Menschen, die Geschichte schrieben. Группа авторов
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Das Hochmittelalter bringt zwei grundlegende literarische Innovationen mit sich, die Troubadour- oder Minne-Lyrik und den höfischen Roman. In ihnen drückte sich ein neues Lebensgefühl des Adels in einem neuen Medium aus. Zwei unserer Gestalten sind eng mit diesen Innovationen verbunden. Der höfische Roman begann zwar mit einer neuen Verarbeitung antiker Stoffe, einschließlich der Abenteuer Alexanders des Großen, aber in seiner voll erblühten Form ist er unweigerlich mit dem Artusstoff verbunden. Das zentrale Moment der Troubadour-Lyrik dagegen, so Ingrid Kasten, ist der neue Frauenkult, die Verehrung der Minnedame. Da sie eine sich neu entwickelnde lyrische Konvention darstellt, fehlt dieser Gestalt zunächst ein narratives Moment. Auch ist sie vor allem von ihrer Wirkung auf das lyrische Ich her definiert und daher zwar in vieler Hinsicht festgelegt, aber auswechselbar. Die neu konzipierte Paarkonstellation der Troubadourlyrik greift jedoch bald über den lyrischen Rahmen hinaus und wird auch in narrativen Texten durchgespielt. Eine der einflussreichsten Darstellungen ist die Beziehung von Lancelot und Ginevra, mit der dieses Thema in den Artusstoff Eingang findet, wie Walter Haug vorführt. Artusroman wie Minnelyrik zeigen eine Lust am Experiment: In der kontrollierten Umgebung der fiktionalen Artus-Welt werden die Konsequenzen von Neubewertungen modellhaft durchgespielt; und die Aufführungssituation der Troubadour-Lyrik kommt einem Gesellschaftsspiel nahe. Beide verkörpern diesseitige, weltliche Utopien, die erstmals wieder deutlich neben die christlichen, jenseitigen treten. Artus und Lancelot sind Träger dieser Utopien.
Es ist sicher kein Zufall, dass diese Neuerungen zeitlich in etwa mit neuen Entwicklungen auf religiösem Gebiet zusammenfallen, die sich in den Beiträgen zu Christus, Maria und Franziskus abzeichnen. Der Übergang vom Frühmittelalter zum Hochmittelalter ist gekennzeichnet durch ein Freiwerden von Räumen. Im Frühmittelalter stand die Sicherung des Überlebens der Gemeinschaft und die Legitimierung der dazu nötigen Herrschaft im Vordergrund. Dies bestimmte die Erwartungen, die an Helden wie Dietrich, Artus und Karl sowie an Heilige wie Martin und Jakobus, ja selbst an Christus und Maria gerichtet wurden. Im Hochmittelalter weitet sich der Horizont. Der Blick richtet sich einerseits mehr nach innen, auf das Individuum, andererseits geht er weiter nach außen: über Sippe, Stadt, Bistum, über Mittel- und Westeuropa hinaus – ohne dass Fragen der Herrschafts- und Gemeinschaftssicherung ihre Brisanz dadurch verloren hätten. Zweifellos stand der ökonomische Aufschwung des 11. Jahrhunderts im Hintergrund und lieferte die Basis für diese Neugewichtungen. Peter Dinzelbacher arbeitet etwa heraus, wie ein Rückgang der Kindersterblichkeit intensivere Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erlaubt hat. Gleichzeitig lässt der Wandel von Herrschaftsstrukturen, der mit dem Stichwort Feudalisierung verbunden ist, um diese Zeit als Kehrseite der Freiheit eine gewisse Unsicherheit aufkommen. Rollen müssen neu definiert werden. So erhebt sich ein Bedürfnis nach neuen Leitfiguren; alte Leitfiguren geraten in neue Perspektiven.
Die Paarbeziehung wurde immer mehr als eine persönliche Beziehung gesehen; dies gilt auch für die zeitgenössische Neubewertung der Ehe durch die Kirche. Gleichzeitig wurde der Wunsch nach einer persönlicheren Beziehung zu Christus und Maria immer intensiver. So lässt sich die erotische Aufladung mystischer Erlebnisse, besonders in der Frauenmystik, auf den Einfluss der Minnethematik zurückführen und umgekehrt die religiöse, manchmal fast blasphemisch anmutende Metaphorik der Liebestheorie auf franziskanische und andere mystische Strömungen. Obwohl diese Entwicklungen neuzeitliche Konzeptionen von romantischer Liebe und religiösem Erleben nachhaltig beeinflusst haben, wirken extremere Manifestationen auf uns heute geradezu grotesk: lebensbedrohlicher Liebeswahnsinn bei Lancelot, hysterischer Nachvollzug der Passion durch weibliche Anbeterinnen.
