Also sprach Corona. Wilfried Nelles
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Alles, was ihr in mir seht, seid ihr selbst. Deshalb sage ich, ich bin ein Wahrheitsbote. Was ich euch hier zu sagen habe, sind nur ein paar Fingerzeige. Sie sollen euch auf die Wahrheit hinweisen, aber sie sind nicht die Wahrheit. Am Ende muss jeder selbst in den Spiegel schauen.
Wer ich bin
Wie es sich bei euch gehört, stelle ich mich zunächst einmal vor. Ihr habt mir zwar einen Namen gegeben und denkt vielleicht, ihr kennt mich, aber wenn ich mir eure Reaktionen auf mein Eintreffen bei euch so anschaue, habe ich den Eindruck, dass ihr kaum etwas über mich wisst.
Ich beginne beim Wichtigsten: Ich komme aus der Natur, genauer: Ich bin ein Stück Natur. Ich bin genauso ein Stück Natur wie das Rad eines Pfaus, der Flug und das Zwitschern eines Vogels, die Bewegungen eines Eichhörnchens, der Stich eine Wespe, der Biss einer Schlange, der Gesang der Wale, ein Gewitter, ein Erdbeben oder ein Sonnenaufgang. Genau wie ihr. Ihr seid ebenfalls ein Stück Natur. Wenn ihr Maschinen wärt – ich sehe, dass das euer Traum ist, jedenfalls ist es das, worauf euer gesamtes Wissenschaft- und Technikprogramm hinausläuft –, also: Wenn ihr das bereits geschafft hättet, dass ihr wie Maschinen unabhängig von der Natur funktionieren würdet, könnte ich euch nichts anhaben. Dafür wären dann meine künstlichen Verwandten, die ihr auch schon gezüchtet habt und kräftig weiter züchtet, die Computerviren, zuständig. Ich komme noch darauf zu sprechen.
Ich bin ein richtiges, ein natürliches Virus, ich bin so alt wie die Welt, und ich werde existieren, solange die Welt existiert. Das könnt und werdet ihr nicht ändern, auch dann nicht, wenn ihr der Aufforderung von Bill Gates folgt, eure Impfstoffe bis ins letzte, entlegenste Dorf der Erde zu bringen, um mich, wie er sagt, komplett »auszurotten«. Bis ihr dort seid, habe ich mich schon längst wieder verwandelt. Ich war sogar schon vor eurer Erde da, manche von euch sagen, wir seien bereits in der Ursuppe geschwommen. Ob das nun stimmt oder nicht: Ich gehöre genauso zur Erde wie ihr.
Wir Viren sind sehr primitive Lebewesen oder noch nicht einmal das – es ist schon bezeichnend, dass eure Virologen noch nicht einmal wissen, ob wir Lebewesen sind oder nicht. Die einen sagen dies, die anderen jenes. Wie das so ist in der Wissenschaft. Einige meinen ja, man müsste unbedingt auf sie hören, dabei weiß sie überhaupt nichts Genaues. Alles nur Vermutungen. Ich weiß es übrigens auch nicht, aber mir ist es egal. Ich bin, das ist alles.
Vielleicht bemerkt ihr es: Wenn ich »ich« sage, meine ich nicht dasselbe wie ihr. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen »ich« und »wir«, deshalb sage ich mal dies, mal jenes. Das, was ihr eine Person oder sogar ein Individuum nennt, kenne ich nicht. Ich bin immer viele, ein riesiger Schwarm, und ich ändere dauernd meine Identität. So überlebe ich. Deshalb könnt ihr mich auch nicht vernichten, in der einen oder anderen Gestalt tauche ich wieder auf. Das könntet ihr übrigens von mir lernen: Wenn ihr euch nicht mit der jeweiligen Gestalt, in der ihr erscheint, also mit dem, was ihr »mein Ich« oder so nennt, verwechseln würdet, wüsstet ihr, dass ihr unsterblich seid. Dann hättet ihr auch nicht eine solche Angst vor mir. Aber das versteht ihr wahrscheinlich nicht.
Natur
Also: Ihr seid Natur, und ich bin Natur. Ihr wollt von eurem Natursein aber nichts mehr wissen. Seit ihr die Macht des Denkens entdeckt und mit eurer Wissenschaft ein paar Dinge über das Funktionieren der Natur herausgefunden habt, glaubt ihr, ihr stündet über der Natur, ihr hättet sie so gut wie endgültig im Griff, und sie könnte euch nichts mehr antun. Und dann komme ich, so ein unverschämtes winziges Virus, bringe euer ganzes Leben durcheinander, und ihr wisst auch nach fast einem Jahr noch so gut wie nichts über mich, obwohl sich all eure Virologen auf mich stürzen.
