Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket). Bernt Engelmann
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Читать онлайн книгу Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket) - Bernt Engelmann страница 13
»Riccardo, Madame de Lautrecs Pudel muss ausgeführt werden – aber nur fünf Minuten, sonst erkältet er sich! Bring die Zeitungen mit und Zigaretten für Mrs. Campbell – sie sagt, du kennst ihre Marke. Halt, Riccardo, nimm auch die Post mit …«
»Riccardo, rasch, Signore Petersen wird aus Kopenhagen verlangt – er muss in der Bar sein oder im Restaurant – ein Dicker mit roten Haaren …«
»Riccardo – du musst mal eben mit den Herrschaften, die heute aus Berlin gekommen sind, zu Raffael, gleich nebenan an der Ecke der Via Veneto! Sie wollen Schuhe einkaufen – erkläre ihnen unterwegs, dass es kein besseres Schuhgeschäft in Rom – was sage ich! –, in ganz Italien gibt als Raffael. Und vergiss nicht, Signore Raffael einen Gruß von mir auszurichten – er weiß dann schon Bescheid!«
»Hör zu, Riccardo, diese Blumen sollst du der Dame auf Zimmer 485 bringen, und dazu diesen Brief! Aber, pass auf: Ihr Mann, der Commendatore Grandi, darf nichts davon wissen. Du sagst, die Direktion erlaube sich, der Signora respektvolle Glückwünsche auszusprechen, und den Brief steckst du ihr heimlich zu, verstanden?«
»Riccardo, presto! Nimm rasch ein Taxi und fahre zur Farmacia Internazionale – für Lady Twittenham-Jones. Sie braucht dringend Pilgrim’s Yellow Cough-Lozenges – keine anderen! Nein, ein Rezept ist nicht erforderlich – es sind einfache Hustenbonbons … Halt, Riccardo, lass auf dem Rückweg das Taxi am Ambassadore halten. Dr. Löwenstein will für heute einen ruhigen Tisch für sechs Personen, 20.30 Uhr … Sag Signora Laura, der dottore sei ein sehr guter Gast, und ich hätte schon ein Dutzend Mal bei ihr angerufen – entweder war besetzt oder keiner geht bei ihr ans Telefon!«
»Riccardo! Was, du hast schon Dienstschluss? Pass auf, das kannst du auf dem Heimweg erledigen: Signora Popolescu will diesen Brief besorgt haben – an ihren Astrologen in der Via Boncompagni, also kein großer Umweg für dich … Es ist äußerst dringend, weil Signore Popolescu übermorgen nach Bukarest zurückreisen muss und bis dahin sein Horoskop braucht. Und erkundige dich, ob das blonde Haarteil der Signora sich angefunden hat – wenn ja, bring es morgen früh vor der Schule rasch vorbei – ciao, Riccardo!«
Während Putti zur Via Boncompagni radelte, überlegte er: Von Madame Popolescus Astrologen war kein Trinkgeld zu erwarten, für die Ablieferung des Toupets, falls es gefunden worden war, ebenfalls nicht, denn Signore Luigi, der Portier, würde es beim Hotelfriseur aufkämmen lassen und der Besitzerin selbst überbringen. Dafür hatte Lady Twittenham-Jones ihn überreichlich belohnt, als er ihr auf einem silbernen Tablett die richtigen Hustenbonbons aufs Zimmer brachte, und Dr. Löwenstein, der fünf Personen im Ambassadore bewirten konnte und ein sehr guter Gast sein sollte, fiel zwar aus als Trinkgeld-Spender für die Tischbestellung, weil da Signore Luigi in der Vorhand war; er konnte aber vorgemerkt werden für Bücher und Zeitungen, die in Deutschland verboten waren.
Der Schuheinkauf mit den deutschen Gästen hatte sich in vielfacher Hinsicht als lohnend erwiesen: Erstens waren es berühmte Filmschauspieler gewesen – Hans Albers und Gustav Fröhlich hatte er sofort erkannt! Dass der dritte Jan Kiepura war, hatte er erst später erfahren. Zweitens war er für seine Dolmetscherdienste mit einem fürstlichen Trinkgeld bedacht worden, und drittens hatte sich Signore Raffael, der Inhaber des eleganten Geschäfts, ebenfalls erkenntlich gezeigt: »Such dir ein Paar Schuhe aus, Riccardo«, hatte er gesagt, »ich schenke sie dir! Und grüße Signore Luigi von mir! Solche Kunden soll er mir jeden Tag schicken!«
Für die Ablieferung der Blumen und des Briefes bei den Grandis war er doppelt und sehr reichlich belohnt worden – erst vom commendatore, der sich geschmeichelt gefühlt hatte, weil die Hoteldirektion seiner Frau Blumen aufs Zimmer schickte, dann etwas später von der Signora für seine Diskretion bei der Überbringung des Briefs.
