Kunst, Bildung und Bewältigung. Lisa Niederreiter
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Eine vergleichende Theoriediskussion kunsttherapeutischer Ansätze wird nicht vorgenommen, jedoch sind dem in der Fachliteratur wenig vertieften Überschneidungsbereich von Bildung, Selbsterfahrung, psychosozialer Begleitung und Therapie im Verlauf der einzelnen Themenfelder vielfältige Überlegungen gewidmet. Mögliche gemeinsame psychoanalytische Konzepte, wie etwa jenes der Mentalisierung oder des »Übergangsobjekts« nach Winnicott als erstem schöpferischen Akt des Menschen werden dem gesamten Spannungsfeld von pädagogischen bis therapeutischen Aufträgen zu Grunde gelegt und konturiert. Hinsichtlich der einbezogenen Fachliteratur wurde der Versuch unternommen, klassische Vertreter*innen der jeweiligen Fachdebatten mit neueren Ansätzen und Forschungsergebnissen zu kombinieren, um ein breites, orientierendes Fundament anzubieten. Methoden und Anwendungsfelder beziehen sich durchweg auf Gruppen- wie Einzelarbeit über die gesamte Altersspanne hin (mit Ausnahme der Kindheit).
Als Autorin versuche ich für diese Publikation, die Bandbreite meiner professionellen Erfahrungen als Künstlerin, Kunsttherapeutin, Kunst- und Sonderpädagogin, Hochschuldozentin mit den entsprechenden Auseinandersetzungen in Theorien, Methoden und Praxiserfahrungen, als Anleiterin und Begleiterin von Bildungs- und Bewältigungsprozessen und als Forschende zu nutzen. Die Berücksichtigung, Überblendung, ja Verwebung der Diskurse um ästhetische Bildung, Bildende Kunst, künstlerisch-therapeutische Verfahren, deren Theoriebildungen, Interventionsformen und Praxen kennzeichnen die Publikation. Keiner der Bereiche wird vor- oder nachgeordnet sein, auch in meinem Professionsverständnis bereichern und durchdringen sich die Felder jeweils, was – wie ich hoffe – fruchtbar für die Leser*innen sein kann. Ob des bereits anvisierten komplexen Vorhabens kann das Feld ästhetischer Bildung und künstlerischen Ausdruckshandelns im Kindesalter in diesem Band nicht berücksichtigt werden, zu spezifisch wären hierzu entwicklungspsychologische und ästhetische Fundamente (zur Kinderzeichnung) zu legen. Implizit werden mit Theorien zur Symbolisierung, Mentalisierung und der psychoanalytisch informierten Gestaltung der Arbeitsbeziehung als korrigierende Bindungserfahrung trotzdem für die Arbeit mit Kindern relevante Modelle eingebracht. Daneben können in der aktuellen Fachdebatte wichtige Diskurse um trans- und interkulturelles Handeln sowie um genderspezifische Sichtweisen auf beispielsweise Bewältigungsanforderungen in der Adoleszenz und davon bestimmte Interventionsformen leider nicht vertiefter behandelt werden.
Aus technischem Anlass zu den zahlreich in diese Publikation eingebundenen Diskurs-, Positions- und rezeptiv-methodischen Beispielen aus der Bildenden Kunst erfolgt hier in Absprache mit dem Verlag der Hinweis, dass aufgrund einer kollektiv verfügbaren, schnell veränderlichen Medienpräsenz der zitierten Positionen präzise und konstant verfügbare Online-Quellenangaben nicht gegeben werden können. Die referierten Künstler*innen sind allerdings kunstwissenschaftlich so arriviert, dass jederzeit Abbildungen und weitere Referenzen und Angaben zu den genannten Werken abgerufen werden können. Daneben gelten als Hemmnis die unverhältnismäßig aufwändig zu erwerbenden Abbildungsrechte, die für kunstwissenschaftliche Analysen eher angemessen, doch für die Fachdiskurse dieser Publikation leicht im Netz zu visualisieren sind. Daneben werden Videos, Videoinstallationen oder bildnerische Darstellungen in ihren spezifischen Zusammenhängen zu Bildungs- und Bewältigungsprozessen, so sie der gesamten Abbildung nicht bedürfen, präzise beschrieben und bieten so die notwendige fachliche Nachvollziehbarkeit.
Mein größter Dank für das Zustandekommen dieser Publikation gilt zweifelsohne den vielen Menschen, mit denen ich über die letzten Jahrzehnte in Bildung, Ausbildung, Therapie, psychosozialer Begleitung, Forschung, Vermittlungs- und Projektarbeit mit künstlerischen Medien arbeiten konnte. Die geteilten gemeinsamen Erfahrungen, das systematische Nachdenken darüber waren und sind das wichtigste Fundament meines Wissensspeichers, der sich weiterentwickelt und in den Jahren nie an Überzeugung eingebüßt hat für die Künste als zentrales Medium von zu initiierenden Bildungs- und Unterstützungsprozessen. Im Gegenteil fächerte sich dieser unerschütterliche Glaube immer weiter auf und ist vielfältig theoretisch, in den Künsten selbst und auf der anwendungsorientierten Ebene verankerbar geworden. Gerne möchte ich diesen Erfahrungspool teilen, in der Hoffnung zu einer bereichernden Professionalisierung und Orientierung im Feld beitragen zu können.
1.2 Zielgruppen der Publikation
Aufgrund der avisierten Aufhebung der Teilung in pädagogische versus klinische Tätigkeitsfelder richtet sich die Publikation sowohl an Professionelle in pädagogischen wie klinisch-therapeutischen Kontexten. Sie soll für Kunstpädgog*innen in schulischen wie außerschulischen Zusammenhängen, für Sozialpädagog*innen, Sozialarbeiter*innen, Jugendarbeiter*innen, Kunsttherapeut* innen, Kunstvermittler*innen, Künstler*innen, (Heil )Pädagog*innen, Ergo- und Beschäftigungstherapeut*innen, Psychotherapeut*innen genauso Grundlagen und Inspirationen anbieten wie für Studierende der jeweiligen Fachgebiete und für Akteure sozialraumorientierten und bürgerschaftlichen Engagements, die mit und in den Künsten versuchen, Menschen in besonderen Lebenslagen zu vertreten, zu vernetzen und zu begleiten (z. B. Hochbetagte, Sterbende, Menschen mit Fluchterfahrungen).
1.3 Kapitelübersicht
Über die Sichtung ausgewählter Pionier*innen einer nicht klinisch ausgerichteten Kunsttherapeutik bietet die Publikation in Kapitel 2 (