Ein letzter Frühling am Rhein. Frank Wilmes
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein letzter Frühling am Rhein - Frank Wilmes страница 13
Sein Bart machte ihn älter, als er war. Seine extreme Schlankheit passte nicht zu seiner Gesamtstatur. Großer Kopf, hagerer Körper, Sportler. Er lief und lief. Wie an einer Schnur gezogen, zog es ihn in die Wälder, »um Kilometer zu fressen«, wie er das ausdrückte. Er aß fast nur vegetarisch, Alkohol trank er nur selten, so selten, dass er spätestens nach einem Glas Wein bereits die Fahruntüchtigkeit erreichen würde. An dem Rotwein auf dem Tisch nippte er nicht einmal, und beim Anblick des Käses dachte er wohl nicht an Geschmack, sondern an Kalorien.
Robert pflegte sorgsam seine Marotten. Manchmal erweckte er den Eindruck, eine Gegenposition nur aus Trotz zu beziehen, um damit einen »Gegner« herauszufordern und ihn die Enge zu treiben.
Kilian kannte aus seinen Vernehmungen dieses Schauspiel aus Mimik, Gestik, Rhetorik, das Anschleichen und Verstecken, all die Hintergründe menschlicher Angriffslust.
Robert war auch genial darin, die Themen so zu lenken, dass er im Mittelpunkt stand. Ganz gewiss war er an diesem Käse-Wein-Abend der Redezeitkönig. Wenn er redete, merkte er manchmal nicht, dass er wie ein Fahrlehrer redete, der einem Formel-Eins-Rennfahrer den optimalen Bremszeitpunkt vor einer Kurve erklären will.
Roberts aktuelles Buch »Der Mörder in dir« erreichte sofort eine Startauflage von 150.000 Exemplaren. An all den Honoraren und Nebeneinkünften schien er prächtig zu verdienen. Er fuhr einen grünen Porsche 4 S mit cremefarbenen Sitzen. Er behauptete, er brauche dieses Auto, um jung zu bleiben. Er sei kein Opel-Typ. Das wiederum empfand Charlotte als »gestrig«. Sie fragte, ohne mit einer Antwort zu rechnen, ob ein Auto denn heute noch dazu tauge, Klassenbewusstsein zu zeigen.
»Es geht nicht um eine soziale oder gesellschaftliche Klasse, sondern um Lebensart«, belehrte Robert sie.
»Ach so«, bemerkte sie hinterlistig ironisch.
»Soll doch jeder fahren, was er will«, antwortete er nach kurzem Zögern. Seine Kapitulation war wohl überdacht. Mit Luxus zu prahlen, bedeutete Machtverlust. Die wirkliche Macht leitete sich aus Respekt ab. Respekt war das größte Kompliment für einen Menschen.
»Ich fahre ein scheiß Auto, Marke Biedermann«, fügte Kilian amüsiert hinzu und wusste selbst nicht genau, wie er das meinte, als Akt der übertriebenen Bescheidenheit oder als provozierendes Stilmittel gegenüber dem übermächtigen Porschefahrer?
»Also, ich trinke Wein«, bekundete Tilda ihren Trinkwunsch, »Robert trinkt ja Wasser und fährt uns dann auch heim.«
Er hob sein Wasserglas wie einen Siegerpokal: »Prost, auf einen schönen Abend.«
»Ja, schön, dass ihr mal wieder bei uns seid«, frohlockte Charlotte im schönsten Gastgeber-Eröffnungs-Small-Talk. Sie lächelte und schaute dabei jedem in die Augen. Augen lügen nicht. Fühlt sich auch jeder wohl hier?
»Mensch, Kilian, da hast du ja momentan einen ganz schönen Fall am Bein«, durchbrach Tilda das artige Summ-Summ-Geplänkel.
»Ja, dieser Schneewittchen-Mord«, ergänzte Robert so beiläufig erhaben, als möchte er nichts Weiteres über diesen Fall erfahren, weil er erstens nicht als neugierig gelten mochte und zweitens genau wusste, dass er gleich sowieso seinen großen Auftritt als Fachmann und Menschenkenner haben würde.
Charlotte tat ihm prompt diesen Gefallen: »Robert, was hältst du von dieser Sache, alles merkwürdig, oder?«
Er war kein Mann für eine knappe Antwort. Er dozierte lieber, von oben nach unten, und Kilian, Charlotte und Tilda waren für die nächsten ausufernden Minuten seine Studenten.
