Chiemsee-Komplott. Caroline Sendele
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»Wolltest du nicht um 21 Uhr im Jazzclub sein? Von Haidhausen bis nach Schwabing brauchst du eine halbe Stunde.« Es war 20.30 Uhr, Oliver lag auf Katharinas Sofa und schenkte sich gerade von dem edlen italienischen Bio-Rotwein nach, den er selbst mitgebracht hatte. Mehr als sechs Euro für eine Flasche Wein auszugeben, lehnte Katharina ab. Billige Weine konnten nach Olivers Meinung zu viele Giftstoffe enthalten, deshalb brachte er seinen Alkohol meist selbst mit. Er hatte Katharinas Schürze inzwischen abgenommen und trug noch sein Job-Outfit – dunkelblaue Bundfaltenhose, blau-weiß gestreiftes Designerhemd. Krawatte und Slipper hatte er ausgezogen. In der Luft hing der Duft nach den Puffern, aus Svenjas Zimmer leuchtete der blaue Plastikbär, eine Lampe, die auf Anweisung der Siebenjährigen die ganze Nacht zu brennen hatte.
»Als großer Adelhofer-Fan kann ich später kommen.« Oliver grinste. »Erzähl.«
Katharina wusste, welch Sakrileg es war, unpünktlich zum wöchentlichen Jazz-Treffen zu kommen. Dass Oliver den Anpfiff für sie in Kauf nahm, rührte sie. Sagen wollte sie das nicht, stattdessen kuschelte sie sich mit einem knappen »rutsch mal« zu seinen Füßen in die Sofaecke, umschloss ihr Rotweinglas mit beiden Händen und begann zu erzählen.
Das Handyklingeln zwei Stunden später erreichte nur Katharinas Mailbox. Oliver war inzwischen nach Schwabing entschwunden und Katharina auf dem Sofa eingeschlafen. »Birgit hier, Lukas Adelhofer ist tot. Die Obduktion zeigt keine Spuren von Fremdeinwirkung. Bin leicht in den Polizeifunk reingekommen.«
Dienstagabend,
Breitbrunn am Chiemsee
»Jetzt is’ der Bub tot.« Das war das Einzige, was seit Roberts Ankunft in der Adelhoferküche gesagt worden war. Rosa Adelhofer hatte den Satz in den Raum gestellt. Seit zehn Minuten schwang die traurige Botschaft zwischen ihnen.
Als Erinnerung, dass bis vor Kurzem Normalität geherrscht hatte auf dem Adelhofer-Hof, hing noch der Geruch von angebratenen Zwiebeln in der Küche. Wurstsalat und Bratkartoffeln hatte es zu Mittag gegeben, das Lieblingsessen ihrer drei »Mannsleit«, wie Rosa Adelhofer in glücklicheren Tagen ihren Mann und die beiden Söhne genannt hatte.
Tränen liefen über das faltige Gesicht der alten Bauersfrau. Aus dem ordentlich aufgesteckten Dutt hingen einige graue Haarsträhnen. Nach ihrer Ohnmacht am Nachmittag, als die Polizistin da gewesen war, hatte sie sich ein bisschen hingelegt. Als es ihr besser ging, war sie mechanisch aufgestanden. Sie trug noch immer ihre Kittelschürze, die sie, kurz bevor das Unheil seinen Lauf genommen hatte, zum Kochen über den grünen Lodenrock und die weiße Trachtenbluse gebunden hatte.
Wie ein Relikt aus einer besseren Zeit leuchteten die rosa Blümchen auf der Schürze.
Max Adelhofer blickte starr auf die blau-weiß karierte Tischdecke. Sein wettergegerbtes Gesicht wirkte grau. Die kräftigen Bauernhände, die sonst immer in Bewegung waren, lagen reglos auf dem Tisch. Sein Ehering, auf den die Esstischlampe schien, warf einen kleinen Lichtstrahl an die Wand. Wie um zu sagen, dass die Ehe Bestand hatte, obwohl eins der Kinder, das daraus hervorgegangen war, nicht mehr lebte.
Der Einzige am Tisch, der sich bewegte, war Robert Adelhofer. Sein Handy zeigte alle paar Sekunden mit einem kurzen Ton eine neue Nachricht an. Robert schrieb zurück oder hörte seine Mailbox ab. Der Sender, diverse Zeitungen – alle wollten natürlich Infos über Lukas’ Verbleib. Adelhofer wusste, dass es nicht klug wäre, gleich mit der Presse Kontakt aufzunehmen. Das würde sofort gegen ihn verwendet werden:
»Mitleidloser Bruder«, »Adelhofer will Kapital aus dem Tod seines Bruders schlagen«, »Hat er seinen Bruder auf dem Gewissen?« – die Schlagzeilen sah er vor sich.
