Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket). Bernt Engelmann

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Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket) - Bernt Engelmann

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Curt schon gesagt hat: ›Ich weiß gar nicht, warum ich so lange studieren musste – nur weil Onkel Moritz keine Ahnung davon hatte, dass ein Hotelpage mehr verdient als ein preußischer Gerichtsassessor …‹ Putti ist mächtig gewachsen, schon größer als ich und fast so groß wie sein Vater. Die hiesige Deutsche Schule war, wie Hetty sagen würde, ›etwas diffizil‹ und wollte ihn nicht haben; die italienischen Gymnasien haben eine zu schwere Aufnahmeprüfung, und so blieb uns nur das Lycée Chateaubriand, eine französische Anstalt für Diplomatenkinder, privat und unverschämt teuer. Er hat einen weiten Schulweg und fährt jeden Morgen mit dem Rad durch die halbe Stadt, was mich täglich aufs Neue in Angst versetzt. Doch er fühlt sich dort und überhaupt, seit wir in Rom sind, recht wohl. Die Pagenstellung hat ihm Willy K., Curts Chef, verschafft, der schon seit anderthalb Jahren im sehr vornehmen ›Excelsior‹ wohnt (auf Spesen natürlich!) und wirklich sehr nett und hilfsbereit ist. Seine Frau Anni und er laden uns häufig zum Essen ein, und heute können wir uns zum ersten Mal revanchieren: Sie kommen gleich zur Einweihung unserer Wohnung …

      Dieser Abend mit Willy und Anni Karol begann mit einer freudigen Überraschung, denn gleich beim Betreten der Wohnung sagte Herr Karol: »Ich habe mir erlaubt, euch, außer Blumen, noch eine Kleinigkeit mitzubringen …«

      Dann öffnete er noch einmal die Wohnungstür, und hereinkam – Georg Krauss!

      Er war erst vor einer Stunde aus Berlin angekommen und wusste viel zu berichten: Die Aufrüstung in Deutschland wäre in vollem Gange. Unter Bruch des Versailler Vertrags ließe Hitler die deutschen Streitkräfte verfünffachen, und es gäbe auch bereits, vorerst noch getarnt, eine Luftwaffe!

      »Du meinst, es gibt bald Krieg?«, fragte Curt besorgt. Aber Krauss schüttelte den Kopf.

      »Vorerst noch nicht – die Nazis brauchen noch einige Jahre, bis sie sich dazu stark genug fühlen, und bis dahin wird Hitler, dieser scheinheilige Halunke, aller Welt seine Friedensliebe beteuern. Göring ist gerade nach Polen gefahren und versichert den Generalen dort, dass sie keine zuverlässigeren Freunde hätten als die Nazis, und Ribbentrop reist demnächst nach London. Ich wette, er schließt mit den Engländern eine Art Freundschaftsabkommen und verspricht ihnen, Hitler werde nur ganz wenige Schlachtschiffe und U-Boote bauen lassen …«

      »Dann besteht also keine Hoffnung, dass das Ausland eingreift und mit militärischem Druck dem Spuk ein Ende macht?«, fragte Karol.

      »Weniger denn je«, erwiderte Krauss. »Die Engländer und Franzosen nehmen alles hin. Außenpolitisch hat der Schurke einen Erfolg nach dem andern, und er sitzt fest im Sattel. Nur mit Mussolini hat es Ärger gegeben, als im letzten Sommer die Nazis in Österreich zu putschen versuchten und dabei den Freund des Duce, den kleinen Diktator Dollfuß, ermordet haben. Aber Italien allein kann Hitler ja kaum gefährlich werden.«

      »Uns kann es nur recht sein, wenn die Freundschaft zwischen Hitler und Mussolini in die Brüche geht«, stellte Karol fest, aber Dr. Krauss meinte düster: »Pack schlägt sich, Pack verträgt sich … Wir sollten nicht darauf bauen!«

      Tags darauf, als sie allein waren, sagte Georg Krauss zu Curt: »Ich habe dir Geld mitgebracht – reg dich nicht auf! Ich weiß, es ist streng verboten, aber es ist ja schließlich dein Geld, das du ehrlich erworben und versteuert hast, und du brauchst es … Außerdem ist ja auch alles gutgegangen!«

      Curt Eichelbaum war ganz aufgeregt.

