Ein letzter Frühling am Rhein. Frank Wilmes
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»Ach wissen Sie, Frau Polizistin, Sie fragen, was ich von Frau Walldorf weiß …«
»Oberkommissarin!«
»Okay, eins zu null für Sie, das war Ihre Retourkutsche für den Doktor. Ich mag aufgeweckte Frauen, die klar reden wie aus der Pistole geschossen. Oh sorry, das mit der Pistole lassen wir mal lieber. Also Frau Oberkommissarin, ich erwähne gerne Ihren Titel, aber ich muss schon sagen, das ist eine sehr lange Dienstbezeichnung, da muss ich ja dreimal Luft holen, ehe ich das Wort ausgesprochen habe. Was ich Ihnen aber unbedingt sagen möchte: In diesem Haus wird nicht getratscht. Wir leben quasi in einer tratschfreien Zone. Ich finde das sehr bemerkenswert.«
Cosima veränderte ihren Tonfall wie eine Lehrerin gegenüber einem Schüler, der schon wieder seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Sie ging in sich, bleib locker, zieh dein Ding hier durch, lass dich nicht von der Giraffe beeindrucken.
»Ich habe nicht danach gefragt, wie Sie oder die anderen Hausbewohner ein Gespräch führen, sondern, was Sie über Frau Walldorf wissen oder was man über sie sagt.«
»Natürlich wissen wir, dass Frau Walldorf eine Berühmtheit ist, äh, war, und wenn wieder eine große Story über sie in der Zeitung stand, war das ein Gespräch wert, oder wenn da Schaulustige vor dem Haus standen. Viele wussten ja, dass sie hier wohnt.«
»Wer hat sie denn besucht, ich meine, hatte sie häufiger Besuch, haben Sie Besucher gesehen?«
»Da fragen Sie den Portier, an dem müssen alle vorbei, die Hausbewohner und die Besucher.«
»Sie haben nie Besucher oder Besucherinnen gesehen?«
»Wer zu Frau Walldorf wollte, fuhr mit dem Fahrstuhl direkt zu Ihrer Wohnung, und im Eingangsbereich habe ich nichts gesehen, zumindest nichts Auffälliges. Ich sehe den Leuten ja nicht an, zu wem sie wollen.«
Sie schaute auf ein übergroßes Gebiss, mit Goldblatt überzogen. Es stand in einer schwarz lackierten Kommode auf einem Glasregal. Dr. Moritz arbeitete weiterhin hartnäckig daran, unsympathisch zu wirken. Er wirkte gönnerhaft. Er pflegte seine Allüren.
Nach dem Gespräch bedankte er sich bei Cosima für die Zeit, die sie sich für ihn genommen hatte.
Sie war sprachlos.
Beim Hinausgehen sah sie erst undeutlich, dann beim Nähertreten sehr deutlich ein gerahmtes Foto von Chira Walldorf mit der Aufschrift: »Für Max.«
Sie las es laut vor: »Für Max.«
»Ist doch schön«, erwiderte Dr. Moritz mit einer ungewohnten Helligkeit in seiner Stimme, als hätte er sie in diesem Augenblick nicht im Griff.
Sie schaute ihm in die Augen. Er schaute zurück. Blick auf Blick. Wer jetzt zuerst wegschaute, hatte verloren.
»Und nun?«, fragte er ungeduldig, um Bewegung in den Augenkontakt zu bringen.
»Nun müssen Sie mir das erklären«, entgegnete sie ihm hart, fordernd, scharf, als müsste sie den Fall jetzt festmachen, festbinden, festkleben.
Er lächelte herausfordernd und prüfte den Sitz seines Pferdeschwanzes. Offenbar wollte er in diesem Moment seinen Spielraum zwischen Verlegenheit und Überlegenheit ausloten. Vielleicht ärgerte er sich auch nur darüber, dass er das Foto vor dem Besuch der Polizei nicht weggelegt hatte.
Er lächelte erneut. Allmählich ging ihr dieser Max Moritz mit seinem Lächeln auf die Nerven.
Er reckte seinen langen Hals nach vorne: »Ach, entschuldigen Sie, ich bin wohl etwas begriffsstutzig. Das Foto gehört nicht mir, sondern meinem Freund. Der heißt auch Max.«
Er machte eine kurze Pause, weil er dachte, die Oberkommissarin würde direkt etwas sagen oder fragen wollen, weil das aber nicht der Fall war, setzte er seinen Satz fort.
