Kunst, Bildung und Bewältigung. Lisa Niederreiter

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Kunst, Bildung und Bewältigung - Lisa Niederreiter

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mögliche theoretische Absicherung in dieser Gemengelage mag die ursprüngliche Wortbedeutung von Therapie als Dienen/Pflegen gelten, die jedoch im 18. Jahrhundert an die naturwissenschaftlich orientierte medizinische Lehre (vgl. Otto, 1993, 82) in ihrem engen Begriff von Krankheit und zu erzielender Symptomfreiheit gekoppelt wurde. Dies wird seit Jahren heftig kritisiert und mit gegenläufigen Modellen zu erweiterten Konzepten von Gesundheit und Krankheit beantwortet. Auch der sozialpsychiatrische Fachdiskurs bemüht sich seit Jahrzehnten um ein offeneres, anthropologisch geprägtes Verständnis von (schweren) psychischen Erkrankungen in ihrer Bedeutung für Betroffene in ihren Lebenszusammenhängen (vgl. Bock & Heinz, 2016). Der aktuelle »Recovery-Ansatz« formuliert in diesem Zusammenhang statt einer in vielen Fällen unrealistischen, auf äußere Symptome reduzierten Vorstellung völliger »Heilung« das Ziel, ein befriedigendes Leben mit der psychischen Eigenheit zu erlangen, welche Ausdruck biographischer Hintergründe und psychischer Verarbeitungsprozesse darstellt (vgl. Knuf, 2016).

      Nichtsdestotrotz gibt es bedeutsame Unterschiede in den Rollen und Aufgaben des*der eher therapeutisch, in der Bildung oder psychosozialen Begleitung tätigen Professionellen und unterschiedliches theoretisches wie methodisches Wissen muss dazu herangezogen, die jeweiligen institutionellen Kontexte und wissenschaftstheoretischen Bezüge transparent gemacht und markiert werden. In der eingangs erwähnten pädagogischen Kunsttherapie nach H.-G. Richter ist dies beispielsweise ihre unbedingte Anbindung »an die Systematik der philosophischen Ästhetik und hiervon abgeleiteter ästhetischer Erziehungstheorien« (Richter-Reichenbach, 1993, 95). Gleichzeitig betont er die besonderen Valenzen ästhetischer Verfahren als »Formen der Selbstrehabilitation« (Richter, 1984, 89). In den jeweiligen Anwendungsfeldern geht es vielfach um therapeutische Momente oder Wirkungen, die einzelne Interventionen haben und nicht per se um Therapie. Gunter Otto hat sich in einem Beitrag »Therapie als Problem der (Kunst-)Pädagogik« so dazu geäußert:

      »Die Diskussion therapeutischer Absichten hat Folgen im erweiterten Bereich, in der allgemeinen Pädagogik als kritisch-diagnostisches Moment, in der allgemeinen Didaktik und Schulpädagogik als Impuls für eine grundlegende Veränderung des Lernens, in der ästhetischen Erziehung als Dynamisierung bestehender Praxis im Blick auf lernende Subjekte. Ist das ein Nachteil?« (Otto, 1993, 92).

      Das Spannungsfeld Bildung/Bewältigung in wechselseitiger Bedingtheit und Verflechtung kann prominent mit dem seit den 1980er Jahren durch Böhnisch und Schröer geprägten Theoriemodell der Lebensbewältigung (vgl. Stecklin & Wienforth, 2020, 20) bestimmt werden, welches in der Sozialen Arbeit eine bedeutende Rolle spielt und permanent aktualisiert wird. Für den vorliegenden Diskurs relevant ist m. E. die Integration psychodynamischer, soziodynamischer und gesellschaftlicher Dimensionen von Problemlagen und entsprechend davon abgeleitete Handlungsaufforderungen (Böhnisch, 2019, 11 f). Das kommt einem von vorn herein umfassenden Verständnis von Störungen bzgl. gelingendem Leben gleich, das per se nicht zwischen klinisch oder erzieherisch relevant unterscheidet:

      »Unter (Lebens) bewältigung verstehe ich das Streben nach psychosozialer Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenskonstellationen. Lebenssituationen und -konstellationen werden dann als kritisch bezeichnet, wenn die bisherigen eigenen Ressourcen der Problemlösung versagen oder nicht mehr ausreichen und damit die psychosoziale Handlungsfähigkeit beeinträchtigt ist« (ebd., 20).

