Feenders. Jürgen Friedrich Schröder

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Feenders - Jürgen Friedrich Schröder

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dass dieser mosaischen Glaubens war. Ein Jude als Schwiegersohn war für die Degenhardts ebenso wenig vorstellbar wie für die Familie Salomon die Eheschließung ihres Sohnes mit einer Gojah, einer Nichtjüdin.

      Nun war guter Rat, besser gesagt ein Ausweg, im wahrsten Sinne des Wortes teuer. Bei einem kurz darauf stattfindenden Gespräch der Elternpaare – die beiden jungen Leute durften nicht daran teilnehmen – stand für einen Moment der Gedanke an den Gang zur Engelmacherin im Raum. Für einen sehr kurzen Moment, denn er wurde im nächsten Augenblick von beiden Frauen entrüstet verworfen. Von den Männern wollte später keiner dieses Wort in den Mund genommen haben.

      Vater Salomon präsentierte daraufhin eine Lösung, die er sich schon zuvor sorgfältig überlegt zu haben schien. Da er zusagte, die finanzielle Seite dieses Planes zu übernehmen, ließ sich dieser flugs in die Tat umsetzen. Den Salomons fiel das nicht schwer, besaßen sie doch zwei große florierende Fertigungsateliers für feinste Damen- und Herrenkleidung.

      Marlene verließ das Lyzeum nach Beendigung der Untersekunda und blieb in den folgenden Monaten daheim. Ein Vierteljahr später reiste sie zusammen mit ihrer Mutter in die Tschechei, ins schöne Marienbad. Ein verschwiegenes Privatsanatorium wurde für die nächsten beiden Monate ihr Zuhause. Dort brachte Marlene, mittlerweile siebzehn Jahre alt, ein kleines Mädchen zur Welt.

      Nun kam der eigentliche und entscheidende Punkt. Vater Salomon, dem nichts Menschliches im Leben fremd zu sein schien, hatte beizeiten die entsprechenden Stellhebel betätigt. Der Inhaber des Privatsanatoriums, ein angesehener Mediziner, kannte natürlich die Honoratioren der Stadt, deren Verbindungen unter anderem in das zuständige Standesamt reichten.

      Drei Wochen später verließen Helene Degenhardt, zu diesem Zeitpunkt siebenunddreißig Jahre jung, ihre Tochter Marlene und deren gerade geborenes Schwesterchen Karin die Stadt Marienbad. Wer es in der Heimat nicht glauben wollte, durfte die vom Marienbader Standesamt ausgestellte Geburtsurkunde in Augenschein nehmen, die von den deutschen Behörden pro­blemlos anerkannt wurde. Zufrieden waren alle, auch die beteiligten tschechischen Beamten. Vater Salomon war ein vorausschauender Mann und schrieb ein zweites Kapitel dieser eigenartigen Geschichte.

      Wenig später wurde Paul Degenhardt aufgrund seiner hervorragenden pädagogischen Fähigkeiten außer der Reihe zum Oberstudienrat befördert. Die entsprechende Stelle befand sich allerdings am Ubbo-Emmius-Gymnasium in Leer in Ostfriesland. Marlene Degenhardt und David Salomon sollten sich nicht wiedersehen, so lautete der Plan.

      Drittes und letztes Kapitel der seltsamen Geschichte war die Versorgung von Marlene Degenhardt. Vater Salomon kaufte in Leer ein Haus auf ihren Namen. Dieses kleine Gebäude war vor wenigen Jahren erbaut worden, dem neuesten Stil entsprechend mit einem quadratischen Grundriss, zweistöckig und mit einem Dach in Form einer flachwinkligen Pyramide. Unten zogen die Eltern und die kleine Karin ein, oben wohnte Fräulein Marlene. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass sie in den folgenden Jahren den Beruf der Buchhalterin erlernte.

      Und hier endet die merkwürdige Geschichte, denn man schrieb mittlerweile das Jahr 1932.

      Wie schon erwähnt, war Vater Salomon ein sehr kluger und weitsichtiger Mann. Viele seiner Glaubensbrüder konnten sich nicht vorstellen, welches Schicksal wenige Jahre später über sie hereinbrechen sollte, Vater Salomon schon. Mit dem Kauf des Hauses für Marlene hatte er sein letztes Geld ausgegeben. Die Fertigungsateliers waren bereits verkauft, der Erlös in die USA transferiert und im Herbst des letzten Jahres der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland verließ die gesamte Familie Salomon ihre Heimat.

