Feenders. Jürgen Friedrich Schröder
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»Wo ist denn das? Und wann?«
»Das findet in der Nähe von Hameln statt, am 4. Oktober.«
»Da hast du ja noch ’n büschen Zeit.«
»Das schon, aber ich habe mal bei Mama vorgefühlt und die war nicht gerade begeistert! Da wird Papa bestimmt ablehnen.«
»Was bekomme ich, wenn ich dir ’nen todsicheren Tipp gebe?«
»Georg!«
»Lass hören, Schwesterherz!« Georg grinste schon wieder.
»Na gut, eine Tafel Schokolade.«
»Abgemacht! Also, du erklärst unseren Eltern, dass du unbedingt zur Olympiade nach Berlin möchtest. Die ist im August.«
»Was soll das denn? Das will ich gar nicht. Außerdem, in die Großstadt lassen sie mich garantiert nicht.«
»Bist du heute schwer von Begriff. Du sollst doch nur so tun!«
»Und wozu?«
»Na, du gehst ihnen ordentlich auf den Wecker damit. Du erklärst ihnen, dass deine Glückseligkeit davon abhinge! Und wenn sie so richtig genervt sind, sagst du schließlich, du würdest dich notfalls auch mit dem Reichserntedankfest zufriedengeben, obwohl das ja kein vollwertiger Ersatz sei. Sollst mal sehn, wie sie dir dann zustimmen.«
»Georg, du bist vielleicht ein Schlitzohr!«
Das freche Lausbubengrinsen ihres kleinen Bruders wurde noch breiter und er sagte ganz trocken: »Tja, man kann ruhig dumm sein, man muss sich nur zu helfen wissen. Denk an die Schokolade!«
Elisabeth fuhr zum Reichserntedankfest. Das Borromäus-Hospital3, in dem sie seit einiger Zeit als Lernschwester arbeitete, hatte ihr außer der Reihe und ausnahmsweise freigegeben. Am besagten Tag wanderte sie mit ihrer Nachbarin in aller Herrgottsfrühe zum Bahnhof in Leer.
Zwei Tage später, gegen Abend, kehrte sie todmüde, aber sehr vergnügt zurück.
»Und?«, fragte Georg. »Wie war’s?«
»Fantastisch!«
»Ja, nun erzähl schon!«
»Also, einen durchgehenden Zug gab es nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen. Oldenburg, Hannover, dort haben wir schnell etwas gegessen. Endlich kamen wir in Hameln an. Dieser letzte Zug war brechend voll. Zuerst sind wir in die Innenstadt gegangen. So schöne Fachwerkhäuser hab ich überhaupt noch nicht gesehen. Einfach toll. Und alles geschmückt mit Fahnen, Girlanden und Birkenzweigen. Nun wollten wir Kaffee und Kuchen haben, aber alle Cafés waren …«
»… brechend voll!«, unterbrach Georg sie.
»Schlauberger! Schließlich fanden wir einen Platz. Wir hatten unseren Kuchen gerade mal halb auf, da kam der Kellner schon wieder und sagte zu uns, wir möchten jetzt bitte gehen, andere deutsche Volksgenossen wollten sich auch noch stärken. Wir haben dort nicht einmal eine Viertelstunde sitzen können! Egal. Wir also wieder zum Bahnhof und rein in den nächsten Sonderzug, der uns zum Festgelände brachte. Man hatte dort extra eine kleine Station gebaut. Die hatte so einen komischen Namen, Tündernscher Bahnhof. Danach mussten wir noch ein ziemliches Stück laufen, bis wir endlich zum Bückeberg kamen. Ein Fesselballon zeigte uns den Weg in dem Gewühl. Solche Menschenmassen hast du noch nicht gesehen. Dort traten Trachtengruppen und Musikkorps der SA und Wehrmacht auf. Das wollte ich einfach mal erlebt haben. Es war wundervoll!«
»Und?«, fragte Georg gespannt. »Hast du unseren Führer gesehen?«
»Den Adolf?« Lilli lachte. »Ja, den habe ich gesehen. Oder besser gesagt gehört. Das war nämlich der kleine schreiende Punkt in der Ferne!«
Alle aus der Familie hörten sich gerne Lillis Erlebnisse an. Nur Theodor Strodthoff wechselte mit seiner Nichte kein einziges Wort darüber. Ihr Onkel ging ihr in den folgenden Tagen geradezu aus dem Weg. Der überzeugte Sozialdemokrat hatte schon vor Zeiten in seinem nunmehr stummen Protest im Kontor ein Porträt von Otto Wels angebracht. Onkel Theo hatte ihr einmal vom früheren Vorsitzenden der SPD erzählt. Dieser hatte in seiner letzten freien Rede im Deutschen Reichstag gesagt, man könne ihnen Freiheit und Leben nehmen, die Ehre aber nicht. Nach dem Ausschluss der KPD aus dem Parlament hatte nur noch die SPD gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt. Es reichte nicht mehr, die Nationalsozialisten von der uneingeschränkten Macht fernzuhalten.
