Kunst, Bildung und Bewältigung. Lisa Niederreiter

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Kunst, Bildung und Bewältigung - Lisa Niederreiter

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subjektorientierten Blick auf zu begleitete Bildungs- und Bewältigungsprozesse bei Individuen mit Unterstützungsbedarfen hin zu einer kritischen, die gesellschaftspolitischen Bedingungen, den entgrenzten »Zeitgeist« nachmoderner, globalisierter, medienorientierter Welt berücksichtigenden Perspektive. Eine Entsprechung findet dieses Spannungsfeld zwischen Subjekt und Welt auch auf der Anwendungsebene des ästhetischen Mediums, durchgängig werden künstlerische Positionen als Illustration oder Realisierung von theoretischen Diskursen eingebracht. Daneben kommt ausgewählten Werken der Bildenden Kunst im Methodenrepertoire eine prominente Rolle zu, als sie als themenspezifisch ausgerichtete Rezeptionsangebote für eine Auseinandersetzung mit der Welt nicht nur »aus sich selbst heraus« zum Einsatz kommen. Das bedeutet, Verfahren des künstlerischen Ausdrucks und gestaltenden Handelns werden um Interventionen aus breitgefächerten Formen der Kunstrezeption ergänzt, teilweise erweitern sich Kunstbetrachtungsmethoden zu schöpferischem Tun. Zudem reicht das Nachdenken bis auf die Ebene kultureller Teilhabe und dementsprechend zur Entwicklung entsprechender Formate verstärkter Ermöglichung von partizipativen Prozessen.

      Eine vergleichende Theoriediskussion kunsttherapeutischer Ansätze wird nicht vorgenommen, jedoch sind dem in der Fachliteratur wenig vertieften Überschneidungsbereich von Bildung, Selbsterfahrung, psychosozialer Begleitung und Therapie im Verlauf der einzelnen Themenfelder vielfältige Überlegungen gewidmet. Mögliche gemeinsame psychoanalytische Konzepte, wie etwa jenes der Mentalisierung oder des »Übergangsobjekts« nach Winnicott als erstem schöpferischen Akt des Menschen werden dem gesamten Spannungsfeld von pädagogischen bis therapeutischen Aufträgen zu Grunde gelegt und konturiert. Hinsichtlich der einbezogenen Fachliteratur wurde der Versuch unternommen, klassische Vertreter*innen der jeweiligen Fachdebatten mit neueren Ansätzen und Forschungsergebnissen zu kombinieren, um ein breites, orientierendes Fundament anzubieten. Methoden und Anwendungsfelder beziehen sich durchweg auf Gruppen- wie Einzelarbeit über die gesamte Altersspanne hin (mit Ausnahme der Kindheit).

      Als Autorin versuche ich für diese Publikation, die Bandbreite meiner professionellen Erfahrungen als Künstlerin, Kunsttherapeutin, Kunst- und Sonderpädagogin, Hochschuldozentin mit den entsprechenden Auseinandersetzungen in Theorien, Methoden und Praxiserfahrungen, als Anleiterin und Begleiterin von Bildungs- und Bewältigungsprozessen und als Forschende zu nutzen. Die Berücksichtigung, Überblendung, ja Verwebung der Diskurse um ästhetische Bildung, Bildende Kunst, künstlerisch-therapeutische Verfahren, deren Theoriebildungen, Interventionsformen und Praxen kennzeichnen die Publikation. Keiner der Bereiche wird vor- oder nachgeordnet sein, auch in meinem Professionsverständnis bereichern und durchdringen sich die Felder jeweils, was – wie ich hoffe – fruchtbar für die Leser*innen sein kann. Ob des bereits anvisierten komplexen Vorhabens kann das Feld ästhetischer Bildung und künstlerischen Ausdruckshandelns im Kindesalter in diesem Band nicht berücksichtigt werden, zu spezifisch wären hierzu entwicklungspsychologische und ästhetische Fundamente (zur Kinderzeichnung) zu legen. Implizit werden mit Theorien zur Symbolisierung, Mentalisierung und der psychoanalytisch informierten Gestaltung der Arbeitsbeziehung als korrigierende Bindungserfahrung trotzdem für die Arbeit mit Kindern relevante Modelle eingebracht. Daneben können in der aktuellen Fachdebatte wichtige Diskurse um trans- und interkulturelles Handeln sowie um genderspezifische Sichtweisen auf beispielsweise Bewältigungsanforderungen in der Adoleszenz und davon bestimmte Interventionsformen leider nicht vertiefter behandelt werden.

      Aus technischem Anlass zu den zahlreich in diese Publikation eingebundenen Diskurs-, Positions- und rezeptiv-methodischen Beispielen aus der Bildenden Kunst erfolgt hier in Absprache mit dem Verlag der Hinweis, dass aufgrund einer kollektiv verfügbaren, schnell veränderlichen Medienpräsenz der zitierten Positionen präzise und konstant verfügbare Online-Quellenangaben nicht gegeben werden können. Die referierten Künstler*innen sind allerdings kunstwissenschaftlich so arriviert, dass jederzeit Abbildungen und weitere Referenzen und Angaben zu den genannten Werken abgerufen werden können. Daneben gelten als Hemmnis die unverhältnismäßig aufwändig zu erwerbenden Abbildungsrechte, die für kunstwissenschaftliche Analysen eher angemessen, doch für die Fachdiskurse dieser Publikation leicht im Netz zu visualisieren sind. Daneben werden Videos, Videoinstallationen oder bildnerische Darstellungen in ihren spezifischen Zusammenhängen zu Bildungs- und Bewältigungsprozessen, so sie der gesamten Abbildung nicht bedürfen, präzise beschrieben und bieten so die notwendige fachliche Nachvollziehbarkeit.

