Kunst, Bildung und Bewältigung. Lisa Niederreiter

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Kunst, Bildung und Bewältigung - Lisa Niederreiter

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      »Die Erwartungen an Kunst sind widersprüchlich: Mit Blick auf die Autonomie weisen die Künstler jegliche Instrumentalisierung zurück und haben doch zugleich (man denke an diverse Avantgarden des letzten Jahrhunderts) wie selbstverständlich den Zustand der Gesellschaft reflektiert, kritisiert, auch transzendiert, Manifeste geschrieben und Utopien entworfen, und setzen mit einem regelrechten Aufbruch ins Leben die solitäre Unabhängigkeit von Kunst aufs Spiel« (Seitz, 2009, 37).

      Ganz zu schweigen von den Entwicklungen z. B. des abstrakten Expressionismus, der Fluxusbewegung und der Social Arts nach dem 2. Weltkrieg, die prozessorientierte, das Publikum als Teile des Kunstwerks einbeziehende künstlerische Formate entstehen ließen, teils gänzlich auf die Produktion künstlerischer Objekte im klassischen Sinn verzichteten und somit die Autorenschaft brüchig werden ließen. Und trotzdem, denkt man an Jackson Pollock, Andy Warhol oder Joseph Beuys, der Mythos blieb erhalten oder entstand neu, evtl. bereits auf der Ebene »genialer Ideen« und Arrangements, die man so noch nie gesehen hat. Mersch spricht hier vom Befangensein in der Paradoxie der Künstlerrolle: »Deshalb verwundert es nicht, dass bei allen Künstlerproduktionen, die sich des Status des Künstlers, der Künstlerin als Subjekt ihrer Werke zu entledigen suchen, die Figur der Urheberschaft wie Jack in the Box wieder entgegenspringt« (ebd., 75). Das mystifizierte, sich hartnäckig haltende Bild des Schöpfergenies in dieser Publikation offenzulegen und zu hinterfragen bedeutet, die Widerstände gegen und/oder die Heroisierungen von Kunstschaffenden als mögliche Vorbilder für eigenes künstlerisches Handeln mit den Adressat*innen der eigenen Arbeit zu thematisieren, auch hinsichtlich der Rezeption von auf den ersten Blick nicht erschließbaren Kunstwerken. Das Verhältnis von Kunst, Künstler*innen, Kunstschaffenden und künstlerisch Tätigen in mehr oder weniger kunstimmanenten bzw. kunstfernen Kontexten oder Praxen könnte von einer gegenseitigen Öffnung profitieren, ohne die Differenz zwischen Kunst-Kunst und ästhetisch-künstlerischer Praxis leugnen zu wollen. Künstler*innen sollten als Modelle und Gradmesser für eigenes künstlerisches Tun ganz selbstverständlich befragt werden können, ebenso wie die Botschaften ihrer Objekte und Interventionen nicht nur klassisch kultursozialisierte Teilgruppen unserer Gesellschaft, sondern barrierefrei alle erreichen sollten, um das aktivierende und irritierende Potential ihrer Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Entwicklungen vielen verfügbar zu machen. In diesem Sinne plädiert Mersch für eine Ablösung der kaum zu beantwortenden Frage: »Was ist Kunst?« durch die: »Wie geschieht Kunst?« (ebd. 75), den Blick somit zu richten auf die konkreten künstlerisch-ästhetischen Praxen und sichtbar werdenden Interventionen: »Künstlerische Prozesse, das ist gleichsam die erste Minimalbedingung, beruhen darauf, im Wahrnehmbaren Ruptionen, Unterbrechungen oder ›Wendungen‹ einzutragen. Die Praxis der Künste besteht in einer Praxis andauernder Wahrnehmungskonversionen« (ebd.). In einer Auseinandersetzung um die Erkenntnistheorie der Frankfurter Schule und der poststrukturalistischen französischen Denktradition entwickelt Mersch präzise und strenge Forderungen an künstlerische Manifestationen, da sie sich daran, eine wahrnehmbare, unverkennbare (nicht im Sinne einer Eindeutigkeit) Reflexionsfigur anzubieten, messen lassen müssen:

      »Daher die weitere These, dass im Umgang mit ästhetischen Phänomenen immer zugleich eine Differenz, ein disparates Zueinander-ins-Verhältnis-Treten, eine Produktion von Widersprüchen oder Zerwürfnissen entscheidend wird, welche die zugrunde liegenden Phänomene buchstäblich ›ent-setzen‹. Solche Ent-Setzung kann ganz unterschiedlich ausfallen: durch Nebeneinanderordnung, Dislokation oder Deplatzierung, aber auch durch schlichte Konjunktionen, die immer zugleich Disjunktionen enthalten. Alle Formen von Relationierung eröffnen dabei eine Konstellation, ein singuläres Paradigma, das unabhängig von einem machenden Subjekt, einer souveränen Verfügung über Materialien oder einer kontrollierenden Ermächtigung und ähnliches beschrieben werden kann« (ebd., 77).