Madame de Lautrec und ihr Pudel waren eine sichere Einnahmequelle und würden es für die nächsten 14 Tage bleiben – er hatte sich erkundigt –, und Mrs. Campbell, deren darling er war, weil er ihr ständig Zigaretten der richtigen Marke besorgte, ebenfalls, denn auch sie gedachte noch eine Weile in Rom zu bleiben und war sehr großzügig.
Lord Seymour hingegen war ein Geizkragen, der angeblich nie Kleingeld bei sich hatte, nicht einmal für ein Telegramm und die zweimalige Anrede Mylord … Einen Ausgleich dafür aber bot die hagere principessa, die für drei Wochen nach Rom gekommen war; ihr Empfang auf dem Bahnsteig war ihm gut geglückt, und sie hatte ihm, bevor sie ins Taxi stieg, ein nobles Trinkgeld zukommen lassen und ihn nach seinem Namen gefragt, damit sie ihn rufen lassen könnte, wenn sie Besorgungen durch ihn erledigen lassen wollte.
Alles in allem, so befand Putti, konnte er mit den pekuniären Ergebnissen dieses Nachmittags durchaus zufrieden sein, desgleichen mit den Aussichten auf die nähere Zukunft. Er würde bald die seit Langem geplante Anschaffung eines Tennis-Dress vornehmen können, sogar die der dazugehörigen weißen Kappe, und damit würde er, wie einige seiner Mitschüler es taten, sich in der gelateria eine große Coppa Hawai bestellen und den gleichaltrigen ragazze mächtig imponieren …
Zu Puttis angenehmer Überraschung gab ihm der Astrologe, nachdem er den Brief gelesen und ihm das in Seidenpapier verpackte Haarteil der Madame Popolescu ausgehändigt hatte, doch noch ein – sogar recht anständiges – Trinkgeld; vermutlich hatte ihn die Nachricht von der baldigen Abreise des Gatten seiner Kundin in Geberlaune versetzt. Putti nahm dies als ein glückliches Vorzeichen für die weitere Entwicklung seiner Finanzen.
Auch wegen der Schule brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Französisch bereitete ihm keine großen Schwierigkeiten, zumal es hauptsächlich galt, Texte von Molière und Racine, Fabeln von Lafontaine und ganze Kapitel aus Chateaubriands Aventures du dernier des Abencérages auswendig zu lernen, was ihm verhältnismäßig leichtfiel. In Italienisch war er besser als die meisten seiner Mitschüler, sämtlich Ausländer, die in der Mehrzahl noch nicht so lange in Italien lebten wie er. Im Deutschunterricht nahmen sie glücklicherweise Schillers Tell durch, und von den übrigen Fächern machte ihm nur Englisch einige Mühe, wenn die Anforderungen über das hinausgingen, was die Besorgung von Hustenbonbons, Ansichtskarten oder Zigaretten ihm täglich abverlangte. Aber, so fand er, Englisch würde er ja wohl ohnehin nie in größerem Umfang benötigen, nachdem Großbritannien gerade ein Flottenabkommen mit Hitler geschlossen hatte.
Überhaupt wollte Putti in Italien bleiben, wo es auch seinen Eltern gefiel, nachdem sie sich eingelebt hatten.
Seine Mama, die den kleinen Haushalt versah und inzwischen so viel Italienisch gelernt hatte, dass sie sich mit den Nachbarn, in den Geschäften und mit dem freundlichen Hausmeister Peppino gut verständigen konnte, hatte anscheinend kein Heimweh mehr und sagte zu Georg Krauss und anderen guten Freunden, die aus Deutschland zu Besuch kamen: »Ich beneide euch nicht, dass ihr zurück nach Berlin fahren könnt … Ich bin froh, dass wir in Rom leben – ich möchte nirgendwo anders sein!«
Sein Papa fühlte sich ebenfalls wohl in Rom, allerdings – wie Putti wusste – sehnte er sich nach seiner großen und angesehenen Anwaltspraxis. In Cinecittà war er ja nur ein Angestellter, zwar mit auskömmlichem Gehalt und dem Chef als Freund, aber eben nicht mehr sein eigener Herr. Für die Schauspieler allerdings war er, der dottore, die wichtigste Persönlichkeit: Von ihm bekamen sie ihre Verträge, er war es, dem sie ihre Wünsche und Beschwerden vortrugen und der dann alles und meist zur allseitigen Zufriedenheit regelte, und außerdem zahlte er ihnen die Gagen aus.
Einmal war Putti dabei gewesen, als der Papa mit einer dicken Aktentasche voller Banknoten in sein kleines Büro ging, vor dessen Tür schon einige der Darsteller warteten. Einer der Jüngeren hatte sich dann mit ihm unterhalten, ihm geraten, doch auch zum Film zu gehen; eine große Karriere wäre ihm