Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket). Bernt Engelmann

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Die unfreiwilligen Reisen des Putti Eichelbaum (Steidl Pocket) - Bernt Engelmann

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in der sala und unterhielten sich mit einem ingegnére aus Ascona, der ihnen wiederholt seine Sympathie bekundet hatte; Putti hatte sich einen der neuen Mickymausfilme ansehen wollen und gesagt, dass er etwas später käme – wurden sie plötzlich von schrillen Schreien aus dem hinteren Korridor aufgeschreckt: »Hiiilfe! Hiiilfe!«

      Die Ursache blieb zunächst rätselhaft, das Abendessen verzögerte sich erheblich. Alle Gäste waren bereits versammelt. Auch Putti hatte sich längst eingefunden und saß brav zwischen seinen Eltern. Nur die Damen v. Stotz und Curtius sowie die Pensionswirtin fehlten noch.

      Schließlich erschien die noch sichtlich erregte Wirtin, gefolgt von den beiden Mädchen, die die Schüsseln mit den Spaghetti brachten. Sie tuschelten und kicherten miteinander. Die signora schilderte dann mit dramatischen Gesten, was vorgefallen war:

      Die beiden deutschen Damen glaubten, un spettro, un folletto, ein Gespenst gesehen zu haben! Ihr Fenster hätte sich von allein knarrend geöffnet, und ein kleiner buckliger Mann mit einem breitkrempigen Schlapphut, rotglühenden Augen und struppigem Bart wäre ihnen erschienen. Mit dürren grünen Fingern habe er auf sie gedeutet und sie dann in altertümlichem Deutsch mit dem baldigen Tode bedroht …!

      Unsinn natürlich, una follia, nichts als Halluzinationen dieser ohnehin etwas überspannten Damen. Man hätte sie mit Weinkrämpfen ins Bett bringen müssen, und von dottore Grimaldi wäre ihnen ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht und drei Tage strenge Bettruhe verordnet worden.

      Lotte Eichelbaum warf einen raschen Blick auf ihren Sohn, der sich aber ungerührt ganz seinen Spaghetti widmete, dann zu ihrem Ehemann, dessen Mundwinkel zuckten.

      »Curtchen, bitte! Beherrsch dich!«

      Später erkundigte sich der Papa bei Putti, ob er noch seine Trapper-Taschenlampe von Onkel Georg hätte, deren Licht, wie er sich zu erinnern meinte, auch auf Rot und Grün verstellbar wäre. Putti bestätigte beides, nicht ohne Stolz, und erbot sich, ihm die Lampe vorzuführen.

      Aber der Papa winkte ab.

      »Ich wüsste nur noch gern, ob es ein – natürlich in die Mehrzahl abgeändertes – Zitat aus dem vierten Akt war, das die Damen gehört zu haben meinen?«

      Als Curt dann zu Lottchen ins Nebenzimmer zurückkehrte, nickte er nur, aber sie gab sich damit nicht zufrieden.

      »Nun sag schon: Welche Stelle aus dem Tell war es?«

      Curt flüsterte, wie wenn er am Wiener Burgtheater spielte und noch im dritten Rang gehört werden wollte, auch mit dem entsprechenden Pathos: »Macht eure Rechnung mit dem Himmel, Weiber! Fort müsst ihr! Eure Uhr ist abgelaufen … Es ist zwar sehr frei nach Schiller, hat aber offenbar Eindruck gemacht.«

      »Warst du sehr streng mit ihm?«

      »Ich sah dazu keinen Anlass. Auch sagte er: ›Ich hab’ getan, was ich nicht lassen konnte!‹ – ebenfalls aus dem Tell …«

      Putti, der nebenan angestrengt gelauscht hatte, hörte seine Eltern zum ersten Mal seit Wochen wieder richtig lachen.

      Als er am nächsten Tag aus der Schule kam, berichtete er seiner Mutter voller Freude, er wäre von Herrn Dr. Zumsteg in Deutsch sehr gelobt und mit der besten Note bedacht worden. Sie freute sich und erlaubte ihm, ins Kino zu gehen. Dann fiel ihr etwas ein, und sie fragte: »Habt ihr vielleicht heute Wilhelm Tell durchgenommen?«

      »Ja, endlich! Und ich kam gleich zu Anfang dran, weil ich der Einzige war, der das Stück schon kannte. Ich habe es ausführlich erzählt und konnte sogar einiges auswendig zitieren!«

      »Fabelhaft«, fand Puttis Mutter. »Da sieht man mal wieder, wie nützlich die gründliche Beschäftigung mit Klassikern sein kann … Übrigens, vielleicht solltest du es jetzt mal mit Shakespeares ›Julius Cäsar‹ versuchen – wir werden nämlich bald nach Rom ziehen! Denk dir, Papa hat endlich etwas gefunden!«

      Curt, der sich in Mailand seit Monaten vergeblich bemüht hatte, eine Anstellung zu finden, wo seine juristischen Kenntnisse gefragt wären, hatte schließlich resigniert und es mit einer Arbeit versucht, für die er sich nicht eignete und die ihm, außer Spesen, auch nichts eingebracht hatte: Er sollte die vornehmsten Mailänder Hotels, Restaurants, Nachtlokale und Ladengeschäfte dazu bewegen, teure Anzeigen in eine Schiffszeitung zu setzen, die auf den aus Übersee in Genua einlaufenden Passagierdampfern zwei Tage vor der Landung verteilt wurde.

