Kunst, Bildung und Bewältigung. Lisa Niederreiter

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Kunst, Bildung und Bewältigung - Lisa Niederreiter

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etikettierende Ansätze der Begleitung Betroffener. Im Folgenden erhellen – rückgebunden an tiefenpsychologische Prozesse des Kunstmachens – Untersuchungsergebnisse und Behandlungsberichte die zentralen Funktionen der Symbolisierung für Traumabewältigung. Im Spiegel ausschnitthaft genannter brüchiger Künstler*innenbiographien und künstlerischer Arbeitsformen in einem Konzentrationslager zeigen sich Valenzen des Kunstmachens im Spannungsfeld von Ausdruck und Transformation für erfahrenes Leid sowie in der Stabilisierung bzw. Ressourcenaktivierung. Im weiteren Verlauf zeigen Expertenberichte den sorgsamen, langlaufenden Behandlungsprozess notwendiger Stabilisierung und erst dann (nicht immer) möglicher, mitunter auch kontraindizierter Konfrontation mit erlebten Traumatisierungen über künstlerisches Handeln mit spezifischen Symbolfindungen. Geeignete Methoden, Techniken und Materialien vervollständigen diesen Abschnitt zur stabilisierenden künstlerischen Begleitung Betroffener. Differenzierte, prozessorientierte Betrachtungen aus meiner Arbeit mit zwei jungen homosexuellen Männern im Krankenhausatelier, die sich mit der Diagnose AIDS Ende der 1980er Jahre mehrfach schwerwiegenden Bewältigungsanforderungen des Umgangs mit einer in dieser Zeit noch unausweichlich tödlichen Erkrankung und den Folgen gesellschaftlicher Ächtung stellen mussten, bilden den systematischen Praxisbezug in diesem Kapitel. Beide Klienten entwickelten als Reaktion auf die traumatisierend wirkenden physischen und psychosozialen Konsequenzen der Diagnose AIDS schwere seelische Krisen, in deren Kontext die künstlerische Arbeit im geschützten und psychosozial begleiteten Setting des offenen Krankenhausateliers zusammen mit anderen Betroffenen eine wichtige Bewältigungsressource darstellte, die sie unterschiedlich nutzen konnten.

      Auf der Grundlage einer aktuellen kurzen Begriffsklärung um Inklusion und eines historischen Exkurses in die Welt der sog. »Outsider-Kunst« erschließt sich in Kapitel 7 (image Kap. 7) das Potential nonverbal-künstlerisch-kulturell codierter Handlungsformen und der dabei entstehenden Arbeiten für inklusive und partizipative Prozesse von und für Menschen mit (und ohne) Handicaps. Die aktuellen umfänglichen Entwicklungen im Feld von Kunstschaffenden mit Beeinträchtigungen sowohl in den sie begleiteten Einrichtungen als auch in der offiziellen Kunstszene zeigen den bedeutsamen Rang der Künste/kulturellen Formate für gesellschaftliche Teilhabe. Beispiele aus internationalen Ausstellungen in ihren teilweise gegensätzlichen Umgangsweisen mit Markierungen von »Outsider-Kunst« versus ihrer selbstredenden Inklusion klären darüber ebenso auf wie die folgenden Betrachtungen zu einem szenespezifischen »Kunstbegriff« sowie zu unterschiedlichen Hintergründen der Entstehung von autodidaktischer Kunst. Fundiert lassen sich so aktuelle Tendenzen, Projekte und Werkstätten im Terrain eines zunehmend professionalisierten Kunstmachens von Menschen mit Handicaps unter einer kontrovers geführten Debatte um den Qualitätsbegriff betrachten und diskutieren. Ein anderes Diskursfeld zur Analyse partizipativer Ermächtigungen von Menschen mit Nachteilen wird in diesem Kapitel mit dem Ansatz »sozial interventionistischer Kunst« eröffnet, besonders eine professionsethisch konnotierte Sensibilisierung möglicher Instrumentalisierung von Randgruppen, Kulturformaten und sozialen »Mehrwerten« betreffend. Kritisch kommen in diesem Abschnitt Stimmen von versierten Kunstwissenschaftler*innen über in diesem Sinne tätige Künstler*innen zu Wort, diverse Positionen und Aktivitäten von Künstlergruppen werden vorgestellt und im Kontext realer gesellschaftlicher Ermächtigungen von benachteiligten Menschen geprüft. Als Ziel verfolgt die Einbeziehung dieser Debatte zusammen mit dem Nachdenken über romantisierende Zuschreibungsvorgänge zur Künstler*innenrolle ein gesteigertes Bewusstsein für die gesellschaftliche Notwenigkeit inklusive und partizipative Prozesse (auch über die und in den Künste/n) mit einem Ernstcharakter voranzutreiben, sie mit Ressourcen auszustatten und singuläre »Leuchtturmevents« zu hinterfragen. Einer umfänglich theoriegeleiteten Argumentation statt zahlreicher Beispiele mit jeweiligen Akteuren wurde in diesem Abschnitt des Bandes der Vorzug gegeben, um auf die »Fallen« und »Verführungen« von integrativ ausgerichteten Kulturevents aufmerksam zu machen, welche nicht selten sozialpolitische Verantwortlichkeiten entlasten und in Wirklichkeit nicht zu nachhaltigen Verbesserungen für Adressat*innen mit Handicaps führen. In gewissem Widerspruch zu dieser Absicht steht das abschließend vorgestellte »voll inklusive« Kunstvermittlungsbeispiel mit anschließender künstlerischer Aneignung aus einem Museum für Weltkulturen.

