Chiemsee-Komplott. Caroline Sendele
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»Hallo, Mama, ich bin’s, der Robert.«
»Ah, Robert, Gott sei Dank. Geht’s dir gut, Bub?« Das war seit der Rückkehr ihres Sohnes aus den Bergen jedes Mal ihre erste Frage und Robert reagierte darauf zunehmend ungeduldig: »Bestens, sag mal, der Lukas ist noch nicht da. Weißt du, wann er losgfahren is’?«
Wenn Robert Adelhofer mit seinen Eltern sprach, verfiel er sofort in seinen Heimatdialekt. Dabei hatte er sich den am Anfang seiner Karriere als Fernsehstar hartnäckig abtrainiert. Nur ein leichter bayerischer Einschlag durfte es sein, den liebte die Zielgruppe. Das hatte die Medienforschung von »Monaco TV« herausgefunden.
»Mei, Robert, du weißt es eh, dass ich den Lukas fast nie mehr seh. Der kommt aus seiner Wohnung kaum raus und bei uns schaut er sowieso ned rein. Beim Bettenmachen hab ich eben ausm Fenster gschaut und sei Auto steht ned aufm Hof. Also müsst’ er gfahren sein. Hoffentlich ist ihm nix passiert, meinst, ich sollt’ bei der Polizei anrufen?«
»Na, wart ma noch a bissl, wahrscheinlich hängt er in irgendeiner Kneipn rum, der wird schon noch kommen. Dankschön Mama. Ich komm die Woch’ raus und bring genug Bücher mit, damits die bei den Führungen verkaufen könnts.«
»Is’ recht, Bub, weißt es ja, dass des der Papa macht, ich kann’s ned. Wenn’s halt bloß ned jede Woch glei’ so viel Leut’ wärn, des is’ so ein Lärm, ich mag’s halt gar ned. Aber ich weiß ja, dass es wichtig für dich is’.«
An die wöchentlichen Führungen auf dem Adelhofer-Hof hatte sich Rosa nicht gewöhnt. Wildfremde Menschen besichtigten ihre persönlichen Räume, das Schlafzimmer, in dem sie seit mehr als 40 Jahren schlief und in dem sie ihre beiden Söhne auf die Welt gebracht hatte, die ehemaligen Kinderzimmer von Robert und Lukas, ihre Küche, ihr Wohnzimmer, einfach alles. Robert hatte das nach seinem Bergwinter vorgeschlagen. Und mit der Landwirtschaft auf dem Adelhofer-Hof ging sowieso nichts mehr. Die alten Adelhofers konnten das Geld gut gebrauchen – wobei die Einnahmen Robert bekam und ihnen jeden Monat etwas gab – wie viel, das wusste Rosa Adelhofer nicht. Wie in einem Museum wurden jedenfalls einmal die Woche Schilder aufgestellt, nicht zu besichtigende Räume abgeschlossen und an der Haustür eine provisorische Kasse aufgebaut. Für zehn Euro Eintritt durften die Robert-Adelhofer-Fans einen Blick in sein Geburtshaus werfen, während sich die Mutter des Stars meistens in der Bügelkammer einschloss.
Nachdem Lukas sich zurückgezogen hatte, übernahm Vater Max Adelhofer die Führungen. Am Schluss verkaufte er im Erdgeschoss massenweise Poster von Robert und Pins mit dem Logo seiner Show.
»Mama, jetzt machst dir keine Sorgen wegen dem Lukas, der wird schon auftauchen, er is’ halt einfach nimmer so zuverlässig wie früher. Nachher bei der Pressekonferenz is’ er bestimmt da. Kannst es dir ja im Fernsehen anschauen, wennst magst.«
»Na, Bub, des mach ich lieber ned, weißt, ich mag halt ned an des denken von damals. Bist a guter Bub, ich bin stolz auf dich, wie du des gschafft hast mit dem Fernsehen.«
»Ja, ja, Mama, Servus, bis bald, gell, ich komm die Woch’ runter.«
Unglücklich legte Rosa Adelhofer den Hörer auf die Gabel und ging zurück in die Küche. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie wollte zwei Söhne mit netten Schwiegertöchtern, Enkelkinder, die bei ihr auf dem Schoß saßen und ihre Kuchen aßen. Stattdessen blieb ihr nur der Lukas, von dem sie nicht genau wusste, was eigentlich mit ihm los war – bloß, dass er viel trank und nichts mehr mit seinen alten Freunden aus Rosenheim zu tun hatte. Das erzählten sich die Leute beim Bäcker und beim Metzger im Dorf. Lukas selber kam kaum noch zu ihr in die Küche. Sie hörte ihn nur nachts oft. Dann stand er fluchend vor seiner Zimmertür im ersten Stock und bekam den Schlüssel nicht ins Schloss.
