Ein letzter Frühling am Rhein. Frank Wilmes

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Ein letzter Frühling am Rhein - Frank Wilmes

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im Dunkel der Angst

      und merkt nicht

      das neue Leben hat schon begonnen

      im Kirschblütenland.

      Das Kirschenblütenland war nun allerdings das Gerichtsmedizinische Institut. Zur Todesursache schrieb Albert formal nüchtern:

      »Absichtliche Fremdbeibringung durch Gift. Die angewandte Dosierung führte innerhalb von zwei Stunden zum Tod. Der Tod trat zwischen 19 und 22 Uhr ein.«

      Die Journalisten wollten mehr wissen. Sie gierten nach Details, um ihre Geschichten damit zu bereichern. Daraus wurde eine Sucht, die nicht informieren, sondern unterhalten wollte. Ein mediales Spektakel, das nicht nur von Fakten lebte, sondern auch von Spekulationen. Daran trug Staatsanwalt Martin Hummelberger mit seiner übervorsichtigen und zudem hölzernen Art wesentlich bei. Informationen, die längst durchgesickert waren wie etwa »Mord durch Gift«, behandelte er aus »polizeitaktischen Gründen« als Staatsgeheimnis. Das führte wiederum dazu, dass er eine Pressekonferenz, wie sie in aufsehenerregenden Fällen üblich war, ablehnte.

      Was er freilich nicht beachtete, dass die Journalisten sich daran nicht störten. Sie bastelten ihre eigenen Nachrichten, befragten Nachbarn, Modehändler, Werbepartner und stöberten im Leben des toten Models herum. Jeder Krümel verdichtete sich zu einem krossen Brot, frisch aus dem Backofen. In all diesen Inszenierungen konnte man gar nicht groß genug denken.

      Ein Kommentator schrieb: »In welcher Welt leben wir eigentlich? Ein Mensch, der das Schöne und Gute verkörperte, musste sterben.«

      Spitzfindig fragte Charlotte ihren Kilian am anderen Tag, was denn ein gewaltsamer Tod mit Schönheit zu tun hätte?

      »Quatsch mit Soße«, brummte er.

      »Du bist ja ein Prachtanalytiker«, schob sie nach.

      »Kauf dir einen Fisch und wickle ihn in dieses Scheißblatt ein.«

      »Welchen Fisch möchtest du denn?«

      »Steak mit Pommes.«

      Kilian war durchaus begabt darin, sein Gemüt von empathisch auf dickfellig umzustellen. Darin mischte er allerdings häufig die Andeutung eines Witzes, um nicht so streng herüberzukommen.

      Die Onlinemedien, Radio- und TV-Sender hatten sich an der ersten Nachrichtenwelle sattsam abgearbeitet. Die Wochenzeitungen und Magazine mussten nun mit eigenen Geschichten nachziehen und einen Dreh finden, um aus Alt Neu zu machen. Genau genommen fiel ihnen das auch nicht schwer, weil sie meisterlich darin waren, ihren Geschichten einen rührseligen, sentimentalen und weinerlichen Antrieb zu geben.

      Ein Magazin, das donnerstags erscheint, verschob seinen Redaktionsschluss sogar von Dienstag auf Mittwochmorgen, um noch von der Mord-Model-Hysterie zu profitieren. Es kramte aus seinem Archiv alte Mordgeschichten hervor, layoutete dazu eine aufwendige Bilderstrecke mit wenig Text. Das wirkte. Dafür durfte natürlich der Schillerndste aller Modeschöpfer nicht fehlen. Ein Serienkiller schoss Gianni Versace vor seiner Villa »Ocean Drive« in Miami Beach zweimal in den Kopf. Über die Gründe zweifelt die Polizei selbst Jahrzehnte nach der Tat noch immer. Der Killer nahm sich später auf der Flucht das Leben.

      Dagegen war der Mord an Mauricio Gucci in der »Via Palestro« in Mailand ein echter Klassiker. Die rachsüchtige Gattin Patrizia Reggiani konnte es nicht verwinden, dass ihr Ehemann sie nicht mehr wollte, und engagierte den Todesschützen. Vier Kugeln benötigte er für die Vollendung seines Auftrages. Anschließend schrieb die Witwe ein griechisches Wort in ihr Tagebuch: »Paradeisos«, Paradies.

