Kunst, Bildung und Bewältigung. Lisa Niederreiter
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Ungezählt und unermesslich ist das Arbeitspensum des zehnmal so langen finalen Films, je später in der Kettenreaktion Dinge nicht gelingen, umso länger, aufwändiger wird der gesamte Neuaufbau. Diese hochkomplizierte Anordnung sich nacheinander erschütternder Dinge, in der Wochen an Arbeit gebunkert sind, genügt sich selbst im Spannungsfeld von prekärst ausbalanciertem Geschehen und seiner Verpuffung. Das Werk vermag den Betrachtenden in der Welt aufzuheben und gleichzeitig vor den Niederungen alltäglicher Abläufe und Lebensvollzüge zu entheben. Intensiver ist Paradoxie nicht fühl- und wahrnehmbar, weil sich die ungeheure handwerkliche Präzision und der Aufwand genauso vermitteln wie die bittere Komik fataler Wirkungslosigkeit. Die Botschaft, die möglichen Erkenntnisse und philosophischen Reflexionen vermitteln sich dem*der intellektuellen Kunstkenner*in genauso wie dem*der kaum mit der Welt der Künste vertrauten Rezipient*in. So entschied sich der Kunstdozent Thomas Kapielski einige Handwerker einzuladen, als er den Film seinen Studierenden zeigte:
«While the students were completely enthralled by the playfulness and the sensation of the presentation – the show – and wrongly-imagined computer or film manipulation, the skilled manual workers – two carpenters, one model builder and one stage technician – extolled the effort which must have gone into the making of the film in addition to the plain elegance and simplicity of means« (Kapielsky, ebd., 225).
Fischli und Weiss als Illustration für Zentrales im Potenzial zeitgenössischer Kunst für diese Publikation zu wählen, entspringt der Idealvorstellung, aktuelle Kunst könne – trotz der vielfach geäußerten, teils berechtigten Kritik, sie sei hermetisch – mit ihren besonderen Darstellungsmitteln alle erreichen. Fischli und Weiss können das definitiv – machen Sie bitte den Selbstversuch und schauen Sie das Video auf YouTube an –, und sie eröffnen damit jene Erkenntnismomente, die nicht im klassischen Sinne erschüttern (oder vielleicht doch), jedoch in so spezifischer Weise »treffen«, dass ich hierzu den in der Fachdebatte kursierenden, auf den Beginn der Postmoderne Debatte zurückgehenden, von Lyotard wieder eingeführten Begriff des »Erhabenen« nutzen möchte:
»Das Erhabene ist ein anderes Gefühl. Es hat statt, wenn die Einbildungskraft nicht vermag, einen Gegenstand darzustellen, der mit einem Begriff, und sei es auch nur im Prinzip, zur Übereinstimmung gelangen könnte. Wir verfügen zwar über die Idee der Welt (der Totalität dessen, was ist), aber wir haben nicht die Fähigkeit, von ihr ein Beispiel aufzuzeigen. Wir haben die Idee des Einfachen (des nicht weiter Teilbaren), aber wir können es nicht durch einen Sinnesgegenstand veranschaulichen, der dafür als ein Fall fungiert« (Lyotard, 1988, 199).
Wahrnehmungen des Erhabenen gelängen Lyotards Auffassung nach in jenen Kunstwerken, die das Nicht-Darstellbare zeigen, es sichtbar machen können (vgl. ebd., 200). Die Stilmittel der Künste, dies zu versuchen, seien vielfältig, würden jedoch nicht mehr auf das »Schöne« im Sinne eines kollektiven Geschmacks abzielen (vgl. ebd.). Das Erhabene ist gekennzeichnet durch das Paradox einer lustvollen Wahrnehmung, die gleichzeitig schmerzt. Fischli und Weiss erreichen diesen Effekt mit ihrem Video zum Lauf der Dinge, und es ist mehr als ein Effekt, es sind sich eröffnende Wahrnehmungs- und Erkenntnisräume, die bevorzugt mit dem altmodisch klingenden Ergriffensein beschrieben werden könnten.
2.2.3 Zusammenschau: der aktuelle Kunstbegriff im Arbeitsfeld
Abgesenkt auf die konkrete »Schnittmenge« und Beziehung zwischen Kunst und Pädagogik möchte ich mit Georg Peez die Ausweitung des Kunstbegriffs auf alle Materialien und Handlungsformen zu einem mittlerweile erweiterten Verständnis von Bildung und damit Pädagogik als Selbst- und Weltdeutung (
2.3 Grundkoordinaten der Überschneidung von Pädagogik und Therapie bzw. Bildung und Bewältigung
2.3.1 Allgemeines
Das plurale Fachverständnis zwischen Kunst in Bildung und Therapie über künstlerische Medien umreißend, müssen in diesem einführenden Kapitel neben den genannten Verflechtungen von Kunst und Pädagogik noch Überlegungen und Abgrenzungen zum Überschneidungsbereich von Therapie, psychosozialer Begleitung, Bildung/Erziehung und Selbsterfahrung vorgenommen werden: »Kunstpädagogik enthält zwar therapeutische Momente – u. a. durch die kompensatorische Wirkung ästhetischer Praxis, und umgekehrt enthält Therapie pädagogische Elemente. Aber Kunstpädagogik ist nicht Kunsttherapie« (Peez, a. a. O., 91), so formuliert es Georg Peez. Eine klare Grenzziehung kann nicht vorgenommen werden, trotzdem lassen sich Handlungsprinzipien herauskristallisieren, die klinisch-therapeutische Aufträge von bildenden/erziehenden und begleiteten Interventionen differenzieren lassen. Mitunter sind es lediglich das Setting und die formalen Rahmungen, die therapeutische von psychosozialen Begleitungen unterscheiden, auch als primär kunstpädagogisch definierte Methoden und Interventionsformen haben therapeutische Valenzen.
Der faktische Überschneidungsbereich ist groß, doch ist das alles andere als ein Plädoyer dafür, ohne therapeutische und psychologische Kenntnisse und Kompetenzen mit therapeutischem Auftrag bzw. in therapeutischen Settings zu arbeiten. Letztlich sind begleitete, korrigierende, persönlichkeitsbildende, präventive, unterstützende, wachstumsorientierte, auf psychische Gesundheit ausgerichtete sowie krisenbewältigende Zugänge Inhalt und Ziel von Beratung, Erziehung und Bildung als auch von Therapie und können nur auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung geschehen. Der spezifische Auftrag für die anzustoßenden Prozesse in ihren unterschiedlich gewichteten pädagogischen oder bewältigungsorientierten Anteilen bedarf einer Klärung, um im Schutz eines geregelten Settings die Rahmung für das eigene professionelle Handeln zur Verfügung zu stellen und jeweilige implizite oder explizite Vereinbarungen/Arbeitsbündnisse zu schließen. Letztlich hat die Kritik einer Therapeutisierung pädagogischer Prozesse sowie der Indienstnahme des Künstlerischen für