Feenders. Jürgen Friedrich Schröder

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Feenders - Jürgen Friedrich Schröder

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so hieß der gute Müllermeister, hatte einen Ruf weit über die heimischen Gefilde hinaus, denn er ging nicht nur mit der Zeit, er war ihr deutlich voraus. Er war nicht nur Windmüller. Da es nicht immer Getreide zu mahlen gab, hatte er sich beizeiten ein zweites Standbein aufgebaut, eine Holzsägerei. Das war zwar schön und gut, nur spielte der Wind nicht immer mit. Zu oft hatte er genügend Arbeit, aber die launische Energiequelle versagte. Als Ausweg schaffte er eine Dampfmaschine an. Doch die hätte auch arbeiten können, wenn es nichts zu mahlen oder zu sägen gab. Im Jahre 1906 kam der große Sprung. Gerhard Hisje investierte in einen Generator, der zweihundertzwanzig Volt Gleichstrom lieferte, freilich nicht, ohne sich vorher entsprechender Abnehmer versichert zu haben. Auf diese Weise kam das kleine Dorf Torsholt im Ammerland zum eigenen Energieversorgungsnetz, vier Jahre nach der Reichshauptstadt Berlin. Eines sei weit vorweggenommen – dieses Netz war unglaubliche fünfzig Jahre in Betrieb, bis es von der Oldenburger Energieversorgung Weser-Ems übernommen und auf Wechselstrom umgestellt wurde. Nebenbei erwähnt – Meister Hisje beschäftigte auf diese Weise ein halbes Dutzend Gesellen.

      Aber noch befand man sich im Jahre 1912.

      Der Müller staunte nicht schlecht, als Cornelius so einfach bei ihm aufkreuzte. Da ihm der Schneid des Jungen imponierte, hörte er ihn wenigstens an. Auf das Zeugnis gab er nicht viel, sondern unterhielt sich während der Arbeit mit ihm. Nicht nur die gescheiten Antworten des Jungen, sondern auch der Umstand, dass dieser unterdessen ebenfalls kräftig mit anpackte, bewogen ihn, außer der Reihe noch einen zweiten Lehrjungen aufzunehmen.

      Cornelius war selig. Er sang auf dem Rückweg nach Ocholt, er sang in der Eisenbahn, er sang auf dem Weg zum Elternhaus. Die Leute schauten ihn komisch an und er hätte die ganze Welt umarmen können. Der Vater war weniger frohgestimmt, schließlich verlor er einen guten Arbeiter. Andererseits konnte und wollte er dem Lebensglück seines Sohnes nicht im Wege stehen.

      Eine Woche später stand Cornelius wieder vor dem Müllermeister.

      »So, da bin ich!«, verkündete er.

      »Das seh ich!«, antwortete Gerhard Hisje trocken. »Du kannst es wohl gar nicht abwarten. Der Monatserste war doch ausgemacht!«

      »Nee, ran an die Arbeit!«, gab Cornelius kurz und bündig zurück.

      Der Müllermeister wusste zunächst nicht recht, welch einen Vogel er sich da eingefangen hatte. War das ein Windbeutel, dem bald die Luft ausging? Oder würde er durchhalten? Der Junge arbeitete von früh bis spät, manchmal mit einer gewissen Hast und wirkte oft bedrückt. Gerhard Hisje nahm ihn nach einiger Zeit beiseite. »Sag, Cornelius, dir liegt doch etwas auf der Seele?«

      Der Junge zuckte regelrecht zusammen und nickte schließlich. »Ich kann das Lehrgeld nicht bezahlen. Meine Eltern sind zu arm.«

      »So, und das sagst du mir jetzt?«, antwortete der Müller recht bedächtig.

      »Bitte, Meister! Schickt mich nicht weg! Das ist meine einzige Möglichkeit, einmal zu einem besseren Leben zu kommen! Ich werde bis zum Umfallen arbeiten!«

      »Das geht schon gar nicht!«

      Cornelius schaute ihn entsetzt an. Gerhard Hisje bemerkte die erschrockene Reaktion des Jungen.

      »Nee, so meine ich das nicht. Ich mach dir einen Vorschlag. Du nimmst mal ’n büschen Fahrt aus deiner Arbeit, arbeitest mit Bedacht und Sorgfalt und alles Weitere wird sich finden!«

      Cornelius schaute ihn nur fragend an.

