Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket). Bernt Engelmann

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Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket) - Bernt Engelmann

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Besinnung bringen – solche Blamage vor der Weltöffentlichkeit kann er sich nicht leisten … Donnerwetter! Schmeling hat in New York den Kampf um die Weltmeisterschaft verloren – gegen den jüdischen Boxer Max Baer! Na, das freut mich aber – das wird die Nazis furchtbar ärgern!«

      »Sie werden sagen: Das kommt davon, wenn man sich mit Juden einlässt«, hielt ihm seine Frau entgegen.

      Putti aber, der sich dann die Sportseite erbat, fühlte sich hin und her gerissen. Ausgerechnet Maxe, sein Idol und das aller seiner Freunde, durch K. o. in der zehnten Runde um die fast sichere Weltmeisterschaft gebracht! Hätte es nicht ein anderer sein können, irgendein Muskelprotz von der SA? Andererseits war es natürlich eine tolle Sache, dass es ein jüdischer Boxer den Deutschen mal richtig gezeigt hatte und gegen den großen Max Schmeling Sieger geworden war!

      »Ich weiß nicht«, meinte dazu seine Mutter. »Juden sollten sich nicht so vordrängen – es genügt doch, wenn man der Zweit- oder Drittbeste ist …«

      »Und was ist mit Einstein?«, fragte Putti.

      Die Eltern lachten.

      Als sie durch den St.-Gotthard-Tunnel fuhren, hörte Putti den Vater sagen: »So, Lottchen, jetzt haben wir auch die Sprachgrenze hinter uns – gleich sind wir im Ticino, im Tessin, und da wird nur noch Italienisch gesprochen!«

      Es schien ihn zu freuen, Putti aber erschrak.

      Gewiss, der Papa konnte sich auf Italienisch unterhalten. Er liebte diese Sprache, die wie Musik klang. Aber was sollte er jetzt machen? Außer mit den Eltern würde er mit niemandem mehr reden können!

      Hoffentlich, dachte er, bekommt Papa heute Abend von dem Schweizer Herrn ein gutes Angebot, und wir können dann in Zürich wohnen oder in einer anderen Stadt, wo Deutsch gesprochen wird, auch endlich die Kisten auspacken, die noch beim Spediteur stehen, und die elektrische Eisenbahn aufbauen …

      Also drückte er die Daumen, dass Herr Dr. Hürlimann Papa helfen würde.

      Es war ein kleiner, schon ziemlich alter Herr mit weißen Haaren, der dann im Hotel mit ihnen das Abendessen einnahm – nur eine Tasse Bouillon, etwas Quark und einen Apfel, denn er hatte einen äußerst schwachen Magen, und aus Rücksicht auf Herrn Dr. Hürlimann aßen sie das Gleiche.

      Nach dem frugalen Mahl zogen sich die beiden Herren in ein Nebenzimmer zurück. Dr. Hürlimann, vom Hoteldirektor selbst unter vielen Verbeugungen dorthin begleitet, bestellte für die Unterredung eine Flasche kohlensäurefreies Mineralwasser mit zwei Gläsern und erklärte, dies ginge nun auf seine Rechnung.

      Das Gespräch dauerte nicht sehr lange.

      »Ich war froh«, hörte Putti seinen Vater davon berichten, »als er um halb zehn Uhr aufstand und sagte, er wäre es gewöhnt, um diese Zeit zu Bett zu gehen … Dieser Geizkragen! Allein in Deutschland hat er Abermillionen in Beteiligungen stecken. Ihm gehören Kinos, Filmgesellschaften, Varietés, Tanzpaläste und halbseidene Klubs. Außerdem hat er stille Beteiligungen an Flugzeug- und anderen Werken – doch sogar das abscheuliche Mineralwasser hat er zu bezahlen ›vergessen‹!«

      »Das ist doch unwichtig, Curtchen, vergiss die Hauptsache nicht!«

      »Die Hauptsache war, dass er mich ausgefragt hat, ob Gefahr bestände, dass die Nazis seine Nachtbars und ähnliche Lokalitäten schließen könnten, was ich leider verneinen musste, und ob schon aufgerüstet werde, was er sich erhofft, ich hingegen befürchte und vermute, aber nicht weiß …«

      »Und hat er dir ein Angebot gemacht?«

      »Allerdings – er schlug mir vor, die komplizierten Vertragswerke, die bisher meine Kollegen Krauss und Godin mit mir ausgearbeitet haben, fortan allein für ihn zu machen und zum halben Honorar! Natürlich habe ich das abgelehnt, aber er hoffte, ich würde es mir gewiss noch anders überlegen – doch da irrt er sich!«

      »Gewiss, Curtchen, eine unerhörte Zumutung, aber …«, hörte Putti seine Mutter noch sagen. Dann wurde die Verbindungstür zum elterlichen Schlafzimmer leise geschlossen, und er verstand nicht mehr, was sie noch miteinander besprachen.