      »Um Himmels willen, Georg! Wenn sie dich erwischt hätten! Es wäre entsetzlich! Bitte, mach das nicht wieder! Ich will nicht, dass du unsertwegen deinen Kopf riskierst …« Er drückte ihm dankbar die Hand. »Versprich mir, dass damit jetzt Schluss ist – wir brauchen es ja auch nicht mehr so dringend …«

      »Umso besser! Dann zahle ich es auf dem Rückweg in Zürich auf dein Konto – du hast doch noch etwas in der Schweiz gelassen?«

      Curt nickte. »Ja, lass es in Zürich. Dann haben wir etwas mehr in Reserve für alle Fälle. Man weiß ja nie … – obwohl wir uns hier meiner Meinung nach sicher fühlen können. In einem paese sano come l’Italia, einem gesunden Land wie Italien, hat Mussolini erst kürzlich erklärt, gäbe es keine questione di razza, keine Rassenprobleme. Und tatsächlich macht man uns nicht die geringsten Schwierigkeiten.«

      »Weil Karol gute Beziehungen zu den Faschisten hat«, stellte Georg Krauss trocken fest, »und weil du dich weder früher noch jetzt politisch betätigt hast … Übrigens, bekommt man hier das Pariser Tageblatt …?«

      Das Ehepaar Willy und Anni Karol in Rom, 1938

      Das wurde von dem hochbetagten Georg Bernhard, dem langjährigen Chefredakteur der einst sehr angesehenen, inzwischen eingestellten Berliner Vossischen Zeitung seit 1933 in Paris herausgegeben. Für jeden Nazigegner, der aus Deutschland kam, wo die Presse nur noch einseitig im Sinne der Nazis berichtete, waren solche in Prag und Paris erscheinenden Zeitungen der politischen Emigration begehrte Informationsquellen, ebenso die – im Reich verbotene – Basler National-Zeitung.

      Georg Krauss war auch begierig auf ein Buch des früheren sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Gerhart Seger, der Ende 1933 aus dem Konzentrationslager Oranienburg bei Berlin hatte fliehen können und über die dort an den Gefangenen verübten Gräuel detailliert berichtet hatte. Aber Curt Eichelbaum erklärte ihm, solche Bücher wie auch die Emigrantenpresse wären in Italien verboten. Sie würden wohl eingeschmuggelt und illegal angeboten, aber damit wollte er nichts zu tun haben – er hielte sich strikt an die Vorschriften.

      »Ich werde Putti bitten, mir das eine oder andere zu besorgen«, sagte Georg Krauss, aber Curt und Lottchen riefen wie aus einem Munde: »Nein, Georg, bitte – du bringst den Jungen in Gefahr!«

      Er musste ihnen versprechen, Putti nicht mit solchen Wünschen zu behelligen, die ihn mit dem Gesetz in Konflikt bringen würden. Curt meinte, der Portier des Excelsior, wo Krauss abgestiegen war, wäre die richtige Adresse; er hätte von Karol gehört, dass der Concierge häufig für deutsche Hotelgäste »solche verbotenen Sachen« besorge …

      Als Dr. Krauss dann später dem Portier seinen Wunsch zuflüsterte, nickte dieser nur, ließ den ihm zugeschobenen Geldschein in seiner Tasche verschwinden, schnippte mit den Fingern, und als daraufhin ein stämmiger Hausdiener auftauchte, erkundigte er sich: »Weißt du, wo Riccardo steckt? Ah, richtig! Er führt den Hund aus … Wenn er zurückkommt, Umberto, schick ihn gleich zu mir!« Und zu Krauss gewandt: »Bitte gedulden Sie sich ein wenig, dottore, der Page ist noch unterwegs. Er ist der Spezialist für diese Dinge – ich lasse sie Ihnen auf Ihr Zimmer bringen! Sie finden sie dort vor, wenn Sie zu Bett gehen.«

      Krauss dankte ihm und ging eilig davon. Ehe der Page Riccardo zurückkam und seinen Auftrag entgegennahm, wollte er das Hotel verlassen haben; er hatte es ja Curt versprochen, Richard aus dem Spiel zu lassen.

      Putti versah seinen Dienst im Excelsior täglich von 15 bis 20 Uhr, an jedem zweiten Sonntag von 8 Uhr morgens bis zum frühen Nachmittag. Seine Aufgaben waren vielfältig und meist lohnend:

      »Riccardo, gut, dass du pünktlich kommst! Du musst gleich zur Stazione Termini – nimm dein Fahrrad, dann bist du schneller dort. Die principessa Pignatelli trifft mit dem Ràpido aus Bologna ein – 15.16 Uhr, Gleis 9, der erste Wagen 1. Klasse. Du wirst sie erkennen – sie ist groß und hager und trägt Hüte wie Wagenräder. Hilf ihr beim Aussteigen und geleite sie und ihre Gesellschafterin zum Taxi – mehr nicht. Ums Gepäck kümmert sich Umberto, den habe ich schon losgeschickt, aber er ist ein Grobian – er würde der principessa den Arm auskugeln … Halt, Riccardo – auf

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