Und der Robert lebte sowieso weit weg da in München, arbeitete beim Fernsehen. Anscheinend war er richtig berühmt. Aber ihr Robert war er auch nicht mehr, die beiden Söhne hatten nichts mit den Buben gemeinsam, die früher zu ihr in die Küche gerannt waren und geschrien hatten:
»Mama, Mama, komm, erzähl uns a Gschicht.«
Auf der Bank vor dem Kachelofen saßen sie in die Kissen gekuschelt, Robert hatte sich – teilweise mit Gewalt – den besseren Platz erobert, und Rosa hatte erzählt, was ihr gerade eingefallen war, von Feen und Königen, von Drachen und Helden.
Rosa Adelhofer holte ein Taschentuch aus ihrer Schürze, wischte sich die Tränen ab und begann, einen Kuchen zu backen – wie immer, wenn ihr Leben dunkel war.
Dienstagnachmittag,
München Innenstadt
Danke, Birgit, dachte Katharina, als sie mit einem Glas Champagner in der Hand im gelben Salon des Hotels Bayerischer Hof stand, umgeben von lauter schönen, bestens gekleideten und maßlos wichtigen Menschen. Mit ihrer »Die kann man zu jedem Anlass tragen«-Jeans, dem Blazer und der Seidenbluse war ihr Outfit auf der Skala der auf dieser Veranstaltung vertretenen modischen Offenbarungen zwar relativ weit unten angesiedelt, aber zumindest noch im grünen Bereich. Der gelbe Salon war einer der vielen edlen Räume, die Münchens bekanntestes Luxushotel zu bieten hatte. Schwere gelbe Brokatvorhänge und französische Paneele wirkten auf Katharina wie aus der Zeit gefallen. Eher aus dem Jahr 2019 stammte das an einer Seite aufgebaute und bisher noch völlig unberührte Buffet. Die offizielle Buchvorstellung war zwar seit einer guten halben Stunde vorbei, jetzt wurde es allerdings für die meisten Journalisten erst richtig interessant.
Vorhin hatten sie alle nur dagesessen und Adelhofers kurzen Zitaten aus seinem Buch gelauscht. Glückliche, bayerische Kindertage, eiskalte Nächte in seinem einsamen Bergwinter im Bereich des Watzmann – genauer legte er sich zu seinem Aufenthaltsort nicht fest – und sein einziges großes Lebensziel: die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Das Ganze wurde garniert mit einführenden und abschließenden Worten von Manager Achim Wedel, die so salbungsvoll waren, dass Katharina den Eindruck gewann, Adelhofer solle als Mischung aus dem Papst, Reinhold Messner und Günther Jauch rüberkommen.
Achim Wedels Äußeres hingegen würde nach Katharinas Dafürhalten zu einem Zuhälter passen: blonde gegelte Haare, dicker Siegelring, satinglänzendes rosa Sakko.
Jedenfalls waren Adelhofer und sein Wedel umlagert von einer hin- und herwogenden Blase aus Kameras, Aufnahmegeräten und Mikrofonen. Katharina schaute sich die Hektik aus der Ferne an. Alle wollten die exklusive Aussage, das exklusive Bild. Und letztlich würde am nächsten Tag in jeder Zeitung dasselbe stehen, in jedem Fernsehsender dasselbe Bild gezeigt werden und in jedem Radiosender derselbe O-Ton kommen. Chancen auf die Exklusivstory würden nur die haben, die nachher am Buffet oder noch später nach drei bis vier Gläsern Sekt Adelhofer in ein Gespräch verwickeln konnten. Und genau das würde sie versuchen müssen, überlegte Katharina gerade, als sie das fleischgewordene Hindernis dieses Plans auf sich zusteuern sah. Horst Riebelgeber von der »Abendausgabe«, der Mann für alle Fälle von Münchens größter Boulevardzeitung.
Wenigstens nicht das graue Polyesterhemd, konstatierte Katharina und hoffte, dass der leichte Baumwollanzug, in den sich Riebelgeber zur Feier des Tages geworfen hatte, das Geruchsproblem, das er normalerweise für seine Umwelt darstellte, lindern würde.
»Man merkt eben, wer die echten Profis sind. Nur Anfänger stellen sich in den Pulk«, begrüßte Riebelgeber Katharina und zog das obligatorische karierte Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Das Haar klebte ihm fettig am Kopf und Katharina fühlte sich eingehüllt in eine Wolke aus »ungewaschen«, wie sie diese Duftmarke gerne beschrieb.
»Auf die eigentlich interessante Frage kriegen die sowieso