der Hörfunkmitarbeiter war in den ersten Jahren gering, eigenständige Hörspielabteilungen gab es bis Anfang der 1930er-Jahre nicht – und so bestimmten einzelne Personen das jeweilige, regionale Hörspielprofil.
Alfred Braun war seit 1924 der erste Berliner und wohl auch deutsche Hörspielleiter. Er förderte bei der Berliner Funk-Stunde das literarische Hörspiel und schuf den ›akustischen Film‹ Der tönende Stein (Funk-Stunde Berlin, 6.3.1926). Braun »vereinigte damals in seiner Person alle künstlerischen Ambitionen des deutschen Rundfunks«, notierte Bronnen (1954: 162), der seit 1928 als Hörspieldramaturg unter Braun arbeitete. 1929 berichtete Braun auf der Arbeitstagung ›Dichtung und Rundfunk‹ in Kassel-Wilhelmshöhe: »Lassen Sie mich allgemein vorweg nur eine Feststellung machen, die, dass ich nicht vom Hörspiel als von einem existierenden gewissen Besitz des Rundfunkprogramms rede – von einer bereits gelungenen Lösung, einer bereits erlebten Vollendung; ich spreche lediglich von der Möglichkeit eines Hörspiels, vielleicht auch von den Möglichkeiten eines Hörspiels und von Versuchen zu einem Hörspiel« (DUR 2000: 94). »Als ein erster, grundlegender Versuch erscheint mir die Aufführung eines akustischen Films im zweiten Jahr der deutschen Sendespieltätigkeit. Akustischer Film – so nannten wir in Berlin […] ein Funkspiel, das in schnellster Folge […] bewusst die Technik des Films auf den Funk übertrug. Jedes der kurzen Bilder stand auf einer besonderen akustischen Fläche: eine Minute Straße mit der ganz lauten Musik des Leipziger Platzes, eine Minute Demonstrationszug, eine Minute Sportplatz, eine Minute Bahnhofshalle, eine Minute Zug in Fahrt usw. […] Und das Ergebnis dieses ersten, gewiss nicht vollkommenen Versuches? Unser Publikum hat uns mit größter Begeisterung länger als zwei Stunden zugehört« (DUR 2000: 95f.). Später realisierte Braun legendäre Hörspiele wie Friedrich Wolfs SOS … rao rao … Foyn – Krassin rettet Italia oder Hermann Kessers Straßenmann.
Hans Flesch, der mit seiner »Groteske« (Flesch) Zauberei auf dem Sender 1924 das erste Hörspiel schuf, prägte auch als Intendant der Südwestdeutschen Rundfunkdienst AG in Frankfurt ein eher akustisch orientiertes Hörspiel. »Ich habe noch kein sogenanntes Hörspiel gefunden, das sich nicht als ein verkapptes Schauspiel entpuppt hätte […] Der Rundfunk ist ein mechanisches Instrument, und seine arteigenen künstlerischen Wirkungen können infolgedessen nur von der Mechanik herkommen. Glaubt man nicht, dass das möglich ist, so kann man eben an das ganze Rundfunk-Kunstwerk nicht glauben« (HAGEN 2005: 107). Flesch wandte sich wie kein anderer gegen das reine Live-Hörspiel und plädierte für die Verwendung des Tonbands bei der Produktion von Hörspielen. Schließlich bevorzugte er die Auftragsvergabe – etwa an Walter Benjamin.
Ernst Hardt prägte seit 1926 das Hörspiel bei der Westdeutschen Rundfunk AG (WERAG) in Köln. Er orientierte sich stark am Drama und an der Sendespiel-Bühne. 1929, als das Hörspiel eine »noch mehr erträumte als erkannte oder gar geschaffene Kunstform« (DUR 2000: 82) war, formulierte er in Kassel: »Das Urelement der dramatischen Partitur scheint mir das Wort, scheint mir die Sprache zu sein, und der Rundfunk bedeutet die Reinthronisation ihrer ursprünglichen Macht, die wir fast vergessen hatten. Der Hörspieler, erlöst von der hemmenden Zwangsvorstellung des vergessenen Textes, befreit von Schminke, Kostüm und aller körperlichen Ablenkung, ist für seine Wirkung einzig und allein gestellt auf die seelische und gedankliche Erfülltheit seines Innern, das sich nicht anders als in den abertausendfachen Tönungen des gemeisterten Wortklangs offenbaren kann. Vertiefung in die Dichtung und durch die Dichtung heißt für ihn also Leben oder Sterben, und wehe ihm, wenn er nicht ein Mensch ist; den größten, den berühmtesten Komödianten zerbricht das Mikrofon bis zur Kläglichkeit« (DUR