Wenn ich so etwas wie »unverschämt« sage, imitiere ich eure Sprache. All die Attribute, die ihr mir anhängt – böse, schrecklich und so weiter –, haben mit mir nichts zu tun. Ich bin völlig neutral, ich existiere einfach. Dass ich für euch gefährlich bin, ist eine andere Sache. Das ist nun einmal so in der Natur: Einer existiert für den anderen, einer lebt vom anderen, einer stirbt für den anderen, des einen Leben ist des anderen Tod, des einen Tod erhält den anderen am Leben. Das ist das, wovon ihr so viel redet, was ihr aber kaum versteht, nämlich Ökologie.
Habt ihr euch schon einmal klargemacht, dass ihr von Steinen nicht leben könnt? Leben ernährt sich immer von anderem Leben. Das heißt auch, es ernährt sich vom Tod anderer Lebewesen, das Leben geht sozusagen von dereinen Lebensform in eine andere über. Das, was ihr in der Nahrung aufnehmt und was euch tatsächlich am Leben erhält, sind nicht die Inhaltsstoffe, die Vitamine und Mineralien, und was ihr sonst noch alles in eurer Nahrung mit eurer Wissenschaft isoliert; was euch am Leben hält, ist das Leben in diesen Stoffen. Was dieses Leben ist, weiß eure Wissenschaft aber nicht. Sie kennt nur das, was man messen kann, nur das, was eine Substanz hat. Das Leben hat aber keine Substanz.
Zwischen uns Viren und euch Menschen oder Tieren ist es aber noch etwas anders: Wir leben von euch, haben aber nichts davon, wenn ihr sterbt. Wir brauchen euch lebendig, um selber existieren zu können. Wir können uns nämlich nicht selbst vermehren, dazu brauchen wir euch. Ihr macht das für uns, und wenn ihr Pech habt, sterbt ihr dabei, und wir sterben dann mit euch. Für euch wie für uns ist es daher am besten, wenn ihr euch an uns gewöhnt. Denn ich lebe nicht nur von euch, sondern ihr lebt auch von mir – mit »mir« meine ich jetzt meine ganze Sippschaft. Ohne uns Viren würdet ihr nicht existieren, und ihr könnt auch heute nicht ohne uns leben. Ich sage das an die Adresse derjenigen, die meinen, sie müssten uns vernichten. Abgesehen davon, dass ihr das nie schafft, ist es auch ganz unnötig. Mit der Zeit werdet ihr euch an mich gewöhnen wie an die anderen aus meinem Stamm, es bleibt euch gar nichts anderes übrig. Ich bin da und werde nie mehr verschwinden. Je schneller ihr das versteht, umso besser könnt ihr euch auf mich einstellen, und umso besser können wir schließlich miteinander auskommen.
Meditation und Reflexion
Das Jahr der Ratte
Am 30. Januar 2020 habe ich unserer Partnerin Xing Shuwen in China geschrieben, dass ich meine für April geplante Vortrags- und Seminarreise absagen möchte. Wenn, so habe ich hinzugefügt, alles gut geht und China die Epidemie (von Pandemie war damals noch nicht die Rede) hoffentlich bald überstanden haben wird, würde ich vielleicht meine Sommerferien opfern und zumindest die Ausbildungskurse dann nachholen (neben öffentlichen Vorträgen und Seminaren im ganzen Land führen mein Sohn und ich zwei mehrjährige Ausbildungskurse in Peking durch). Ich war fast so naiv wie unser Gesundheitsminister, der damals noch verkündete, so etwas wie in China könnte hier nicht passieren, wir in Deutschland seien bestens vorbereitet. Mir war allerdings klar, dass wir, wenn das Virus nach Europa kommen würde, dem viel hilfloser ausgeliefert wären als die Chinesen. Wir waren so gut vorbereitet, dass ich mir Anfang April noch Masken aus China habe schicken lassen, weil es hier keine gab.
Für die Chinesen fielen nicht nur meine Kurse aus, sondern praktisch auch das Neujahrsfest Anfang Februar. Das Chinesische Neujahrsfest ist etwas