      Aber die Mailänder Hoteliers, Gastronomen und Juweliere glaubten so wenig an einen Erfolg solcher Reklame wie er selbst. Nur einmal bestellte einer ein teures Inserat. Es war der jüdische Inhaber eines kleinen Juwelengeschäfts an der Piazza Loreto, mit dem er sich lange unterhalten hatte über das Unglück, das den Juden in Deutschland widerfahren war.

      Indessen hatte sich bei Curt schon auf dem Heimweg das Pflichtgefühl des korrekten preußischen Notars gerührt und schließlich durchgesetzt. Am nächsten Vormittag war er nochmals bei dem mitfühlenden Juwelier erschienen, hatte seinem bislang einzigen Kunden das Inserat wieder ausgeredet, denn das wäre für ihn doch nur hinausgeworfenes Geld, und den Vertrag storniert. Der Juwelier, der ihn dann zum Mittagessen eingeladen hatte, war sehr dankbar gewesen, das ihn auch schon reuende Geld wieder zurückzuerhalten.

      »Aber, geehrter Herr Doktor«, hatte er Curt versichert, »als Verkäufer bei mir im Geschäft möchte ich Sie, Gott behüte, nicht!«

      Immerhin hatte ihn die erfolglose Anzeigen-Akquisition alle besseren Hotels und Lokale der Stadt kennenlernen lassen, und im vornehmsten albergo, dem Principe e Savoia an der Piazza della Repubblica, war er im Foyer von einem eleganten, etwa zehn Jahre jüngeren Mann angesprochen worden, der ihn, wie er sagte, von Berlin her kannte und sich freute, ihn wiederzusehen.

      Es war der Filmkaufmann Willy Karol, den er vor einigen Jahren einmal beraten und vor beträchtlichem Schaden bewahrt hatte. Nun erfuhr er, dass Karol mit dem Italien-Geschäft der Ufa betraut war, das einen sehr beträchtlichen Umfang angenommen hatte. Zum einen galt das faschistische Italien Mussolinis den neuen Herren in Berlin als »befreundetes Land«, zum anderen aber boten deutsch-italienische Koproduktionen noch die Möglichkeit, »nichtarische«, »jüdisch versippte« oder aus politischen Gründen nicht mehr »tragbare« Filmschaffende weiter zu beschäftigen – weniger aus Freundlichkeit und Menschenliebe, als vielmehr zur Verhinderung des totalen Zusammenbruchs der deutschen Filmindustrie.

      Die meisten Filmautoren – von Vicki Baum bis Carl Zuckmayer –, die wichtigsten Regisseure und Produzenten wie Paul Czinner, Alexander Korda, Fritz Lang, Ernst Lubitsch, Max Ophüls, Erich Pommer, Otto Preminger, Leontine Sagan, Robert Siodmak, Josef von Sternberg, Wilhelm Thiele, Billy Wilder und viele andere, die bedeutendsten Filmkomponisten, aber auch die besten Kameraleute und vor allem die bekanntesten und beliebtesten Darsteller hatten jetzt in Deutschland Berufsverbot.

      Curt hörte mit wachsendem Staunen, wer da alles vom Ministerium des Dr. Goebbels von Bühne und Leinwand verbannt worden war: Siegfried Arno, Else und Albert Bassermann, Elisabeth Bergner, Ilse und Curt Bois, Felix Bressart, Ernst Deutsch, Julius Falkenstein, Franziska Gaal, Kurt Gerron, Therese Giehse, Paul Grätz, Dolly Haas, Max Hansen, Oskar Homolka, Fritz Kortner, Peter Lorre, Lucy Mannheim, Fritzi Massary, Paul Morgan, Grete Mosheim, Max Pallenberg, Lilli Palmer, Camilla Spira, Ernst Stahl-Nachbaur, Szöke Szakall, Rosa Valetti, Conrad Veidt, Otto Wallburg und Adolf Wohlbrück, um nur die populärsten zu nennen, außerdem Sängerinnen und Sänger wie Gitta Alpar, Jan Kiepura, Josef Schmidt und Richard Tauber. Marlene Dietrich war freiwillig ausgewandert, Tilla Durieux mit ihrem jüdischen Ehemann geflüchtet.

      Einigen »Nichtariern«

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