»Oh, Sie dachten wohl, das wäre mein Foto, und ich hätte die Chira Walldorf eben doch persönlich gekannt. Gefährlich, gefährlich, so schnell kann man zum Beschuldigten werden, aber ich rede zu viel, sorry.«
Cosima schaute in ihren Notizblock. Das tat sie immer, um Abstand zu gewinnen oder Abstand zu demonstrieren. In diesem Fall bedeutete Abstand, auf sein Geplänkel nicht einzugehen und ihn das auch spüren zu lassen. Als würde sie ihre Frage vom Notizblock ablesen, fragte sie ihn mit einer Geste der Beiläufigkeit, wo denn sein Freund überhaupt wohne.
»Der Max wohnt nur am Wochenende hier. Während der Woche ist er auf seinem Bauernhof im Münsterland. Den hat er vor zwei Jahren gekauft, komplett umgebaut. Na ja, dort ist er von montags bis freitags, um Lieder zu komponieren, zu lesen und zu verstehen, wie Muse funktioniert, und am Wochenende will er Großstadt erleben. Aber sein erster Wohnsitz ist diese Wohnung, das können Sie beim Einwohnermeldeamt ganz schnell klären.«
»Das mache ich doch glatt«, bemerkte Cosima trotzig und wollte von Dr. Moritz wissen, weshalb Frau Walldorf seinem Freund das Foto mit Widmung geschenkt hatte.
Er zog zunächst seine Lippen übereinander, als wollte er auf diese Weise sein Lippenbalsam gleichmäßig verteilen. »Tja, gute Frage. Soweit ich weiß, hat er das Foto nicht direkt von ihr, sondern von ihrem Fotografen. Die kennen sich, und da hat mein Freund ihm wohl gesagt, komm, besorg mir von der Chira ein Autogramm, und der Fotograf hat noch für Max draufschreiben lassen. Das ist doch nett, oder?«
Auf dem Flur stöhnte sie die Luft, die sie in die Backen aufgesogen hatte, in einem Zug heraus, um ihre Erleichterung zu spüren, dass das Gespräch mit Dr. Moritz vorbei war. Sie schaute zur Decke, flehte den Satz in sich hinein: Bitte lieber Gott, lass mich heute Abend nicht von Giraffen träumen.
7.
»Chira Walldorf – war es Mord aus Liebe?«, titelte das Leute-Magazin »Glitzglotz«, als könnte man aus Liebe einen lieben Menschen umbringen. Darüber musste das Volk reden. An den Kassen der Supermärkte. An den Biertischen der Kioske. In den Schrebergärten. Wo auch immer. Die Menschen fantasierten, wie der Mörder Liebe in Tod umwandelte. Das Schlüsselloch konnte gar nicht groß genug sein, um hindurchzublinzeln in eine unheimliche Welt.
»Glitzglotz«-Chefredakteur Thomas Gardner musste sein Schlüsselloch in einer Talkshow verteidigen, an der zwei weitere Gäste aus der Mode und der Psychologie teilnahmen. Die Vertreterin der Modebranche, eine Unternehmerin für Damenoberkleidung aus Ostwestfalen-Lippe, schaute ihn angewidert an, zögerte kurz und fragte ihn dann: »Herr Gardner, besteht der Sinn Ihrer Arbeit darin, Unsinn zu schreiben?«
Herr Gardner blieb ruhig. Er wusste, dass die Kamera genau im Moment der Kritik auf ihn gerichtet war. Er zeigte sich dem Publikum erhaben, souverän und gönnerhaft, allerdings eine Spur zu lässig. Denn darin lag eine Überheblichkeit, die nicht zu seinen Lesern passte.
Die Moderatorin der Talkshow wollte von der Psychologin wissen, einer Professorin für Neuropsychologie, wie sich der unerwartete Tod einer Berühmtheit auf die Volksseele auswirke, und ehe sie antworten konnte, lästerte Gardner, dass Neuropsychologie doch etwas mit Hirnschädigung zu tun habe. Er drehte sich zum Publikum und fragte, ob wir hier alle hirngeschädigt seien? Das Publikum lachte, und die Psychologin erwiderte spröde sachlich, dass sie sich mit den zentralnervösen Grundlagen des menschlichen Erlebens und Verhaltens sowie ihren Veränderungen befasse. Die