      Aber er wusste jetzt, dass es mit der Schweiz nichts geworden war und dass er nun rasch Italienisch würde lernen müssen. Ein paar Worte hatte er ja schon von Papa beigebracht bekommen: Un piccolo gelato, per favore! So bekam man ein kleines Eis – aber wie erklärte man dem Mann hinter dem hohen Tresen, dass man ein großes haben wollte, oder zwar keins mit Bananen- und Melonengeschmack, sondern mit Vanille und Schokolade oder Erdbeeren? Leider konnte man, wenn man vor der Theke stand, nicht in die Gefäße sehen und dann auf das Gewünschte zeigen.

      Am nächsten Tag fuhren sie weiter nach Como. Diesmal dauerte die Fahrt nicht lange. Die Stadt, die ganz nahe der schweizerischen Grenze an einem schönen See lag, gefiel Putti sehr. Auch stiegen sie wieder in einem Hotel ab, wo alle Deutsch verstanden. Als Erstes schrieben sie dann Ansichtskarten an alle guten Freunde in Deutschland. Papa las vor, was er zu berichten hatte:

       Como. Hotel Barchetta, 15. Juni 1933.

       Meine Lieben, obiges ist unsere vorläufige Adresse. Wir werden in Como bleiben, zunächst wenigstens, und uns die Post von hier abholen. Wir sind ganz froh, so schwer der Entschluss auch war.

       Natürlich sind wir noch nicht ganz zur Besinnung gekommen. Aber die wunderbare Natur und die – innere – Ruhe, die man hier hat, sind schon etwas wert. Wir möchten gern von Euch hören – schreibt also bald!

       Sobald wir festeren Fuß gefasst haben, hört Ihr mehr von uns. Wie es beruflich sein wird, habe ich natürlich keine Ahnung. Vorläufig ist es eine Art Sommerfrische – Hochzeitsreise mit Kind.

       Herzlichste Grüße und alles Gute

       Euer Curt.

      »Und was hast du deinen Freunden zu berichten?«, fragte er Putti.

      Putti, der noch bei der ersten Karte und über die Anrede Lieber Bernt! kaum hinausgekommen war, überlegte. Schließlich sagte er: »Naja, dass es hier Palmen gibt und dass man vielleicht schwimmen gehen kann, und dass es für mich sehr langweilig ist, weil ich überhaupt keine Freunde habe und erst sehr wenig Italienisch kann …«

      Doch dieser betrübliche Zustand änderte sich schon bald. Nach knapp zwei Wochen im Hotel, wo es für Leute, die von ihren Ersparnissen leben mussten, auf die Dauer zu teuer war, fanden die Eltern ein möbliertes Ferienhaus, das zum 1. Juli zu vermieten war, und zogen dorthin um.

      Die kleine Villa lag hoch über der Stadt am Monte Maurizio. Eine steinerne Treppe mit Hunderten von Stufen und so schmal, dass sie hintereinander hinaufsteigen mussten, war zu erklimmen, und von oben hatte man eine herrliche Aussicht auf Como und den See, allerdings auch auf eine Seidenspinnerei. Das Rauschen ihrer Spindeln war so laut, dass sie die Fenster schließen mussten, damit sie sich ohne zu schreien verständigen konnten. Puttis Eltern, noch außer Atem vom steilen Aufstieg, sahen sich entgeistert an.

      »Du sagtest doch, Curtchen, es sei hier so wunderbar still – nur Vogelgezwitscher und fernes Glockenläuten …!?«

      Er nickte bekümmert und schien nachzudenken. Dann rief er: »Richtig! Die junge Frau von der Agentur sagte, sie sei im Augenblick so beschäftigt, dass sie mir das Haus erst abends, nach Geschäftsschluss, zeigen könnte, besser noch am Sonntagvormittag, weil es dann heller sei …«

      »

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