Fettnäpfchenführer Schweden. Cornelia Lohs
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Also sucht sie weiter. Komischerweise bieten alle Restaurants Mittagstisch an. Andere Länder, andere Sitten, denkt Katharina. Vielleicht werden samstags generell bis abends Mittagsgerichte für Spätaufsteher angeboten? Sie mag nicht mehr weitersuchen und betritt das nächste Restaurant, dass unter »Middag« eine große Auswahl vegetarischer Speisen anbietet.
Mittlerweile ist es halb sieben. Sie setzt sich an einen Tisch mit Blick auf die Drottninggatan. Eine Kellnerin bringt die Speisekarte und weist darauf hin, dass es besonders günstige Middag-Gerichte gibt. Katharina fragt sich, ob »besonders günstig« wohl bedeutet, dass es die übrig gebliebenen Mittagsgerichte sind, die nun billig angeboten werden.
»Gibt es auch spezielle Abendgerichte?«, fragt sie.
»Natürlich«, antwortet die Kellnerin und zeigt auf die Karte, wo »Middag« steht.
»Nein, kein Mittagsgericht, no lunch, dinner«, sagt Katharina.
Die Kellnerin schaut sie überrascht an und zeigt wieder auf »Middag«. Gut, dann eben ein Mittagsgericht, bevor ich verhungere, denkt Katharina und gibt ihre Bestellung auf.
Was ist schiefgelaufen?
Als Katharina nach Hause kommt, sitzt Emma in der Küche bei einer Tasse Tee.
»Hej, wie war dein Tag?«, fragt sie neugierig.
Bevor Katharina ihr davon erzählt, wo sie heute überall war und was sie alles gesehen hat, brennt ihr eine Frage auf der Zunge. Nämlich die, was es mit dem middag auf sich hat. »Wieso gibt es bei euch bis zum Abend Mittagstisch?«
Emma versteht nicht, was Katharina meint und antwortet: »Mittagstisch gibt es normalerweise nur bis 14.30 Uhr.« Katharina schüttelt den Kopf.
»Nein, das kann nicht sein – ich habe gerade ein Mittagsmenü gegessen!«
Emma, die in der Schule Deutsch als zweite Fremdsprache gelernt hat, ahnt, was Katharina da verwechselt hat. »Meinst du middag? Es klingt zwar fast wie das deutsche Wort Mittag, ist aber der schwedische Begriff für Abendessen. Zum Mittagessen sagen wir Lunch, ein Mittagsmenü ist das lunchmeny oder dagens lunch, wobei wir das Wort aber nicht wie im Englischen aussprechen, sondern mit einem langen U.«
»Middag heißt Abend? Darauf muss man erst einmal kommen! Was heißt denn nun Mittag?«, will Katharina wissen.
»Middagstid, also wörtlich übersetzt Mittagszeit«, antwortet Emma.
»Das soll einer verstehen. Middag heißt Abend, aber hängt man das Wort Zeit an, wird daraus der Mittag! Das ist nicht nur irritierend, sondern völlig unlogisch!«
»Willkommen im Schwedischen!«, sagt Emma lachend.
Katharina will der Sache beziehungsweise dem Wort auf den Grund gehen und zieht sich nach einem kurzen Schwätzchen mit Emma in ihr Zimmer zurück, um im Internet zu recherchieren. Auf Deutsch findet sie nichts, also nutzt sie ein kostenloses Übersetzungs-Tool, stellt die entsprechende Frage auf Deutsch, kopiert die schwedische Übersetzung, fügt diese in Google ein und wird schließlich fündig. Den gesamten schwedischen Text kopiert sie dann auf das Übersetzungs-Tool und erfährt, dass middag in vorigen Jahrhunderten das Essen war, das man in der Mitte des Tages, also um 12 Uhr mittags, zu sich nahm, und dass es damals die größte Mahlzeit des Tages war. Als man im Zuge der Industrialisierung die Hauptmahlzeit des Tages erst abends einnahm, wenn man von der Arbeit nach Hause kam, wurde das Wort middag einfach beibehalten. Ein anderer Begriff für »Abendessen« ist kvällsmat, der aber hauptsächlich in der älteren Literatur benutzt wird, so die Recherche. Katharina sucht nach der Bedeutung von kvällsmat und findet, das kväll »Abend« heißt und mat »Essen« oder »Lebensmittel«. Na, das klingt doch gleich viel logischer, denkt sie.
