Kunst, Bildung und Bewältigung. Lisa Niederreiter
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kunst, Bildung und Bewältigung - Lisa Niederreiter страница 10
»So stellen Fonagy u. a. ein soziales Biofeedbackmodell der Affektspiegelungen, aus dem allmählich symbolische Repräsentationen erwachsen, an den Anfang der Entwicklung. Zwar zeigt der Säugling Emotionen wie Freude, Ärger, und Traurigkeit, hat aber davon kein Bewusstsein. Die Eltern bemerken jedoch seinen jeweiligen Gefühlszustand und gehen intuitiv darauf ein« (ebd., 94).
Abb. 1: Lisa Niederreiter (2013), »Glanz im Auge der Mutter I«, 32 cm, Ton, Draht, Glasaugen, Gummilitze
Das heißt, die primären Bezugspersonen spiegeln den jeweiligen Zustand des Kindes im eigenen Gesichtsausdruck (lächeln beispielsweise auch), sprechen dazu, benennen die u. U. auch unerträglichen Gefühle des Kindes
Abb. 2: Lisa Niederreiter (2013), »Glanz im Auge der Mutter II«, 36 cm, Ton, Latex, Glasaugen
(Erschrecken, Wut, Unwohlsein, Angst, Schmerz, Hunger, …), nehmen diese Gefühle auf und trösten es, was zu Affektregulierungen führt. Der Säugling ist anfangs überwiegend konzentriert auf Körper- und Sinnesempfindung; Zustände werden so übermächtig erlebt, sind noch nicht repräsentierbar, distanzierbar oder steuerbar. In der Affektspiegelung durch die Eltern werden sie im Gegenüber »dargestellt«, im Außen identifizierbar und erhalten damit eine Repräsentanz außerhalb des eigenen Körpers. Dabei ist die nach Gergely benannte »markierte Affektspiegelung« (Gergely 2002 zit. nach Gerspach, ebd., 95) insbesondere bei unangenehmen Affekten und Zuständen bedeutsam. Die primäre Bezugsperson ist nicht nur bloßer Spiegel der Wut oder Angst, sie nimmt die Gefühle auf, hält sie aus (»Containing« nach Bion), benennt sie, erklärt evtl., dass das bald besser würde, bald vorbei sei, dass man da was tun könne und bringt diese darüber in eine für das Kind aushaltbar Form, die es integrieren, als Teil des Selbst wieder aufnehmen kann (vgl. ebd.): »Diese Erfahrungen von Affektregulierung machen das Kind sicher und setzen bei ihm das Vermögen zur Reflexion frei« (ebd., 95). Zur Spezifizierung der empathischen Affektspiegelung zieht Gerspach Kohuts Konzept vom »Glanz in den Augen der Mutter« heran, den das Kleinstkind bei der Herausbildung der mentalen und selbstregulierenden Fähigkeiten und zur Gewinnung von Autonomie brauchen würde (Kohut 1975 zit. in Gerspach, ebd., 95). Als Illustration hier zwei Arbeiten aus meinem Werkzyklus »Glanz im Auge der Mutter«, eine Gruppe gegossener und modellierter Büsten, die unterschiedlich gestaltete »Prothesen« von blickenden und glänzenden Augenpaaren tragen, eine künstlerische »Erfindung« für fehlende spiegelnde Dialoge.
Über unterschiedliche Testverfahren kann die kindliche Mentalisierungsfähigkeit mittlerweile gut eingeschätzt werden, bezeichnend sind dabei Studienergebnisse, welche den engen Zusammenhang zwischen sicheren Bindungserfahrungen und Mentalisierungsreife bei Kindern belegen (vgl. Fonagy, a. a. O., 907). Im Gegensatz dazu zeigen sich bei Kindern mit desorganisierten Bindungserfahrungen, beispielsweise früh traumatisierten oder vernachlässigten Kindern, mangelnde Mentalisierungs- und Symbolisierungskompetenzen. Diese werden im »Agieren-Müssen« von Affekten und Bedürfnissen sichtbar, in einem wenig bewussten, stark verhaltensorientierten In-Szene-Setzen von Gefühlen und Impulsen mit anderen. Das bedeutet, das Kind verfügt nicht ausreichend über eine mentale Repräsentation von Gefühlen, Wünschen, Bedürfnissen und Affekten, sie können schwer vorgestellt, gedacht und (verbal) geäußert werden. Sie sind nicht im sprachlich-symbolischen Gedächtnis, sondern im unbewussten, körperlich/prozeduralen abgespeichert (vgl. Staehle, a. a. O., 126). Daher werden sie ausagiert, was in unserem fachlichen Zusammenhang wiederum die große Bedeutung szenischer, köperorientiert-performativer und nonverbal-sinnlicher und bildhaft symbolisierender Verfahren als Ausdrucks-, aber auch als Interventionsform für Adressat*innen mit geschwächten Mentalisierungsfähigkeiten auf den Plan ruft. Sinnlich-ästhetische Erlebnis-, Kommunikations- und Ausdrucksformen unterstützen die mentalen Wahrnehmungen und Erkundungen eigener emotional und affektiv getönter Zustände und Bedürfnisse im Sinne eines möglichen Erweiterns, Nachholens und »Nachlernens« von mangelnden Fähigkeiten zu mentalisieren.
Zwei Modi bzw. Niveaus innerhalb der Mentalisierung spezifizieren dementsprechende Kompetenzen im Kindesalter, stellen gleichzeitig Bezüge zum symbolisierenden Spiel in seiner Funktion für psychische und mentale Reifungsprozesse her und begründen daher den Einsatz des Spiels als wichtige Interventionsform. Der nach Fonagy und Target entwicklungspsychologisch früher anzusiedelnde Äquivalenzmodus (bis ca. 20. Lebensmonat) entspricht einem Gleichsetzen von innerem Erleben und äußerer Welt (vgl. Schultz-Venrath, 2013, 98); das kann in bestimmten Situationen oder im Zuge psychischer Erkrankungen auch in späteren Lebensaltern vorkommen. Beispiele sind ein Nichtunterscheidenkönnen von sich wertlos fühlen und wertlos sein, oder die Wahrnehmungsverzerrung etwa bei Stalker*innen, die sich in keinster Weise vorstellen können, das begehrte Gegenüber sei nicht im selben Maße an einem nahen Kontakt interessiert wie sie selbst (vgl. ebd., 99). Dass »ein Sich selbst und die Welt im Äquivalenzmodus verhandeln« zu Rigiditäten, Verkennungen der Realität/des Anderen und damit zu Problemen im Umgang mit sich selbst und anderen führt, wird nachvollziehbar. Im entwicklungspsychologisch später folgenden sog. »Als-ob-Modus« vermag das Kind sich nun mit viel Energie meist über das Spiel in Anlehnung an Objekte der Realität ein befriedigendes Szenario zu erschaffen und darin zu handeln. Es weiß dabei sehr wohl, dass das Spiel nicht Wirklichkeit ist. Es ist jedoch viel mehr als Phantasie, ihm kommt ein Charakter symbolischer Realität zu, es steht für Wirkliches, ohne wirklich zu sein. Das Spiel dient dazu, Erlebtes, Gewünschtes, Gefühltes, Gewolltes von sich an die Welt zu verhandeln, auszuprobieren, sich darin kennenzulernen und so größeres Bewusstsein zu erlangen.
Im engeren Sinne ist der Als-ob-Modus auch als Befähigung zu verstehen, gefährliche oder schädliche Affekte in gespielte (vorgetäuschte) Gesten oder Handlungen zu verwandeln (so tun