      Zudem gilt das Konzept für alle Lebensalter, Lebenslagen und Querschnitthemen (vgl. Stecklin & Wienforth, a. a. O.) von Problemlagen einer globalisierten, nachmodern entgrenzten, interkulturellen, turbokapitalistischen Gesellschaft, die große Ungleichheiten und Risiken gelingenden Lebens produziert (image Kap. 5). Als interessant und für unseren jeweils therapeutisch bzw. pädagogisch codierten Auftrag bereichernd stellt sich die durchgehend »sinnverstehende« Haltung im Bewältigungskonzept dar, d. h. es wird davon ausgegangen, dass auch (selbst)schädigende, störende, unterlassende Verhaltensstrategien für die jeweiligen Subjekte erworbenes Bewältigungshandeln darstellen und diese eben (noch) kein besseres oder adäquateres oder solches, das ihnen keine zusätzlichen Probleme einbringt, zur Verfügung haben. Auch hier wird im sozialarbeiterischen Fallverstehen mit psychologischen Modellen wie dem des Selbst(werts), mit Mechanismen wie inneren und äußeren Abspaltungen und Delegationen gearbeitet (vgl. Böhnisch, a. a. O., 21 ff), welche Menschen aus Hilflosigkeit und Unfähigkeit, sich und ihre Hilfebedarfe mitzuteilen, heraus anwenden. Das exemplifiziert und differenziert Böhnisch an Gewaltproblematiken der Betroffenen sich selbst oder anderen gegenüber, die affektorientiert geschehen würden, wenn Hilflosigkeit überhandnehme. Damit ist die Theorie anschlussfähig an das in Kapitel 2.4.1 (image Kap. 2.4.1) vorgestellte Mentalisierungskonzept als Baustein pädagogischen wie therapeutischen Handelns. Beispielhaft erklärt Böhnisch eine Form äußerer, delegierender Abspaltung so:

      »Rechtsextremistische Programme bieten eine Projektionsfläche für die Abspaltung von biographisch verfestigten Selbstwert- und Anerkennungsstörungen. Ihre ethnozentristische bis rassistische Programmatik bietet nicht nur die Möglichkeiten der Abwertung anderer und damit der Selbsterhöhung der eignen Person, sondern offeriert auch ihre kollektive Einbindung und Bestätigung in gleichgesinnten sozialen Gruppen« (ebd., 27).

      Für die hier geführte Debatte ist zudem die enge Verschränkung von Bildung und Bewältigung in dem vorliegenden Modell relevant: »In der Bewältigungsdimension entscheidet sich der Lern- und Bildungserfolg« (ebd., 146). Spies und Steinbach dividieren die komplexe Verwobenheit beider Bereiche auseinander:

      »Jede Bildungsbiografie und jedes pädagogische Handeln mit Anspruch bildender Anregung ist demnach ein Prozess, der an soziale Bedingungen, wahrgenommene Möglichkeiten oder Einschränkungen, Entwicklungen und Widerfahrnisse, repräsentierte Wissensordnungen sowie gesellschaftliche Machtkonstellationen anschließt, die zu einem bestimmten Verlauf des Werdens, der Suche und Auseinandersetzung mit Gegebenheiten, Anforderungen und Bewältigungsstrategien führen und an Biografizität gebunden sind« (Spies & Steinbach, 2020, 417).

      Zudem enthält das Konzept der Lebensbewältigung mit dem Augenmerk auf krisenanfällige »Übergänge« (z. B. Adoleszenz) Elemente aus der Entwicklungspsychologie. Als »Bewältigungsfallen « bezeichnet Böhnisch diese (a. a. O., 176). Nicht zu vergessen sind die gesellschaftlichen Bedingungen, welche Bewältigungschancen unterschiedlich ausfallen lassen, indem sie ungleich ausgestattete Lebenslagen und Milieus produzieren und auf übergeordneter Ebene eines professionsethisch codierten Handelns als Kampf um soziale Gerechtigkeit bedarf. Böhnisch spricht in diesem Zusammenhang vom »Begriff der Befähigungsgerechtigkeit« (ebd., 210):

      »Dieser zielt darauf ab, dass ein Gerechtigkeitsdiskurs das Prinzip unterschiedlicher personaler und biografischer Befähigungen zu Lebenschancen aller Menschen – unabhängig von ihren körperlichen und geistigen Vermögen – in den Mittelpunkt stellen muss« (ebd.).

      2.4 Konzepte zur theoretischen Fundierung pädagogischer wie therapeutischer Prozesse

      Im Folgenden sollen nun ausgewählte zentrale Theoriebausteine pädagogischen und therapeutischen Handelns zusammengestellt werden, insofern sie für alle Anwendungsfelder dieser Publikation grundlegend sind und damit modellhaft als sicheres theoretisches Fundament für all jene dienen können, die ihre therapeutisch/psychosozial supportiv wirkenden Kompetenzen auch im Kontext von Bildung erweitern wollen. Sie entstammen überwiegend der psychoanalytisch orientierten Entwicklungspsychologie und Heilpädagogik, der psychoanalytischen Kreativitätsforschung, sind somit von der Objektbeziehungstheorie inspiriert und nehmen in diesem Kontext den für künstlerische Verfahren so bedeutsamen Symbolbegriff besonders in den Blick.

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