Elisabeth war ein wenig unglücklich über das Verhalten ihres Onkels. Sie wagte es aber nicht, ihn darauf anzusprechen. Sicher, im Umerziehungslager hatten sie ihn schrecklich gequält. Andererseits, hatte sie nun irgendetwas Schlimmes getan, weil sie zu diesem größten Fest der nationalsozialistischen Bewegung gefahren war? Sie hatte doch nur ihren Spaß haben und diese gewaltige Veranstaltung einmal selbst erleben wollen, von der ihr schon mehrfach vorgeschwärmt worden war. Und es war auch wirklich beeindruckend, so viele begeisterte Menschen, so viele schöne Darbietungen.
Nur eines hatte ihr zu denken gegeben auf dieser imposanten Kundgebung. Das war die Vorführung der Wehrmacht. Die Truppen eroberten ein Dorf, das daraufhin in Flammen aufging. Natürlich waren es Theaterkulissen, die dort zerstört wurden. Unwillkürlich hatte sie bei diesem Anblick wieder an Onkel Theos Worte denken müssen. Wie hatte er gesagt? Hitler will Land im Osten gewinnen, weil wir angeblich ein Volk ohne Raum seien. Weißt du, was das in letzter Konsequenz bedeutet? Krieg – das gibt den nächsten Krieg!
Ihrer Familie hatte sie von dieser Inszenierung militärischer Gewalt nichts erzählt. Ihr war es wie ein Menetekel erschienen.
Elisabeth fand keinen gedanklichen Schluss zu den Eindrücken dieses Festes, die sich letztlich als zwiespältig erwiesen. Ein Jahr später fuhr sie nicht mehr zum Reichserntedankfest, dem letzten, das die Nationalsozialisten am Bückeberg bei Hameln veranstalteten.
3 Späteres Marinehospital beziehungsweise Marinelazarett. Nach dem Krieg wieder in Borromäus-Hospital umbenannt.
5 – Was geschah in der Pfännergasse?
Nachdem die Nationalsozialisten im März 1933 in Deutschland endgültig die Macht übernommen hatten, setzten sie sehr bald alles daran, sich diese auch in Österreich anzueignen, dem Heimatland Hitlers. Ihre intensive Untergrundarbeit gipfelte am 25. Juli 1934 zunächst im sogenannten Juliputsch. Etwa einhundertfünfzig illegale Nationalsozialisten, getarnt als Offiziere und Soldaten des Bundesheeres, überrumpelten die Wache des Kanzleramtes in Wien. Bei dem nachfolgenden Handgemenge wurde Bundeskanzler Dollfuß von zwei Kugeln zweier Putschisten tödlich getroffen. Das österreichische Bundesheer lief keineswegs zu den Aufrührern über, sondern schlug den zeitgleich an mehreren Orten losgebrochenen Aufstand blutig nieder. Es folgten weitere Jahre der NS-Untergrundarbeit. Am 12. Februar 1938 zitierte Hitler den amtierenden Bundeskanzler Österreichs, Kurt Schuschnigg, zu sich nach Berchtesgaden. In einem zweistündigen Gespräch setzte Hitler den österreichischen Kanzler derart unter Druck, dass dieser der Berufung von Arthur Seyß-Inquart zum Innenminister und der Legalisierung der österreichischen Nationalsozialisten zustimmte. Am 9. März kündigte Schuschnigg für den 13. März überraschend eine Volksabstimmung über die weitere Unabhängigkeit Österreichs an. Diese wollte er mittels restriktiver Teilnahmevoraussetzungen zu seinen Gunsten entscheiden. Hitler setzte