      5.

      Die Spurensicherung sicherte 124 verschiedene Spuren, Fingerabdrücke, Echthaare und Haare von einer Perücke, Speichel, Schuppen, Schmutz, der mit Schuhen in die Wohnung hineingetragen wurde. Auffällig war, dass von den Gläsern im Glasschrank zwei Gläser komplett ohne Spuren waren. Solch eine penible Reinigung erfuhr auch der Boden in der Küche, der klinisch sauber erschien.

      Die Sichtung ihres Smartphones ergab: Ihr letztes Gespräch führte sie noch am Morgen mit ihrem Bruder. Es dauerte keine zwei Minuten. Aus den weiteren Anrufen und Nachrichten ließ sich bis zu diesem Zeitpunkt nur erkennen, dass viele Verbindungen ins Ausland führten oder von daher kamen.

      6.

      »Wer sind diese Menschen, die im Haus von Frau Walldorf wohnen?«, wollte Kilian wissen, nachdem die ersten Routinebefragungen, die nach Auffinden der Leiche begonnen hatten, keine Erkenntnisse gebracht hatten.

      »Bin schon dran«, antwortete Cosima mürrisch, als wüsste sie nicht selbst, was in welcher Reihenfolge zu tun ist.

      »Ich will auch wissen, wer da so ein- und ausgeht, und besonders natürlich, wer alles am Todestag sich in diesem Haus aufgehalten hat.«

      Am liebsten hätte sie gesagt: »Darauf wäre ich niemals von allein gekommen. Zum Glück gibt es da aber jemanden, der mir sagt, was ich schon längt weiß.«

      »Ja, Herr Hauptkommissar, wird gemacht«, salutierte sie stattdessen mit übertriebener Befehlsbereitschaft.

      Kilian schaute sie irritiert an. »Ist was?«

      »Nein, ich bin einfach nur dankbar, dass du mir immer genau sagst, wann was zu tun ist.« Sie verband diese Worte allerdings mit einem Lächeln. Eine auflockernde Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass er Ironie genau in diesem Moment nicht verstanden hätte.

      Sie legte sich einen Plan zurecht.

      Erstens: Recherche im Polizeicomputer. Gibt es polizeibekannte Auffälligkeiten, Hinweise und so weiter.

      Zweitens: Externe Recherchen in Zeitungen und Online-Diensten. Vielleicht gab es Berichte über oder Interviews mit einem Hausbewohner und damit erste Anhaltspunkte über Meinungen, Befindlichkeiten, Vorlieben, Affären.

      Drittens: Einzelgespräche mit allen Bewohnern. Sie überlegte, was schlauer war: Sollten die Gespräche in den Wohnungen stattfinden oder im Polizeipräsidium? Für das Polizeipräsidium sprach: Hier lügt es sich schwerer, weil der Ort einschüchtert. Dagegen sprach: In einer Wohnung nähme sie mehr Details auf.

      Sie entschied sich für die Wohnungen, zumal dieser Ort enormes Steigerungspotenzial besaß. Das Polizeipräsidium mit offizieller Ladung käme dramaturgisch an die Reihe, wenn aus einer Befragung eine Vernehmung würde.

      Cosima schaute neugierig auf die Namen, als wären sie Schmuckstücke. Schick, teuer, außergewöhnlich.

      Dr. Max Moritz, Zahnarzt, alleinlebend, 49 Jahre.

      Hans Meiser, ehemaliger Topmanager, jetzt Pensionär, 73 Jahre, mit seiner Frau Klara, 55 Jahre, die sich einen Namen als Charity-Lady gemacht hat.

      Der Diskobesitzer Hans Langbein, 62 Jahre, und seine Freundin Agnes Fiedler, 34 Jahre, die momentan nicht arbeitet.

      Jürgen Wolters, Rechtsanwalt, 48 Jahre, und seine Frau Emma Seewald-Wolters, 51 Jahre, ebenfalls Rechtsanwältin.

      Prof. Dr. Heinrich Zirschke, Theaterwissenschaftler, 60 Jahre, und seine Frau Annette Hahn-Zirschke, 48 Jahre, Inhaberin eines Yoga-Studios.

      Simone Capella, Filmregisseurin, 55 Jahre, alleinlebend.

      Ulli

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