Wirksam werden im Kontakt. Mechtild Erpenbeck

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Wirksam werden im Kontakt - Mechtild Erpenbeck Systemische Therapie

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mit Bedacht gewählt, man kann bei gutem Orientierungssinn den Weg aber auch anders herum gehen, Teilstrecken auswählen oder nur einzelne Stationen besuchen. So können Sie in diesem Buch ganz nach Gusto herumspazieren.

      Alles in allem ist das Buch so etwas wie ein Brevier der professionellen Achtsamkeit. Als solches taugt es hoffentlich dazu, dass Sie es hin und wieder aufklappen, um einen Gedanken herauswehen zu lassen, der sich in eine Inspiration oder eine Erinnerung an einen Vorsatz verwandelt.

       1Aufmerksamkeit

       1.1 Zuhören

      Ohne die Fähigkeit zuzuhören geht in der Kommunikation gar nichts. Im Coaching noch weniger. Zuhören ist so etwas wie die Grundstellung im Tanz mit den Coachees. Aber schon hier können wir unversehens stolpern. Gäbe es eine Methode, die Gedanken und Gefühle eines Coachs während des stillen Zuhörens in einer beliebigen Coachingsitzung sichtbar zu machen, es ließe sich im Handumdrehen eine Aussage über die Qualität des Coachings machen. Da hat sie noch gar nichts getan. Es wurde noch nichts gesagt, keine Fragetechnik oder Methode angewandt, keine Intervention gesetzt – nichts.

      Was geschieht auf unserer inneren Bühne beim Zuhören? Zunächst einmal gilt es, gewahr zu werden, ob sie überhaupt angemessen frei ist. Oder ob dort vielleicht noch ein ganz anderes Stück in vollem Gange ist: turbulente Gedanken und Gefühle aus meinem privaten Erleben, die nachdenkliche Beschäftigung mit der vorhergehenden Coachingsitzung, tiefe Sorge um den Weltfrieden – was immer es sei. Etwas davon ist eigentlich immer da. Schließlich können wir den Strom unserer inneren Bilder, Gedanken und Gefühle nicht abschalten. Wir können nicht nicht denken, solang wir nicht tot sind oder im Koma liegen.

      Um das Gewahrsein aus der Beschäftigung mit anderen Dingen herauszuholen, und möglichst plastisch in die Begegnung mit dem Klienten hineinzulenken, hilft es, die Erscheinung dieser Person aufmerksam zu betrachten. Das heißt, von Kopf bis Fuß hinzuschauen. Was strahlt die Person für eine Energie aus? Welchen Unterschied zur letzten Sitzung/zum ersten Händedruck nehme ich wahr? Wie würde ich die Person heute mit einer Metapher beschreiben? Stiller Bergsee, öde Landschaft, brodelnder Vulkan, trauriger Clown, verschreckte Prinzessin, Panzerschrank, zerlaufende Uhr – was auch immer als Erstes kommt. Selbst wenn sich in dieser kleinen gesteuerten Hinwendung zu meinem Gegenüber kein klares Bild formt, so habe ich mich doch wenigstens einen intensiven Moment lang mit meiner Wahrnehmung der Person beschäftigt und kann mir sogar schon mal meine ersten Fantasien bewusst machen. Sich eine solche Betrachtung des Menschen zu erlauben – so, wie man auch ein Kunstwerk aufnehmend betrachtet, es für sich weiterspinnt, es intuitiv für sich übersetzt, sich inspirieren lässt, unwillkürlich Vergleiche und Assoziationen bemüht –, das ist eine vortreffliche mentale und emotionale Rutsche in die angemessene offene Aufmerksamkeit einer Person gegenüber.

      Manchmal scheint es, als wenn in Systemikerkreisen die Abneigung gegen jedwede Deutung und Diagnostik dazu führt, dass man den Nutzen der Fantasie und den Reichtum der inneren Resonanz auf Wahrgenommenes tendenziell aus dem Blick verliert – nicht unbedingt in Bezug auf die Klienten, wohl aber in Bezug auf die Professionellen, die Beratenden, Coachs und Therapeuten selbst.

      Folgendes ließe sich dazu denken: Wenn man die Sache mit der nicht wirklichen Wirklichkeit ernst nimmt, wenn also all das, was wir für gegeben halten, lediglich unsere Sicht der Dinge spiegelt, dann, ja dann fällt auch bereits dieser Gedanke darunter, denn er konstruiert in seiner Schlüssigkeit eine Realität. Dann gilt das für alle gedachten Gewissheiten – auch die systemischen! Dann sind all unsere »Erkenntnisse« nichts weiter als das, was wir aus unserer jeweiligen Welterfahrung zusammenbauen, um uns zu der Welt unseres Gegenübers ins Verhältnis setzen zu können. Nichts von dem, was wir zu erkennen glauben, hat in diesem Sinne Anspruch auf Gültigkeit. Auch wenn wir gerade besonders schlau darüber nachdenken können. Wie in diesem Moment zum Beispiel. So funktioniert doch konsequent angewandte Rekursivität. Das mag verwirrend und paradox klingen, gleichzeitig haben diese Gedanken etwas sehr Tröstliches: Auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, komme ich aus der omnipräsenten Klemme nicht raus. Was tun? Machen wir was daraus! Seien wir so kreativ wie möglich, spielen wir mit Ideen und teilen sie einander mit, erfinden wir, spinnen wir, brauen wir etwas zusammen und prüfen dann gemeinsam, ob’s zu was taugt. Wenn nicht, dann nicht. Diese Haltung in Verbindung mit einem grundsätzlich achtungsvollen Umgang im professionellen Tun kann nur fruchtbar und zieldienlich ist.

      Die Psychoanalytiker nennen das »freischwebende Aufmerksamkeit«. Sie sind Meister in dieser Art des Zuhörens. Allerdings gleicht der Vollzug in der Praxis bisweilen eher dem Beuteflug des Adlers: still in großer Höhe schwebend kreisen und gelassen beobachten, was sich am Boden so bewegt, und plötzlich im Sturzflug nach unten und geschickt die Beute gepackt. Das ist dann eine sogenannte »Deutung«. Und die kann gegebenenfalls fast so sehr wehtun wie die Krallen des Adlers im Nacken der Maus – zumindest dann, wenn sie zu früh vollzieht, was im psychoanalytischen Sprachjargon »einen unbewussten Anteil bewusst machen« heißt.

      Dennoch hat der Terminus »freischwebende Aufmerksamkeit« Charme und beschreibt das Gebot der Stunde ausgesprochen plastisch und genau. Es geht um ein achtsames Zuhören, das sich nicht eng und kognitiv auf die Inhalte

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