Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house

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Franz Kafka: Sämtliche Werke - Knowledge house

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oder als hätte er andere Menschen erwartet, als die abgearbeitete Frau und das schwache Kind, die er an der Landungsstelle in Empfang nahm, war er bald nach ihrer Ankunft ohne viel Erklärungen nach Kanada ausgewandert, und die Zurückgebliebenen hatten weder einen Brief noch eine sonstige Nachricht von ihm erhalten, was zum Teil auch nicht zu verwundern war, denn sie waren in den Massenquartieren des New Yorker Ostens unauffindbar verloren.

      Einmal erzählte Therese – Karl stand neben ihr beim Fenster und sah auf die Straße – vom Tode ihrer Mutter. Wie die Mutter und sie an einem Winterabend – sie konnte damals etwa fünf Jahre alt gewesen sein – jede mit ihrem Bündel durch die Straßen eilten, um Schlafstellen zu suchen. Wie die Mutter sie zuerst bei der Hand führte, es war ein Schneesturm und nicht leicht vorwärtszukommen, bis die Hand erlahmte und sie Therese ohne sich nach ihr umzusehn losließ, die sich nun Mühe geben mußte, sich selbst an den Röcken der Mutter festzuhalten. Oft stolperte Therese und fiel sogar, aber die Mutter war wie in einem Wahn und hielt nicht an. Und diese Schneestürme in den langen geraden Newyorker Straßen! Karl hatte noch keinen Winter in Newyork mitgemacht. Geht man gegen den Wind, und der dreht sich im Kreise, kann man keinen Augenblick die Augen öffnen, immerfort zerreibt einem der Wind den Schnee auf dem Gesicht, man lauft aber kommt nicht weiter, es ist etwas Verzweifeltes. Ein Kind ist dabei natürlich gegen Erwachsene im Vorteil, es lauft unter dem Wind durch und hat noch ein wenig Freude an allem. So hatte auch damals Therese ihre Mutter nicht ganz begreifen können und sie war fest davon überzeugt, daß, wenn sie sich an jenem Abend klüger – sie war eben noch ein so kleines Kind – zu ihrer Mutter verhalten hätte, diese nicht einen so jammervollen Tod hätte erleiden müssen. Die Mutter war damals schon zwei Tage ohne Arbeit gewesen, nicht das kleinste Geldstück war mehr vorhanden, der Tag war ohne einen Bissen im Freien verbracht worden und in ihren Bündeln schleppten sie nur unbrauchbare Fetzen mit sich herum, die sie vielleicht aus Aberglauben sich nicht wegzuwerfen getrauten. Nun war der Mutter für den nächsten Morgen Arbeit bei einem Bau in Aussicht gestellt worden, aber sie fürchtete wie sie Therese den ganzen Tag über zu erklären suchte, die günstige Gelegenheit nicht ausnützen zu können, denn sie fühlte sich totmüde, hatte schon am Morgen zum Schrecken der Passanten auf der Gasse viel Blut gehustet, und ihre einzige Sehnsucht war, irgendwo in die Wärme zu kommen und sich auszuruhn. Und gerade an diesem Abend war es unmöglich ein Plätzchen zu bekommen. Dort wo sie nicht schon vom Hausbesorger aus dem Torgang gewiesen wurden, in dem man sich immerhin vom Wetter ein wenig hätte erholen können, durcheilten sie die engen eisigen Korridore, durchstiegen die hohen Stockwerke, umkreisten die schmalen Terassen der Höfe, klopften wahllos an Türen, wagten einmal niemanden anzusprechen, baten dann jeden der ihnen entgegenkam und einmal oder zweimal hockte die Mutter atemlos auf der Stufe einer stillen Treppe nieder, riß Therese, die sich fast wehrte, an sich und küßte sie mit schmerzhaftem Anpressen der Lippen. Wenn man nachher weiß, daß das die letzten Küsse waren, begreift man nicht, daß man, und mag man ein kleiner Wurm gewesen sein, so blind sein konnte, das nicht einzusehn. In manchen Zimmern an denen sie vorüberkamen, waren die Türen geöffnet um eine erstickende Luft herauszulassen und aus dem rauchigen Dunst, der wie durch einen Brand verursacht die Zimmer erfüllte, trat nur die Gestalt irgendjemandes hervor, der im Türrahmen stand und entweder durch seine stumme Gegenwart oder durch ein kurzes Wort die Unmöglichkeit eines Unterkommens in dem betreffenden Zimmer bewies. Therese schien es jetzt im Rückblick, daß die Mutter nur in den ersten Stunden ernstlich einen Platz suchte, denn nachdem etwa Mitternacht vorüber war, hat sie wohl niemanden mehr angesprochen, trotzdem sie mit kleinen Pausen bis zur Morgendämmerung nicht aufhörte weiterzueilen und trotzdem in diesen Häusern, in denen weder Haustore noch Wohnungstüren je verschlossen werden, immerfort Leben ist und einem Menschen auf Schritt und Tritt begegnen. Natürlich war es kein Laufen, das sie rasch weiterbrachte, sondern es war nur die äußerste Anstrengung deren sie fähig waren, und es konnte in Wirklichkeit ganz gut auch bloß ein Schleichen sein. Therese wußte auch nicht, ob sie von Mitternacht bis fünf Uhr früh in zwanzig Häusern oder in zwei oder gar nur in einem Haus gewesen waren. Die Korridore dieser Häuser sind nach schlauen Plänen der besten Raumausnützung aber ohne Rücksicht auf leichte Orientierung