      Marlene arbeitete für einige Zeit in einem größeren Leeraner Industrieunternehmen. Als ihr jedoch der Hauptbuchhalter in sehr unangenehmer Weise zu nahe kam, ergriff sie die Flucht. Sie kam auf die Idee, kleineren Firmen, oftmals Familienbetrieben, die sich keine eigene Buchhalterin leisten konnten, ihre Tätigkeit tageweise anzubieten. Zunächst waren ihre potenziellen Kunden wenig erbaut, befürchteten sie doch das Entstehen gewisser Interessenskonflikte. Dieses Problem löste Marlene auf einfache Art. Sie arbeitete niemals für zwei Firmen in derselben Branche gleichzeitig, legte außerdem die Namen ihrer Auftraggeber jeweils offen und hielt sich strikt an ihre selbst auferlegte Schweigepflicht. Mögliche Probleme brauchte daher keiner zu fürchten, da sie auf diese Weise gar nicht erst entstanden.

      Im Übrigen mochte Marlene, diese aparte Erscheinung mit ihren feinen Gesichtszügen und langen dunkelbraunen Haaren, mit Männern nichts mehr zu tun haben. Sie kleidete sich fortan sehr unvorteilhaft und band ihre Haarpracht zu einem strengen Dutt. Zeit ihres Lebens bestand sie darauf, als Fräulein angesprochen zu werden.

      Marlene Degenhardt wird in dieser Erzählung noch bei zwei eigenwilligen, den jeweiligen Zeitgeist geradezu karikierenden Ereignissen eine Rolle spielen.

      3 – Wotans Mickymaus

      Im November 1928 erschien der erste Micky-Maus-Film unter dem Titel »Steamboat Willie« in den US-Kinos. Im Jahre 1930 kam der Streifen über den Atlantik und wurde auch in Deutschland schnell populär. Hier entwickelte sich eine besondere Version der Trickfilmfigur, die im folgenden Kapitel eine Rolle spielen wird.

      *

      Rheidersum, Mittwoch, 15. Mai 1935

      Die mechanische Türglocke läutete Sturm, unterbrochen nur von einem Hämmern gegen die Haustür, gefolgt von verzweifelten Rufen, und das morgens um halb sechs. Ilse Feenders lief zur Tür, öffnete sie und wurde fast umgerannt. Marga Strodt­hoff, ihre Schwägerin, stürzte in den Flur, zitternd am ganzen Körper, weinend, völlig aufgelöst.

      »Marga, was ist mit dir, was ist passiert?«

      »Sie haben ihn abgeholt. Wo ist mein Bruder? Er muss helfen!«, stieß sie hervor.

      »Helfried ist noch im Stall beim Melken. Und wer hat wen abgeholt?«

      »Theo haben sie gerade geholt! Die Gestapo!«

      »Warum? Moment eben!« Mit lauter Stimme rief Ilse Feenders: »Lilli, hol Papa aus dem Stall. Es ist etwas passiert. Er soll schnell kommen!«

      Elisabeth, die fünfzehnjährige Tochter, hastete die Treppe herunter, lief durch den langen Flur, riss die Tür auf und verschwand in der Diele, die in den angrenzenden Stall führte.

      Keine Minute später stand Helfried Feenders vor seiner von Weinkrämpfen geschüttelten Schwester: »Marga, nun komm. Wir gehn jetzt in die Stube, da vertellst du uns alles!« Er schob sie zum Sofa, drückte sie auf die Polster und setzte sich neben sie: »Was ist passiert?«

      Marga antwortete schluchzend und stoßweise: »Die – Gestapo – hat – Theo – abgeholt!«

      »Warum? Haben sie etwas gesagt?«

      »Nee, das würde er schon auf der Dienststelle erfahren!«

      Ilse Feenders drückte ihrer Schwägerin ein Glas Korn in die Hand: »Trink das, damit du wieder beikommst!«

      Helfried ergriff das Glas und führte es seiner Schwester zum Mund.

      »Bah, Schnaps am frühen Morgen!«

      »Wenn die Gestapo kommt, reicht ’ne ganze Buddel nicht!«, entgegnete Helfried. »Mal ehrlich, hat Theo vielleicht den Schnabel wieder zu weit aufgemacht?«

      »Du meinst …?«

      »Ich weiß es nicht, ist nur so ’ne Vermutung. Was er von den Braunen hält, hat er ja oft genug gesagt.«

      »Was

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