Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket). Bernt Engelmann

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Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket) - Bernt Engelmann

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sich von Hansi Burg scheiden zu lassen –, Georg Alexander, Paul Henckels, Joachim Gottschalk, Theo Lingen, Hans Moser, Henny Porten, der Sängerin Erna Sack, Leo Slezak und Eduard von Winterstein. Selbst einigen nur hinter den Kulissen, als technische oder kaufmännische Spitzenkräfte, in der Filmindustrie tätigen »Nichtariern« war wegen ihrer Unentbehrlichkeit vorerst erlaubt worden, ihren Beruf weiter auszuüben, nach Möglichkeit außerhalb der Reichsgrenzen und bei Koproduktionen mit ausländischen Filmgesellschaften.

      Zu diesen unentbehrlichen »Nichtariern«, so erfuhr Curt nun, gehörte auch sein früherer Klient Willy Karol, der ihn zu einem Cognac eingeladen hatte und ihn auszufragen begann: Ob er schon beruflich Fuß gefasst hätte, wie es mit seinen Sprachkenntnissen stehe, ob er auch komplizierte Verträge in englischer, französischer und italienischer Sprache aufsetzen könnte?

      »Hören Sie, lieber Herr Dr. Eichelbaum, Sie schickt mir der Himmel! Sie sind genau der Mann, den ich in Rom brauche! Hätten Sie Lust dazu?«

      Sie einigten sich dann, sowohl auf ein zunächst nicht allzu hohes, jedoch zum Leben ausreichendes Honorar als auch darauf, dass Curt Eichelbaum probeweise für sechs Monate zu Herrn Karol nach Rom ziehen sollte, vorerst allein, und dass die Reise- und Aufenthaltskosten von der Ufa getragen würden.

      »Auf eine Filmkarriere hatte ich eigentlich nicht zu hoffen gewagt«, sagte Curt zu Lotte und Putti, nachdem er ihnen von der Unterredung mit Herrn Karol erzählt hatte, »am allerwenigsten bei der Ufa … Werdet ihr denn eine Weile lang ohne mich zurechtkommen? Es wird bestimmt keine sechs Monate dauern. Spätestens in sechs, acht Wochen werde ich euch entweder nachkommen lassen – oder wieder hier sein …«

      »Ich werde auf Mama gut aufpassen«, erklärte Putti.

      »Und ich auf den Jungen«, sagte Lottchen. »Ich drücke uns fest die Daumen, dass es in Rom so wird, wie wir hoffen!«

      1. April 1935. Die sieben offiziellen Konzentrationslager in Deutschland werden der SS unterstellt.

      Mai 1935. Die allgemeine Wehrpflicht wird eingeführt.

      Juni 1935. Die Arbeitsdienstpflicht wird eingeführt.

      September 1935. Die »Nürnberger Gesetze« machen die Juden, aber auch christliche »Nichtarier« und »Mischlinge«, zu Menschen minderen Rechts.

      November 1935. Allen »Nichtariern« wird die Reichsbürgerschaft aberkannt.

      Oktober 1935. Der Überfall Italiens auf Äthiopien beginnt.

      Januar 1936. Den italienischen Verbänden gelingt nach Einsatz von Fliegerbomben und Giftgas gegen die Zivilbevölkerung der erste Durchbruch.

      7. März 1936. Die deutsche Wehrmacht marschiert ins bis dahin entmilitarisierte Rheinland ein.

      April 1936. In Deutschland beginnt der Propagandafeldzug gegen die moderne, angeblich »entartete« Kunst.

      Juli 1936. Mit einem Putsch faschistischer Militärs unter Führung General Francos beginnt der Spanische Bürgerkrieg.

      August 1936. Olympische Spiele in Berlin.

      Herbst 1936. Deutsche (»Legion Condor«) und italienische Truppen werden in Spanien zur Unterstützung Francos eingesetzt.

      Juli 1937. Die Japaner greifen China an und erobern Peking.

      25. September 1937. Mussolini kommt erstmals zu einem Staatsbesuch nach Berlin.

      Februar 1938. Hitler entlässt Reichswehrminister General v. Blomberg und übernimmt selbst den Oberbefehl. Pastor Niemöller kommt ins KZ.

      März 1938. Hitler lässt die Wehrmacht in Österreich einmarschieren. Über 99% in Deutschland und Österreich stimmen im April für den »Anschluss«.