      Der Meister merkte, dass er den Jungen auf einen anderen Kurs bringen und ihm die Sorgen nehmen musste. »Setz dich mal hin!« Er deutete auf einen niedrigen Bretterstapel und nahm ihm gegenüber Platz. »Du musst ’n büschen ruhiger werden. Denk vorher zweimal nach und mach mit Bedacht voran. Da schaffst du genauso viel, sollst mal sehn. Sonst fällst du mir wirklich noch um. Und davon hab ich auch nichts!«

      Cornelius sah den Meister überrascht an, lächelte und nickte. Gleich darauf wurde er wieder ernst. »Aber das Lehrgeld, Kost und Logis?«

      »Ach, Junge. Das ist ganz einfach! Solange du mich weniger kostest, als du einbringst, passt das schon!«

      Cornelius’ Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

      »Du Dösbaddel!« Gerhard Hisje lachte. »Bist doch sonst nicht so schwer von Begriff! Du machst wieder ein fröhliches Gesicht, arbeitest ordentlich und in Ruhe – und ich verlange kein Lehrgeld!«

      »Meister!« Der Junge schrie es fast, überglücklich.

      »Unter einer Bedingung. Davon erzählst du niemandem etwas. Und wenn deine Eltern fragen sollten, sagst du ihnen einfach, es sei alles geregelt. Und nun ran an die Arbeit! Wir haben schon viel zu lange geredet!«

      Cornelius lernte dadurch nicht nur, ruhiger zu arbeiten, sondern noch etwas anderes. Der Pastor hatte es Gottvertrauen genannt.

      Bald begann der große Krieg und die Jüngeren unter den Gesellen mussten einer nach dem anderen ins Feld ziehen, wie man damals sagte. Cornelius Holtkamp lernte drei Jahre und machte seine Prüfung als Müllergeselle. Die Kenntnisse in diesem Handwerk hatte er mehr nebenbei erworben, denn sein ganzes Interesse galt der modernen Elektrotechnik. Eigentlich hätte er 1916 ebenfalls zum Militär einrücken müssen. Da jedoch sein älterer Bruder bereits bei einer in Hage stationierten Luftschifferabteilung diente, blieb Cornelius davon verschont. Er arbeitete weitere Jahre bei seinem Lehrmeister, bevor er in einigen der zahlreicher werdenden Elektrounternehmen zusätzliche Erfahrungen sammelte. Eine Gesellenprüfung im Bereich dieser neuen Technik legte Cornelius jedoch niemals ab.

      Im Jahre 1934 stand in Leer ein kleiner ehemaliger Bäckereibetrieb zum Verkauf. Da die Ersparnisse bei Weitem nicht reichten, ging er zur Bank, um eine Hypothek aufzunehmen. Als man dort zögerte und nach Sicherheiten fragte, legte Cornelius seine Zeugnisse auf den Tisch. Oben drauf das Arbeitszeugnis von Gerhard Hisje.

      Der Bankmitarbeiter machte große Augen: »Sie haben bei diesem sagenhaften Elektromüller gelernt? Ja, das ist natürlich etwas anderes! Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«

      Wenige Wochen später eröffnete Cornelius Holtkamp sein Elektro- und Installationsgeschäft in der ehemaligen Bäckerei, die er zuvor weitgehend eigenhändig umgebaut hatte.

      Eine Hürde hatte er allerdings noch nehmen müssen. Bedingung für die Eröffnung seines Unternehmens war die Mitgliedschaft in der NSDAP. Cornelius, der sich nie einen Deut um die Politik geschert hatte, wurde Parteimitglied.

      Jahre später sollte er damit ein Problem recht eigener, oder besser gesagt, sehr eigenwilliger Art haben.

      2 – Fräulein Marlene Degenhardt

      Geboren wurde Marlene als einziges Kind des Studienrates Paul Degenhardt und seiner Frau Helene in einem Vorort Hannovers im Jahre 1913. Über ihre Kindheit und frühe Jugend gibt es nichts Besonderes zu berichten. Dies änderte sich jedoch schlagartig in ihrem sechzehnten Lebensjahr. Sie lernte einen jungen Mann kennen. Man kam sich näher, die Eltern ahnten nichts davon. Die Natur nahm ihren Lauf und Marlene wurde schwanger. Als sich die verstörte junge Dame ihrer Mutter anvertraute, war sie schon im vierten Monat. Normalerweise hätte man sich arrangieren können, ohne dass es zu einem gesellschaftlichen Skandal gekommen wäre. Hier lagen die Dinge jedoch ein wenig anders. Ein vertrauliches Gespräch zwischen Paul Degenhardt und dem Vater des möglichen Schwiegersohnes in spe ergab zweierlei. Zum Ersten

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