      Der durchaus problematische Diskurs um »art based research« bzw. Kunst als Forschung spielt im vorletzten Abschnitt, Kapitel 8 (image Kap. 8), der Publikation eine Rolle und wird auf mögliche Anlässe soziokulturell und bildungsorientiert relevanter Anwendung hin geprüft. Grundlage dieses Kapitels bilden die Vorstellung von Vorläuferkonzepten, wie dem der »ästhetischen Forschung«, eine Begriffseingrenzung und eine systematisierende Übersicht über Bezeichnungen und Ordnungsversuche künstlerischen Forschens im internationalen Vergleich der letzten 25 Jahre. Darauf folgt eine differenzierte Aktualisierung der mittlerweile facettenreichen Debatte in ihrer Nähe zu philosophischen Überlegungen und Theoremen. So wird versucht, das heterogene Feld, das in seiner Intensität auch Hochschulentwicklungsbestrebungen geschuldet ist, zu durchdringen und für die Leser*innen aufzubereiten. Die folgende Vorstellung einer forschungstriangulierten qualitativen Untersuchung, die auf künstlerischem Handeln als Experiment beruht, zeigt mögliche Absicherungen ästhetischen Forschens in anderen Konzepten und mündet schließlich in eine Sammlung von zentralen Prinzipien für gültige Zugänge künstlerischen Forschens. Sodann folgt mit der Vorstellung und Diskussion einiger Werkgruppen des international erfolgreichen bildenden Künstlers Kader Attia eine Annäherung künstlerisch forschender Zugriffe und Umsetzungen. Als Anwendungsbeispiele gelten das »ästhetische Biographieren« in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung und im Studium als wichtiges Element und Instrument reflektierter Professionalität in einem helfenden Beruf sowie ein umfängliches Projektseminar künstlerischen Forschens zum »Künstlerpatienten« Joseph Forster aus der Sammlung Prinzhorn. Diese Veranstaltung erläutert und beschreibt an studentischen Beispielen eine intensive künstlerische Erforschung und Auseinandersetzung mit dem verstörenden Phänomen einer schweren schizophrenen Erkrankung sowie analog dazu die ausstellungsfähigen künstlerischen Exponate als Ergebnis und rezipierbares Objekt dieser Annäherung. »Art based research« erlaubt so nachvollziehbarerweise die Generierung vertiefter Verstehensprozesse.

      Kapitel 9 (image Kap. 9) kümmert sich abschließend um ausgewählte eher praxisorientierte Handreichungen und Desiderate für das Anliegen des Bandes, Akteure in Bildung, Begleitung, Vermittlung und Beteiligung über die Künste gleichermaßen zu qualifizieren. Dazu erfolgen einleitend Konkretisierungen im Überschneidungsbereich klassisch kunstpädagogischer und kunsttherapeutischer Verfahren, Handlungsleitideen und methodischen Umsetzungen. Ideen zu einem kontrovers diskutierten Qualitätsbegriff in Pädagogik wie Therapie zwischen einer Produkt- versus Prozessorientierung erhellen die Bedeutung und Funktion der künstlerischen »Stärke« von Artefakten für alle Adressat*innen im Feld. Um das Bildgespräch bzw. um die Verbalisierung und sog. »Bewusstmachung« von Bildinhalten ranken sich zahlreiche Deutungsmythen, die das Sprechen über die Kunst (von und mit Adressat*innen) zu den umstrittensten und am meisten mit Vorbehalten behafteten Interventionsanteilen künstlerischer Zugänge werden lassen. Insofern versucht der Band auch hier, zentrale Orientierungen und Hilfen zum (Nicht-)Interpretieren anzubieten und zu erläutern. Zu den Desideraten zählt eindeutig, den im Kontext von (unbewussten) Zuschreibungen/Fehlinterpretationen/Verwicklungen in reinszenierte Bewältigungswünsche der Klientel misslingenden Arbeitsbündnissen vorzubeugen, nämlich mit einem Plädoyer für Selbstreflexions- und Selbsterfahrungsprozesse im künstlerischen Handeln in allen (Zusatz )Ausbildungen, Qualifikationen und Studiengängen künstlerisch-pädagogischer und (ergo-)therapeutischer Natur, auch für Akteure des Feldes Kunst im Kontext. Professionsethischen Aspekten eines Instrumentalisierungsrisikos »abhängiger« Adressat*innen ist hiermit genauso vorzubeugen, wie ein fundiertes Erfahrungswissen um die Potentiale künstlerischen Handelns für die eigene Weltdeutung und -bewältigung zu einem Mitschwingen auch mit ungewöhnlichen und

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