Chiemsee-Komplott. Caroline Sendele

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Chiemsee-Komplott - Caroline Sendele

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für den Nachmittag eine Betreuung für Svenja zu organisieren. Ehrlich gesagt hatte sie den Adelhofer-Termin insgesamt verdrängt, wie sie beschämt feststellte. In Gedanken begann sie, den Tag umzuorganisieren. Eigentlich sollte dieser Dienstag nämlich, zumindest ab mittags, Svenja gehören. Sie hatte ihrer Tochter versprochen, sie von der Schule abzuholen, mit ihr Burger zu essen und danach ins Kino zu gehen. In wenigen Wochen hatte Svenja die erste Klasse geschafft und Katharina war in dieser für ihre Tochter so wichtigen Phase zu selten für sie da gewesen.

      Die Schuld dafür gab sie dem grünen Landtagsabgeordneten Michael Medell beziehungsweise seinen Kontrahenten der rechtskonservativen »Anderen Partei« AP. Sie hatten Medell unterstellt, bei der illegalen Verhinderung von Abschiebungen mitgeholfen zu haben. Katharina hatte nachweisen können, dass angeblich von Medell stammende Aufrufe im Internet von AP-Accounts unter seinem Namen gepostet worden waren. Mithilfe ihrer Freundin Birgit Wachtelmaier – Archivarin bei »Fakten« und routinierte Hackerin – war sie dem Betrug auf die Schliche gekommen. Der Artikel hatte hohe Wellen geschlagen und der rechten Partei deutlich geschadet. Ihre Sympathiewerte waren um mehrere Prozent gesunken.

      Die Verkaufs- und Downloadzahlen von »Fakten« schossen in der Woche in die Höhe, als die Story rauskam.

      »Großartig, Frau Langenfels, großartig, es polarisiert. ›Fakten‹ schreibt das, was wehtut.«

      Derart überschwänglich hatte ihr Chef sie vorher noch nie gelobt. Er ertrug stoisch die Angriffe der Rechtskonservativen, die mit Klagen gedroht und via Facebook und Twitter versucht hatten, eine Lügenpresse-Kampagne gegen »Fakten« loszutreten. RG hatte die Onlineredaktion personell aufgestockt. Die Kollegen konnten jeden Angriff in den sozialen Netzwerken sachlich und kompetent entkräften. Die AP hatte recht schnell die Lust verloren und Katharina lernte eine Seite ihres Chefs kennen, die ihre ansonsten eher kritische Haltung ihm gegenüber ins Wanken brachte. Das Ganze war gerade vier Wochen her.

      Als er ihr wenig später die Adelhofer-Sache zuteilte, hatte sich leider die andere Seite von Riesche-Geppenhorst gezeigt. Dass Katharina alleinerziehend war, spielte für ihn keine Rolle. Darauf zu achten, dass sie zumindest vorübergehend Themen bekam, die während normaler Arbeitszeiten recherchiert werden konnten und ihr die Möglichkeit gaben, Svenja pünktlich aus dem Hort abzuholen, kam ihrem Chef nicht in den Sinn. Bei Themen, die sie selbst spannend fand, ertrug sie die familienunfreundlichen Arbeitszeiten. Sie wusste, dass es eine Auszeichnung war, dass sie die großen Geschichten für »Fakten« schrieb. Dies galt auch für das Adelhofer-Thema. Für diesen Mann einen schönen Nachmittag mit Svenja sausen zu lassen, reizte sie allerdings nicht. Jedenfalls schlappte sie nach der Konferenz lustlos in ihr Büro und rief Oliver an – ihren »platonischen Lebenspartner«, wie sie ihn liebevoll nannte.

      »Warum heiratet ihr eigentlich nicht? Ihr habt euch doch lieb, und wir wären eine richtige Familie«, kommentierte Svenja regelmäßig.

      Oliver und Katharina kannten sich seit der ersten Klasse. Damals hatte er ihr ein paarmal begeistert durch die dunkelbraunen Locken gewuschelt, bis Katharina ihm eine geknallt hatte.

      »Nur, weil du komische Haare hast, brauchst du mir nicht dauernd in meine zu fassen«, hatte sie ihn dazu belehrt.

      Oliver war überrascht zurückgezuckt und hatte sich entschuldigt. Was an seinen glatten blonden Haaren komisch war, verstand er nicht. Ab diesem Tag wurden sie Freunde, saßen fast die ganze Schulzeit nebeneinander und halfen sich gegenseitig durchs Abitur. Während Olivers Jura- und Katharinas Journalistikstudium blieb der Kontakt genauso eng.

      Oliver hatte sich sämtliche unglücklichen Liebesgeschichten von Katharina angehört und selbst nur von Frauen berichtet, die er entweder für unerreichbar hielt oder deren Interesse er nicht erwiderte. Bis zum heutigen Tag war er Dauersingle. Dass sie beide etwas anderes sein könnten als gute Freunde, war ihnen nie in den Sinn gekommen – auch wenn das außer ihnen niemand verstand. Vor allem nachdem Katharinas letzte Beziehung noch vor Svenjas Geburt zu Ende gegangen war, was Oliver eine neue Rolle zugewiesen hatte.