      Mein größter Dank für das Zustandekommen dieser Publikation gilt zweifelsohne den vielen Menschen, mit denen ich über die letzten Jahrzehnte in Bildung, Ausbildung, Therapie, psychosozialer Begleitung, Forschung, Vermittlungs- und Projektarbeit mit künstlerischen Medien arbeiten konnte. Die geteilten gemeinsamen Erfahrungen, das systematische Nachdenken darüber waren und sind das wichtigste Fundament meines Wissensspeichers, der sich weiterentwickelt und in den Jahren nie an Überzeugung eingebüßt hat für die Künste als zentrales Medium von zu initiierenden Bildungs- und Unterstützungsprozessen. Im Gegenteil fächerte sich dieser unerschütterliche Glaube immer weiter auf und ist vielfältig theoretisch, in den Künsten selbst und auf der anwendungsorientierten Ebene verankerbar geworden. Gerne möchte ich diesen Erfahrungspool teilen, in der Hoffnung zu einer bereichernden Professionalisierung und Orientierung im Feld beitragen zu können.

      1.2 Zielgruppen der Publikation

      Aufgrund der avisierten Aufhebung der Teilung in pädagogische versus klinische Tätigkeitsfelder richtet sich die Publikation sowohl an Professionelle in pädagogischen wie klinisch-therapeutischen Kontexten. Sie soll für Kunstpädgog*innen in schulischen wie außerschulischen Zusammenhängen, für Sozialpädagog*innen, Sozialarbeiter*innen, Jugendarbeiter*innen, Kunsttherapeut* innen, Kunstvermittler*innen, Künstler*innen, (Heil )Pädagog*innen, Ergo- und Beschäftigungstherapeut*innen, Psychotherapeut*innen genauso Grundlagen und Inspirationen anbieten wie für Studierende der jeweiligen Fachgebiete und für Akteure sozialraumorientierten und bürgerschaftlichen Engagements, die mit und in den Künsten versuchen, Menschen in besonderen Lebenslagen zu vertreten, zu vernetzen und zu begleiten (z. B. Hochbetagte, Sterbende, Menschen mit Fluchterfahrungen).

      1.3 Kapitelübersicht

      Über die Sichtung ausgewählter Pionier*innen einer nicht klinisch ausgerichteten Kunsttherapeutik bietet die Publikation in Kapitel 2 (image Kap. 2) einen Einstieg in die Thematik. Der Ansatz der pädagogischen Kunsttherapie sowie neuere Rezeptionen zum Kunstverständnis Joseph Beuys’ konturieren diese erste Annäherung. Überlegungen zu einem aktualisierten Kunstbegriff in seiner zunehmenden Nähe zum Alltag, in der neuen Sicht auf die Rolle des*der Betrachtenden als Teil des Kunstwerks und den Erweiterungen und Kombinationen künstlerischer Genres zeigen interessante Bezüge zu Kunst als demokratisierbare Form in Bildung und Teilhabe. Mit einem zentralen Werkbeispiel, dem »Lauf der Dinge« des Künstlerpaars Fischli und Weiss werden Prinzipien zeitgenössischer Kunst beispielhaft illustriert. Auf dieser Basis ist Kunst in psychosozialen und bildungsorientierten Kontexten umrissen. Der zweite Teil dieses Abschnitts behandelt zentrale theoretische Konzepte, wie sie für intersubjektive Arbeitsbeziehungen und -bündnisse im erzieherischen, bildungs- und bewältigungsorientierten therapeutischen Handeln gleichermaßen relevant sind. Dazu zählen das Lebensbewältigungskonzept als bedeutsame aktuelle Theorie aus der Sozialen Arbeit und die Mentalisierung als tiefenpsychologisches Modell der Affektregulierungen und Repräsentationsfähigkeit von Gefühlen bei sich und anderen, über welche sowohl die eigene psychische Gefasstheit sowie die Fähigkeit zu adäquater sozialer und kommunikativer Kompetenz ergründet und unterstützt werden können. Letzteres ist in Bildungskontexten ebenso relevant wie in psychosozialen Unterstützungsprozessen, vor allem für Adressat*innen mit biographisch bedingten emotionalen und sozialen Benachteiligungen bis hin zu Trauma-Hintergründen und ungenügenden frühen Bindungserfahrungen. Das Potential, Gefühle, Bedürfnisse und Affekte mental abbilden zu können, ist eng mit der Symbolisierungsfähigkeit verknüpft, damit ein zentraler Schritt frühkindlicher geistiger Reifung und Bewältigungsfähigkeit von Spannungszuständen

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