Seine Zuhörer waren froh, dass er im Sitzen sprach und sich nicht stehend an der Stuhllehne als imaginiertem Rednerpult festhielt. So hatten sie wenigstens das Gefühl, an einem Tisch im Wohnzimmer zu sitzen und nicht in einem Raum irgendeiner Bildungseinrichtung.
Robert atmete kräftig durch, seine Mimik, in der sich Konzentration, Expertise und Bildung abzeichneten, bereitete seine Zuhörer auf wirklich Wichtiges vor.
Sie erhielten Einblick.
Einblick wie Offenbarung. Er öffnete das Verborgene und warf ein Licht auf die Wahrheit.
Kilian ließ indessen die Luft des Gähnens langsam durch die Finger ziehen, damit es keiner bemerkte. Was sein Freund gleich sagen würde, erfüllte mindestens den Anfangsverdacht der Langeweile. Ihn zu langweilen war allerdings ein schweres Vergehen. Langeweile kam ihm wie Totschlag seiner Zeit vor. Robert jedoch lebte auf.
»Um den Fall wirklich beurteilen zu können, müsste ich wissen, durch welches Gift die Frau gestorben ist. Handelt es sich zum Beispiel um das relativ herkömmliche E 5, käme eine breitere Zielgruppe in Frage. Handelt es sich dagegen um ein raffinierteres Gift wie etwa eine intravenöse Succinylcholin-Injektion, die sich im Körper nicht nachweisen lässt, könnte man auf Personen mit Heilberufen schließen, Apotheker oder Ärzte oder Krankenschwestern. Generell können wir sagen, dass Männer anders töten als Frauen. Männer schießen oder schlagen, wählen also die härtere Variante, während Frauen den sanfteren Weg des Giftmordes wählen. Ich muss dazu etwas ausholen. Wenn ein Mensch erschossen, erdrosselt, erstochen oder erschlagen wird, ist eine absichtliche Tötung offensichtlich, das heißt, der Arzt kann nicht irrtümlich den Todesschein auf natürlichen Tod ausstellen. Beim heimtückischen Giftmord ist das anders. Der muss entdeckt werden. Und das wiederum bedeutet, dass viele Morde durch Frauen unentdeckt bleiben.«
»Oh«, hob Tilda neugierig die Stimme, als wäre sie überrascht.
»Ja, mein Schatz, so ist das. Kleiner Tipp am Rande: Wenn sich das Gift blau vermischt, dann empfehle ich euch, das Zeug in Blaubeerquark zu rühren. Dann fällt es nicht auf.«
Keiner lachte.
Er zog seine Augenbrauen zusammen und knitterte dabei seine Stirn zu Falten. »Aber ich komme vom Thema ab.«
Kilian kannte das Gift, das zum Tod führte. Er schwieg.
Robert strich sich über seinen rechten Oberschenkel, als wolle er seine taubenblaue Hose glattziehen. Er trug fast immer taubenblaue Anzüge mit weißem Einstecktuch, dazu braune Schuhe mit braunem Gürtel. »Das sieht richtig schick aus«, lobte Charlotte jedes Mal und immer in Gegenwart ihres Gatten Kilian, der nie schick aussah.
Tilda war wieder bei der Mordsache. »Es könnte doch sein, dass Drogen im Spiel waren. Ich kenne ja die Typen aus der Modeszene, die dröhnen sich manchmal zu und wissen dann nicht mehr, wer sie sind.«
Alle schwiegen.
»Ach Quatsch, was ich da sage«, zeigte sie sich selbst den Vogel, »aber ich will nicht ausschließen, dass dieser Mord etwas mit der Modebranche zu tun hat, mit all den Emotionen, Verwerfungen und Enttäuschungen. Ihr seht immer nur Trallala, ach wie schön, aber ihr schaut nicht hinter die Kulissen, ihr seht keine Einsamkeit, keine Übermüdung, keine Magermodels, ihr seht nur das Produkt, Glitzer, Glamour und so weiter.«
Charlotte machte eine weitere Flasche auf. Robert trank weiterhin stilles Wasser.
Tilda überlegte, ob sie alles gesagt hatte, was sie sagen wollte, und ob sie das Gesagte auch richtig betont hatte. Nichts wäre schlimmer, als die Wirksamkeit guter Gedanken durch eine falsche Modulation verpuffen zu lassen.
»Dann lass uns mal auf das Leben anstoßen«, schlug Charlotte vor.
Das aufkommende Lachen wirkte wie eine törichte