      Die Verdichtung seiner Forderung an das, was zeitgenössische künstlerische Arbeiten (in der Rezeption) leisten können, macht deutlich, wie sehr diese mit der Einbeziehung von sozialen Gegebenheiten, Realitäten, Materialitäten, Beobachtbarem, ihren irritierenden sinnlich wahrnehmbaren und emotional konnotierten Konstellationen konfrontiert sind, welche sie noch nie so sehr wie heute in eine Position zwingt, selbst reflektierende, sensibel beobachtende und dokumentierende Strategien anzuwenden.

      2.2.2 Exemplarische Künstlerposition: Fischli und Weiss

      Der Grundidee dieser Publikation entsprechend möchte ich die vorangestellten Überlegungen an einer Künstlerposition erläutern, bewusst nicht mit einer Einzelperson, sondern mit dem seit 1979 konsequent zusammenarbeitenden Künstlerpaar David Fischli und Peter Weiss. Zudem entspricht ihr Oeuvre in vielfacher Hinsicht den oben diskutierten Wesens- und Wirkmomenten zeitgenössischer Bildender Kunst. So arbeiten Fischli und Weiss mit den unterschiedlichsten Medien wie Video, Fotografie, Film, Künstlerbüchern, Installation und Skulptur, wobei sie einfaches, »armes« Material nutzen und in ihre Werke häufig Gebrauchsobjekte aus dem Alltag einbeziehen bzw. alltägliche Situationen modellhaft nachbauen. Vorgestellt werden hier einige Werkgruppen aus dem Katalog ihrer großen Retrospektive »Flowers & Questions«, die 2006 in der Tate Modern in London begann und neben Abbildungen auch zahlreiche Kommentare von Künstlerkolleg*innen, Kurator*innen und Kritiker*innen enthält.

      »Der Lauf der Dinge« (1986/1987) ist ein halbstündiger Film, in dem Stühle und Autoreifen eine zentrale Rolle spielen (siehe YouTube). Durch eine unglaubliche, einer ausgetüftelten experimentellen Versuchsanordnung gleichende Verkettung von miteinander verbunden Alltagsgegenständen, welche beispielsweise über Schnüre sich senkende Mechanismen von liegenden Hölzern auslösen, die wiederum Reifen in Bewegung setzen, die wiederum andere Mechanismen in Gang setzen, welche dann weitere Objekte stürzen, rollen, springen oder laufen lassen. So kippen Stühle, fällt eine Flasche um, entrollen sich Schnüre, explodieren kleine Feuerwerke, rotiert ein Eimer; unzählige dilettantisch wirkende Mechanismen aus einfachsten Gegenständen – jeder anders – sind in einer unendlichen Anordnung aneinandergekoppelt und lassen über verquere Rampenbildungen diese absurden Kettenreaktionen geschehen, perfekt getimt, ohne eine Sekunde Pause, ohne den geringsten Fehler, zwingend perfekt und gänzlich unnütz. Welche Botschaft mag dieser experimentellen Intensiv-Performance aus sich nacheinander in unterschiedlichsten Weisen zu Fall bringenden Objekt-Überbleibseln aus dem Keller von »Hinz und Kunz« innewohnen? Der bedeutende Philosoph und Kunstkritiker Arthur Danto schlägt eine breite Lesbarkeit vor:

      »And those hard wooden chairs! We have seen them in the scenes of torture by the painter Leon Golub in which victims, bound and blindfolded, are tormented with clubs and lightened cigarettes. And when Bruce Nauman inserted a straight chair into a piece of sculpture this, too was widely read as a reference to torture. The chair tipping over in The Way Things Go seems at once comical and frightening, as it would be if someone were sitting in it tied up. Perhaps this is why viewers do not always laugh, are not sure, whether this is funny, …« (Danto, 2007, 215). »This is an argument for each thing having its place in a well-run society, which is the positive side of celebrating banality« (ebd.).

      Danto faltet somit in seiner Analyse des »Laufs der Dinge« die Bandbreite der möglichen Reflexionsfiguren zwischen dem ungeheuren Energieverbrauch alltäglicher Umstände, die zwingend ihren Platz haben und ihre jeweiligen Folgen zeitigen, und einer möglichen kunstgeschichtlichen Kontextualisierung mit dem Stuhl als möglichen Platzhalter für Folter auf. Auch wenn man den für kunstwissenschaftliche Rezeptionen typischen letzten Schritt der Bezugnahme zum Oeuvre anderer Künstler*innen nicht vornimmt, vermittelt sich der ungeheuer große Energieaufwand sensationell gut. Präzise gebastelte Geschehnisse aus zweckentfremdeten banalen Gegenständen, von denen am Ende nichts bleibt. Nach 30 Minuten ist die irre Kettenreaktion gelaufen, sie ist unumkehrbar und nichts Wirkliches ist dabei herausgekommen. Angeli Jahnsen führt ins Feld: »›Rube-Goldberg-Maschinen‹ und verwandte Apparaturen dagegen veranschaulichen das Problem, dass viel Aufwand keine Wirkung haben kann, indem sie ganze Maschinerien herstellen, mit denen nichts weiter getan wird als das, was leicht zu tun gewesen wäre« (Jahnsen, 2013, 120), wobei sie den Film von Fischli und Weiss in seiner Aussage noch extremer, beinahe fatalistisch findet (vgl. ebd.). In der Tat kommt

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