Außerdem konnte er es seiner Mutter wohl im Moment nicht antun, Journalisten ins Haus zu holen.
Sein Vater würde darüber wegkommen, sein Wahlspruch war: »Was uns ned umbringt, macht uns stärker.« An einen seiner Söhne hatte er diese Einstellung weitervererbt, der andere war offenbar daran zerbrochen. Zum ersten Mal betrachtete Robert seine Situation und die seines Bruders aus dieser Sicht und war ergriffen von seinen eigenen Gedanken. Das Handy gab einen weiteren Signalton von sich, genervt stellte Robert es stumm.
»Gell, Mama, des mit den Führungen lass ma erstamal bleibn, jetzt tu ma unsern Buben begrabn und dann schauma weiter.« Unbeholfen legte der alte Adelhofer seine Hand auf die seiner Frau und rieb darauf herum, in dem Versuch, Trost zu spenden.
Dienstagnacht,
Breitbrunn am Chiemsee
Im Bauernhaus der Adelhofers herrschte Totenstille. Das Erdgeschoss lag im Dunkeln, Kühle kam von den alten Steinplatten in der Eingangshalle. Der lebensgroße heilige Florian, der am linken Ende der Halle in der Ecke stand, war in Umrissen wahrzunehmen. Wie ein Schutz wirkte er nicht, eher wie eine Bedrohung.
Die alten Adelhofers schliefen wohl, es war leicht. Leichter, als sie es sich vorgestellt hatte. Durch das Fenster zur Stube, das gekippt war und Gott sei Dank nach hinten raus ging, konnte sie einsteigen. Zu Lukas’ Zimmer ging es über die Hintertreppe, die nicht knarzte.
Drin empfingen sie das übliche Chaos und ein entsetzlicher Gestank. Teller mit verschimmelten Lebensmitteln überall. Die hatte die Polizei stehen lassen. Sie wusste, dass die hier gewesen war. Sie wollte nur kurz sehen, ob alles nach Plan lief. Der Laptop fehlte. Klar, hatten sie mitgenommen. Würden nichts finden. Auch die Ordner waren nicht da, aber da war nichts Spannendes drin. Sie ging zu dem schweren Bauernschrank und zog mit ihrem Handschuh leicht die Schranktür auf. Das Corpus Delicti war weg. Das hatte Lukas sofort rausgerissen, nachdem sie es ihm gezeigt hatte. Durchgedreht war er, auf den Boden geschmissen hatte er es. Spuren gab es keine im Schrank. Kopien hatten sie. Sie musste grinsen über ihren perfekten Plan. Es lief, wie sie es wollte. Die Polizei wäre sie bald los. Beruhigt konnte sie verschwinden – unbemerkt, wie sie gekommen war. Auf das Haarspray hatte sie an diesem Tag verzichtet, damit der Geruch sie nicht verriet.
Mittwochmorgen,
München Haidhausen
Ein leises, penetrant wiederkehrendes Geräusch weckte Katharina. Im Halbschlaf hatte sie das Klingeln einer Eieruhr in ihren Traum eingebaut. In wachem Zustand schlug sie sich diesen Gedanken gleich aus dem Kopf. Es wäre das erste Mal in sieben Jahren, dass Svenja vor ihr aufstand. Und Frühstück machte – absurder Gedanke. Das Brummen musste vom leise gestellten Festnetz-Telefon kommen.
Katharina stieg verschlafen aus dem Bett und meldete sich mit ebensolcher Stimme. Am anderen Ende eine hellwache Birgit. Manchmal hatte Katharina den Verdacht, dass ihre Freundin im Büro übernachtete. Sie könnte ja einen Anruf verpassen oder mitten in der Nacht auf die Idee kommen, einen Computercode zu knacken.
»Hast du deine Mailbox noch nicht abgehört?«
»Nein«, murmelte Katharina irritiert.
»Lukas Adelhofer ist tot, keine Spuren von Fremdeinwirkung. Die Leiche wird in zwei Tagen freigegeben. Sie haben aufgrund von Dringlichkeit direkt für heute die Obduktion angesetzt. Damit der Fall bald geklärt ist und der berühmte Herr Adelhofer nicht lange von der Presse belagert wird. Im Moment gehen sie davon aus, dass Lukas sich auf den Scheunenboden runtergestürzt und vorher NATO-Draht und Glasscherben ausgelegt hat – um auf jeden Fall zu verbluten, falls der Sturz allein ihn noch nicht umbringt. Solche perversen Vorschläge findet man zuhauf im Internet, habe vorhin in den einschlägigen Foren recherchiert, ziemlich eklig das Ganze. Jedenfalls sieht es danach aus, dass am Samstag die Beerdigung ist, Friedhof Breitbrunn am Chiemsee.«
Katharinas