      »Ich kann Kinder nicht leiden. Wenn du es unbedingt willst und sonst niemanden hast, spiele ich natürlich den Patenonkel für Svenja. Aber glaub nicht, dass ich ewig Zeit habe zum Dutzi-Dutzi-Machen. Ich habe schließlich einen fordernden Beruf.«

      Das waren Olivers einfühlsame Worte gewesen, als er seine Freundin nach Svenjas Geburt im Krankenhaus besucht hatte. Hätte Katharina Oliver und seinen angeborenen Pessimismus nicht mehr als 30 Jahre gekannt, hätte sie ihn wahrscheinlich rausgeschmissen. Und wie sie es vermutet hatte, tat Oliver alles für Svenja. Seine Bedeutung ging weit über die eines Patenonkels hinaus. Oft musste sie an die Zeit denken, als ihre Tochter drei Jahre alt war und Oliver einen besonders schwierigen Fall bearbeitet hatte: Eine junge Frau hatte ihn gebeten, sie zu verteidigen. Sie berichtete ihm, ihr Freund habe sie mehrfach vergewaltigt, streite dies aber ab. Sie hatte ihn angezeigt, nachdem sie ins Frauenhaus gezogen war. Dieser Fall ging Oliver sehr an die Nieren, letztlich wurde der Täter verurteilt – vor allem dank Olivers akribischer Arbeit. Obwohl er in dieser Zeit oft bis spät in die Nacht Akten wälzte, war er zur Stelle, wenn Svenja »Olipfa«, wie sie ihn damals nannte, sehen wollte oder Katharina ihn als Babysitter brauchte.

      Ob die Liebe zum Patenkind speziell heute so groß wäre, dass Oliver einspringen würde, bezweifelte Katharina. Sie hatte seine Großzügigkeit in letzter Zeit recht häufig strapaziert. Und Svenja hatte wahrscheinlich wenig Lust, von Oliver aus der Schule abgeholt zu werden, weil ihre Mutter es nicht schaffte. In der Regel nahm Oliver Svenja mit in seine Kanzlei, was Svenja anfangs »cool« fand. Immerhin gab es ein eigenes Kinderzimmer für sie. Aber was war das speziell heute gegen Burger und Kino? Katharina merkte, wie sich das schlechte Gewissen breitmachte. Mit flauem Gefühl in der Magengegend griff sie zum Hörer:

      »Hallo, Oliver, wie geht’s?«

      »Mittelprächtig, ich habe den ganzen Morgen einen komischen Druck auf der Stirn und den Nebenhöhlen, ich frage mich, ob das wirklich nur eine Nebenhöhlenentzündung ist. Vielleicht sollte ich eine Computertomografie machen lassen. Die letzte ist immerhin schon ein Jahr her.« Auch das noch, Oliver hatte einen seiner hypochondrischen Anfälle. Er würde noch ungehaltener reagieren.

      »Und du, hast du die Kinokarten? Svenja hat mich gestern extra angerufen, um mir zu erzählen, dass sie heute Mama-Tag hat. Sie freut sich wahnsinnig auf den Nachmittag mit dir.«

      Katharina schnürte es den Hals zu und kurz verfluchte sie ihren Chef – und Robert Adelhofer gleich dazu.

      »Katharina, du willst nicht etwa sagen …« Oliver kannte sie einfach zu gut. Der Kloß im Hals wurde größer.

      »Sagt dir Robert Adelhofer was?«

      »Dieser Idiot mit seiner Talkshow? Klar sagt der mir was. Ein selbstgefälliger Vollpfosten, der aus seiner Bergwinter-Nummer Kapital geschlagen hat. Frauen finden angeblich, dass er gut aussieht. Warum?«

      »Weil der heute Nachmittag seine Biografie vorstellt.«

      »Katharina, du hast wochenlang deine Tochter vernachlässigt, du hast heute endlich einen freien Nachmittag für dich und Svenja, sag mir nicht, dass du die bist, die zu diesem Termin muss.«

      Nein, natürlich nicht, ich kann mir meine Aufträge aussuchen und habe RG einfach gesagt: »Nee, den Adelhofer muss leider ein Kollege machen, auf den habe ich keine Lust«, dachte Katharina wütend.

      »Warum sagst du nichts? Ich habe also recht. Ich soll meine Kopfschmerzen vergessen, meine Klienten gleich mit und mit Svenja Burger essen und ins Kino? Okay, ich mache es, wegen Svenja, weil sie mir wirklich langsam leidtut. Und noch was: Heute Abend um 21 Uhr bin ich im Jazzclub. Wenn du bis dahin nicht zu Hause bist, nicht mehr mein Problem. Tschüss.«

      Idiot,

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