Dass diese neue Radikalität in Gefühl und Verhalten auch damals soziale Sprengkraft besitzen konnte, wird verschiedentlich deutlich: Das Artusreich übersteht weder seine Kollision mit dem absoluten Anspruch der Liebe von Lancelot und Ginevra noch seine Konfrontation mit dem religiösen Anspruch der Gralsqueste. Der Erfolg des heiligen Franziskus als Leitfigur unter zahlreichen anderen Heiligen und Häretikern, die sich um die Reform der Kirche bemühten, rührt, wie Helmut Feld zeigt, auch aus einem Widerspruch in dieser Figur: Die Radikalität seiner Ideen und seiner Selbstinszenierung führt Franziskus bis an den Rand der gesellschaftlichen Tragbarkeit; aber ein konservativer Impuls lässt ihn dann gerade noch innerhalb der Grenzen bleiben oder auch sich wieder hinter sie zurückziehen. Der überaus hohe emotionale Anspruch, den das neue Konzept der persönlichen geistigen und auch körperlichen Christus-Nachfolge stellt, erklärt zum Teil, wie Roswitha Wisniewski zeigt, auch die neue Rolle der Maria: eine Vorbildfigur, deren persönliche Beziehung zu Christus alle zur Nachahmung aufruft, die aber besonders den Frauen, die im Hochmittelalter in wachsender Zahl eine religiöse Lebensführung anstreben, zur Orientierung dient.
Wie bereits oben bemerkt, richtet sich der Blick im Hochmittelalter nicht nur verstärkt nach innen, sondern auch weiter nach außen. Wie schon in der Antike und wieder in der Neuzeit erschien im Mittelalter Alexander als ein Beispiel für den raschen Aufstieg zu größter Macht wie für den jähen Sturz aus höchsten Höhen. Das konnte als Exempel für das Wirken der Fortuna und ihres Schicksalsrades, aber auch als Warnung vor Hochmut aufgefasst werden. Dem Mittelalter erschien Alexander jedoch vor allem als ein Erkunder der unbekannten Ferne. Schon in der Spätantike hatte man die Erfahrungen Alexanders auf dem Zug nach Indien in fantastischen Farben ausgemalt. In dem Maße, in dem sich der Horizont durch den Zerfall des Römischen Reiches und die Ausbreitung des Islam verengte, wurde auch der Nahe Osten fremd und exotisch. Im frühen Hochmittelalter wandte sich die Aufmerksamkeit des westlichen Europa diesen Gegenden wieder verstärkt zu – der Beginn der Kreuzzüge sorgte dafür. Damit könnte zusammenhängen, dass, wie Thomas Noll vorführt, das Motiv der Greifenfahrt Alexanders um diese Zeit besonders beliebt wurde. Dieses Abenteuer hatte ja nicht nur im Fernen Osten stattgefunden, wo man das Paradies vermutete, es drohte sogar die Grenze zum Himmel zu durchbrechen. Wo dieses Motiv eindeutig ausgelegt wird, deutet es auf den frevelhaften Hochmut Alexanders. Offensichtlich faszinierte es aber über diese schlichte allegorische Auslegung hinaus und verkörperte etwas von den Ängsten, die das Überschreiten der Grenzen zum Unbekannten hin auslöste. Das muss nicht nur auf geografische Grenzen hin verstanden werden. Denn in diese Zeit fallen auch die ersten Zeichen einer Neubelebung der Wissenschaften, auch des Quadriviums, also der mathematischen Wissenschaften und mit ihnen der Naturwissenschaft, fällt eine wachsende Bereitschaft, auch geistig Neuland zu betreten. Natürlich verkörpert die Greifenfahrt auch, wie der Ikarus-Mythos, den Traum des Menschen vom Fliegen, aber auf eine eigentümlich pragmatische Weise: Alexander fliegt nicht selbst, sondern konstruiert einen von Ungeheuern getriebenen Flugapparat.
Der geöffnete Blick nach außen führt oft gleichzeitig zur Abgrenzung, besonders dem Islam gegenüber, trotz Perioden regen kulturellen Austausches in Spanien, Unteritalien und auch Palästina. Die Kreuzzugsthematik bestimmt natürlich vor allem das Bild Gottfrieds von Bouillon, des Helden des Ersten Kreuzzugs, dessen Wirkungsgeschichte Friedrich Wolfzettel nachzeichnet. Aber sie spielt auch in der Geschichte des Jakobskultes eine wesentliche Rolle, insofern der heilige Jakobus als Vorkämpfer gegen die Sarazenen Spaniens in Anspruch genommen wurde und dabei besonders innerspanisch zu einer einigenden Figur wurde. Diese Tradition strahlte ferner in die Karlsrezeption aus, in der Karl einerseits als Führer des christlichen Europa, andererseits als Herrscher Frankreichs erscheint, und das Gegenbild der Sarazenen zur schärferen Profilierung dieser doppelten Führerrolle dient. Die Auseinandersetzung mit anderen Religionen, die das Alte Testament, aber nicht das Neue anerkannten, hat auch im Marienkult ihre Spuren hinterlassen: Die theologische Diskussion um die Geburt Christi, als ein entscheidender doktrinärer Unterschied zu Islam und Judentum, verfestigt sich zu einem Schatz an geläufigen Metaphern und allegorischen Auslegungen aus dem Alten Testament, die in der religiösen Dichtung streckenweise aneinandergereiht werden. Ebenso führt die stärkere Mobilität, die mit der Häufung von Pilgerreisen verbunden ist, mitunter, wie Klaus Herbers bemerkt, auch zur Stärkung von Vorurteilen zwischen den Völkern