       Rom

      Mitte Januar 1935 – eben war das Saargebiet, wohin sich viele politische Emigranten geflüchtet hatten, nach einer Volksabstimmung wieder deutsch geworden – bekamen wir einen langen Brief von Lotte Eichelbaum – aus Rom:

       Ihr Lieben, allzu lange habt Ihr nichts von mir gehört! Aber erst in den letzten Stunden bin ich wieder etwas zur Ruhe gekommen; die Wochen und Monate zuvor ließen mir kaum Zeit zum Schreiben. Gestern Abend brachte mir Peppino – das ist unser Hausmeister, ein sehr lieber, freundlicher und hilfsbereiter Mann, so ganz anders als die Feldwebel-Portiers unserer früheren Gegend! – meine bunten Chintz-Vorhänge, die wir damals zusammen ausgesucht haben, und die Organza-Stores für das Schlafzimmer, und er hat sie mir auch gleich aufgehängt. Sie waren zum Waschen und Spannen nach so langer Zeit in den staubigen Kisten, und nun, da sie an den Fenstern hängen, ist alles fertig eingerichtet. Ihr erseht aus alledem, dass wir endlich wieder eine richtige Wohnung mit unseren eigenen Möbeln haben und uns nach anderthalb Jahren zu Hause fühlen können! Es sind vier Zimmerchen, mit Küche, Bad und WC, alles in allem kaum größer als unser altes Wohn- und Esszimmer, wenn die Schiebetür dazwischen geöffnet war, also mehr eine Puppenstube, aber in einem schönen Neubau am Monte Mario über dem rechten Tiber-Ufer, weit im Nordosten der herrlichen Stadt, und mit einem hübschen kleinen Balkon. Doch nun der Reihe nach: Wie Ihr wisst, bekam Curt ein Angebot und fuhr nach Rom – auf den Tag genau heute vor einem Jahr! Putti und ich blieben zunächst noch in Milano, weil es ja erst nur probeweise war. Aber schon am 1. März bekam Curt einen festen Vertrag – eine große Erleichterung für uns, auch wenn die Einkünfte bescheiden sind! Eine Woche nach Ostern trafen Putti und ich in Rom ein, und wir wohnten dann, etwas beengt, in einem kleinen Hotel, bis wir diese Wohnung fanden, deren Fertigstellung sich aber hinzog – bis Mitte Dezember. Ich war schon ganz nervös, weil die Handwerker uns immer wieder vertrösteten. Wir müssen uns erst noch abgewöhnen, alles an preußischen Maßstäben zu messen; in Frankreich nennt man Leute wie uns ›les chez-nous‹, weil sie alles bekritteln und behaupten, ›chez nous‹, bei uns zu Hause, sei alles besser gewesen – mit nur einer, aber vielleicht nicht ganz unwichtigen, Ausnahme …

       Curt hat sehr viel zu tun, kommt oft erst spät aus Cinecittà (am entgegengesetzten Ende der Stadt, wo die Studios und Büros sind), und nicht selten arbeitet er dann noch zu Hause bis spät in die Nacht an den komplizierten Filmverträgen mit Hollywood, Paris und – Berlin, das für uns in immer weitere Ferne rückt … Fast vier Wochen hat es gedauert, bis Curt am vorigen Sonntag endlich die Zeit gefunden hat, seine Bibliothek einzuräumen. Als er fertig war, stand er davor wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum!

       Wir haben von dem, was in Zürich lagerte, so viel herkommen lassen, wie wir hier unterbringen können, und es traf wirklich vollständig und unbeschädigt ein! Auch von meinem Meißner Porzellan, das Ihis merkwürdiger Bräutigam damals mit Agnes’ Unterstützung eingepackt hat, ist kein Stück kaputt – es grenzt an ein Wunder! Als ich es auspackte, musste ich an die Geburtstagsfeier denken, bei der sich die Männer – ausgerechnet! – um die schräge Schlachtordnung des Alten Fritz bei Leuthen stritten und Curt mit der Rotwein-Karaffe, Ziethens Reiterei, meine schönste Bratenplatte, die Armee des zaudernden Marschalls Daun, zerschmetterte, und Curts Schwester Hetty ließ vor Schreck auch noch die Sauciere fallen … Erinnert Ihr Euch noch daran, wie wir gelacht haben, als Curt ganz entgeistert auf den verwüsteten Tisch starrte und sagte: ›Genauso war es! Die österreichische Hauptmacht war vernichtet, und Daun musste Schlesien aufgeben!‹, und Putti schrie dazu wie am Spieß … Übrigens,

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