angelegt, wie oft waren sie wohl durch die gleichen Korridore gekommen! Therese hatte wohl in dunkler Erinnerung, daß sie das Tor eines Hauses, das sie ewig durchsucht hatten, wieder verließen, aber ebenso schien es ihr, daß sie auf der Gasse gleich gewendet und wieder in dieses Haus sich gestürzt hätten. Für das Kind war es natürlich ein unbegreifliches Leid, einmal von der Mutter gehalten, einmal sich an ihr festhaltend, ohne ein kleines Wort des Trostes mitgeschleift zu werden, und das Ganze schien damals für seinen Unverstand nur die Erklärung zu haben, daß die Mutter von ihm weglaufen wolle. Darum hielt sich Therese desto fester, selbst wenn die Mutter sie an einer Hand hielt, der Sicherheit halber auch noch mit der andern Hand an den Röcken der Mutter und heulte in Abständen. Sie wollte nicht hier zurückgelassen werden, zwischen den Leuten, die vor ihnen die Treppen stampfend emporstiegen, die hinter ihnen, noch nicht zu sehn, hinter einer Wendung der Treppe herankamen, die in den Gängen vor einer Tür Streit mit einander hatten und einander gegenseitig in das Zimmer hineinstießen. Betrunkene wanderten mit dumpfem Gesang im Haus umher und glücklich schlüpfte noch die Mutter mit Therese durch solche sich gerade schließende Gruppen. Gewiß hätten sie spät in der Nacht, wo man nicht mehr so acht gab und niemand mehr unbedingt auf seinem Recht bestand, wenigstens in einen der allgemeinen von Unternehmern vermieteten Schlafsäle sich drängen können, an deren einigen sie vorüberkamen, aber Therese verstand es nicht und die Mutter wollte keine Ruhe mehr. Am Morgen, dem Beginn eines schönen Wintertags, lehnten sie beide an einer Hausmauer und hatten dort vielleicht ein wenig geschlafen, vielleicht nur mit offenen Augen herumgestarrt. Es zeigte sich, daß Therese ihr Bündel verloren hatte, und die Mutter machte sich daran, Therese zur Strafe für die Unachtsamkeit zu schlagen, aber Therese hörte keinen Schlag und spürte keinen. Sie giengen dann weiter durch die sich belebenden Gassen, die Mutter an der Mauer, kamen über eine Brücke, wo die Mutter mit der Hand den Reif vom Geländer streifte und gelangten schließlich, damals hatte es Therese hingenommen, heute verstand sie es nicht, gerade zu jenem Bau, zu dem die Mutter für jenen Morgen bestellt war. Sie sagte Therese nicht, ob sie warten oder weggehn solle, und Therese nahm dies als Befehl zum Warten, da dies ihren Wünschen am besten entsprach. Sie setzte sich also auf einen Ziegelhaufen und sah zu, wie die Mutter ihr Bündel aufschnürte, einen bunten Fetzen herausnahm und damit ihr Kopftuch umband, das sie während der ganzen Nacht getragen hatte. Therese war zu müde, als daß ihr auch nur der Gedanke gekommen wäre, der Mutter zu helfen. Ohne sich in der Bauhütte zu melden, wie dies üblich war, und ohne jemanden zu fragen, stieg die Mutter eine Leiter hinauf, als wisse sie schon selbst welche Arbeit ihr zugeteilt war. Therese wunderte sich darüber, da die Handlangerinnen gewöhnlich nur unten mit Kalklöschen, mit dem Hinreichen der Ziegel und mit sonstigen einfachen Arbeiten beschäftigt werden. Sie dachte daher, die Mutter wolle heute eine besser bezahlte Arbeit ausführen und lächelte verschlafen zu ihr hinauf. Der Bau war noch nicht hoch, kaum bis zum Erdgeschoß gediehn, wenn auch schon die hohen Gerüststangen für den weitern Bau, allerdings noch ohne Verbindungshölzer, zum blauen Himmel ragten. Oben umgieng die Mutter geschickt die Maurer die Ziegel auf Ziegel legten und sie unbegreiflicher Weise nicht zur Rede stellten, sie hielt sich vorsichtig mit zarter Hand an einem Holzverschlag der als Geländer diente und Therese staunte unten in ihrem Dusel diese Geschicklichkeit an und glaubte noch einen freundlichen Blick der Mutter erhalten zu haben. Nun kam aber die Mutter auf ihrem Gang zu einem kleinen Ziegelhaufen, vor dem das Geländer und wahrscheinlich auch der Weg aufhörte, aber sie hielt sich nicht daran, gieng auf den Ziegelhaufen los, ihre Geschicklichkeit schien sie verlassen zu haben, sie stieß den Ziegelhaufen um und fiel über ihn hinweg in die Tiefe. Viele Ziegel rollten ihr nach und schließlich eine ganze Weile später löste sich irgendwo ein schweres Brett los und krachte auf sie nieder. Die letzte Erinnerung Thereses an ihre Mutter war, wie sie mit auseinandergestreckten Beinen dalag in dem karierten Rock, der noch aus Pommern stammte, wie jenes auf ihr liegende rohe Brett sie fast bedeckte, wie nun die Leute von allen Seiten zusammenliefen und wie oben vom Bau irgendein Mann zornig etwas hinunterrief.

      Es war spät geworden, als Therese ihre Erzählung beendet hatte. Sie hatte ausführlich erzählt, wie es sonst nicht ihre Gewohnheit war und gerade bei gleichgültigen Stellen, wie bei der Beschreibung der Gerüststangen, die jede allein für sich in den Himmel ragten, hatte sie mit Tränen in den Augen innehalten

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