Katharina kann’s besser
Bei middag auf das deutsche Wort »Mittag« zu schließen, ist ein gängiges Missverständnis von Touristen aus deutschsprachigen Ländern. Hätte Katharina diesen Fehler vermeiden können? Nur, wenn sie vorher in einem Wörterbuch nachgeschaut hätte, was Abendessen auf Schwedisch heißt. Durch ihre sorgfältige Internetrecherche zur Begriffsgeschichte ist sie nun für die Eigenheiten der schwedischen Sprache sensibilisiert. Sollten ihr wieder einmal solche »falschen Freunde« begegnen, nämlich Wörter, die verdächtig an ein deutsches Wort erinnern, weiß sie Bescheid.
FALSCHE FREUNDE – HIER DROHT VERWECHSLUNGSGEFAHR
Viele Deutsche begehen den Fehler, von ihrer Sprache aufs Schwedische zu schließen. Einige Wörter laden aber auch geradezu dazu ein, durch vorschnelles Übersetzen ins Fettnäpfchen zu treten. Katharina ist nicht die Einzige, die so ihre Probleme mit »middag« hat. Wer zum ersten Mal in Schweden ist, wundert sich besonders in Bäckereien über so manches Wort. Wie »bulle«. So ist ein bulle keineswegs ein männliches Rind, sondern ein Brötchen. Mehrere Brötchen sind bullar, bullar bedeutet aber auch »Gebäck«. Die allseits beliebte kanelbulle ist keineswegs ein Bulle oder ein Brötchen aus der Stadt Kanel im Senegal, sondern eine Zimtschnecke. Bei der russin handelt es sich nicht etwa um eine Dame aus Russland, sondern um eine Rosine. Kaka ist nicht das, was kleine Kinder meinen, wenn sie mal müssen, es ist schlichtweg das Wort für »Kuchen«. Gesprochen klingt es im Schwedischen übrigens etwas anders, als wenn man es in deutscher Weise ausspricht. Tigerkaka findet man nicht im Zoo, es ist das Wort für »Marmorkuchen«. Das öl, das die Schweden gern trinken, ist das »Bier« – was in den Salat kommt, ist olja. Mit ost ist keine Himmelsrichtung gemeint (diese heißt öst), sondern »Käse«. Bei vatten handelt es sich nicht um Watte (diese wäre vadd), sondern um »Wasser«, wobei »Trinkwasser« dricksvatten heißt. Socker sollte nicht mit dem englischen soccer (Fußball) verwechselt werden, es ist »Zucker«. Das allseits beliebte smörgås hört sich zwar an wie geschmortes Gas, ist aber die Bezeichnung für ein »Sandwich«. Wörtlich übersetzt heißt es »Buttergans«. Der Ausdruck stammt aus der Zeit, als Butter noch per Hand hergestellt wurde. Die Flocken, die beim Buttern an die Oberfläche stiegen, sahen aus wie weiße Gänse. So kam das Schweden-Sandwich zu seinem Namen.
Die ficklampa ist die »Taschenlampe«, und jordgubbe ist zwar kein falscher Freund, klingt für »Erdbeere« aber etwas seltsam und hat mit den smultron genannten »wilden Erdbeeren«, die für den Filmemacher Ingmar Bergman so wichtig waren, begrifflich nichts zu tun. Zu Verwechslungen und Irritationen kommt es häufig bei dem Wort sex – damit ist im Schwedischen einzig und allein die Zahl »sechs« gemeint. »Sex«, wie man es im Deutschen und Englischen versteht, heißt auf Schwedisch kön. Und slut ist nicht etwa die »Schlampe«, wie im Englischen, sondern der »Schluss« oder das »Ende«.
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KATHARINA MÖCHTE EINE FLASCHE STILLES WASSER