Menschen, die Geschichte schrieben. Группа авторов

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Menschen, die Geschichte schrieben - Группа авторов marixwissen

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Als Förderer und Schutzherr von Papsttum und Kirche ging Karl in die Geschichtsschreibung ein. Grundherrschaften, Markt- und Münzwesen wurden reformiert. Herren- oder Gewaltboten, sogenannte Missi dominici, sahen sich paarweise – ein Bischof, ein Graf – in feste Sprengel entsandt, um die regionalen Herrschaftsträger zu kontrollieren.

      Gerne schreibt man Karl den einsichtsvollen Schutz der Freien durch die Rechtssprechung und zumal durch ihre Entlastung vom Militärdienst zu. Doch trifft das nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich vollendete Karl mit seinen Maßnahmen die Reorganisation des fränkischen Heeres, das nun die Bauernkrieger entpflichtete und nur noch aus Reiterkriegern bestand, während sich die Merowinger noch weithin auf Fußtruppen verlassen hatten. Damit war die für das Abendland charakteristische soziale Differenzierung in berittenen Kriegeradel und unadeliges Bauerntum eingeleitet, die dann im 12. Jahrhundert ihren Abschluss fand: eben zu jener Zeit – eine Ironie der Geschichte –, die Karl selbst auf den Gipfel des Mythos trug und ihn zum Erfinder des Rittertums erklärte. Gleichwohl, ein Hauch von Rechtssicherheit breitete sich aus, was dann nach Karls Tod ungerechte, Macht missbrauchende Richter umso unerträglicher machte. Wehmütig gedachte ein Paschasius Radbertus, einstiger Abt von Corbie, noch um 850 der gerechten Rechtsprechung seines Helden Wala, eines Vetters Karls des Großen, der in dessen Auftrag für den minderjährigen Kaiserenkel Bernhard Italien regiert und später im Dienst des Kaisers Lothar I. dort nach dem Rechten zu sehen hatte. Und der St. Galler Mönch Notker Balbulus häufte in seinen „Gesta Karoli Magni“ von 885 Exempel auf Exempel für Karls Gerechtigkeitsliebe. Der Heros bot das Gegenbild zur Wirklichkeit.

      Es gab keinen Bereich des Lebens, der Herrschaft, der religiösen und geistigen Kultur, in dem Karl der Große nicht machtvoll und maßgebend eingegriffen, den er nicht reformiert und neu geordnet hätte. Die Hofbibliothek füllte sich mit Kostbarkeiten und seltenen Manuskripten. Architektur und Malerei blühten sichtbar auf. Eindrucksvolle Pfalzanlagen wie in Ingelheim, Nimwegen und zumal in Aachen, ehrgeizige Kirchenbauten kündeten davon. Der Schmuck der Wände durch Fresken und Mosaiken muss bedeutend gewesen sein, auch wenn nahezu alles untergegangen ist; doch selbst die spärlichen Reste lassen die einstige Farbenpracht ahnen. Die Aachener Marienkirche war, als Pfalzkapelle errichtet, der am höchsten aufragende Bau seit der Römerzeit im Abendland, ein Wunderwerk der Architektur; sie blieb stets eine weithin leuchtende Gedenkstätte ihres Stifters.

      Die Mission im Innern wie nach außen schritt voran. Mindestkenntnisse der Gläubigen und Mindestanforderungen an sie sollten durchgesetzt werden: die Kenntnis der Abschwörformeln, des Glaubensbekenntnisses, des althochdeutschen „Vaterunsers“, der regelmäßige Kirchgang, Beichte und Kommunion. Die Rombindung der fränkischen Kirche wurde unzerstörbar gefestigt, die Kirchenordnung in einer noch heute gültigen Weise reformiert, das Kirchenrecht erneuert und weiterentwickelt, der Kampf gegen Irrglauben wie Adoptianismus und Bilderkult, mit denen sich zahlreiche Traktate auseinandersetzten, selbstbewusst vorangetrieben. Liturgie, Mönchtum und Theologie verdankten Karl dem Großen wesentliche Impulse, von den Bemühungen um die Bibelrevision, nämlich um die Zusammenführung der separat kursierenden biblischen und neutestamentlichen Schriften zu einem einzigen Buch, zeugen die mehrbändigen Alkuin- und die einbändigen Theodulf-Bibeln, beide sind prachtvolle Wunderwerke der Bibelforschung und der Buchkunst.

      Wissenschaft und Schule, der erneuerte Lateinunterricht legten die Grundlagen für den intellektuellen Aufstieg des Abendlandes. Zumal die Gelehrten des Westens dazu verpflichtet wurden; der Osten jenseits des Rheins war noch geistiges Kolonisationsgebiet. Sie griffen auf antike Bildungsprogramme zurück. Schriftlichkeit breitete sich, erleichtert durch eine Schriftreform, aus, die noch heute weltweit die Buchkultur prägt. Eindringliche und systematische Suche und intensive Abschreibetätigkeit nicht zuletzt für den Hof retteten die Werke der antiken Autoren und der Kirchenväter; die ersten großen Bibliotheken entstanden. Was damals und in den folgenden Jahrzehnten der Findigkeit und dem Abschreibeeifer der Zeitgenossen entging, ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – für alle Ewigkeit verloren.

      Jegliches Wissen war am Königshof konzentriert. Seit den 790er-Jahren diente die Pfalz zu Aachen als feste Residenz. Von hier aus lenkte Karl sein Reich, hier versammelte er seine Gelehrten, hier hortete er seine Bücher – ein jedes ein Vermögen wert –, hierher berief er die vielversprechende Jugend seiner Länder. Keineswegs nur Franken, auch Langobarden, Iren und Angelsachsen, Westgoten, Bayern oder Alemannen trafen sich hier, Kleriker und Laien; sie atmeten die Luft des Königshofes und lernten, das Reich von der Nordsee bis nach Benevent, von der Biscaya bis an die Niederelbe als eine Einheit zu achten. Der Königshof war das Wissenszentrum schlechthin. Alle Förderung der Wissenschaften nahm von ihm ihren Ausgang. Eine neue, höfisch geprägte Wissenskultur entstand. Karl versammelte die Gelehrten um sich wie keiner seiner Vorgänger. Wissensaustausch und Wissensdistribution erfolgten über seinen Hof und von demselben aus für und über sein gesamtes Reich. Die Effizienz der Maßnahme war einzigartig. Sie wurde vorbildlich und maßgebend für die kommenden anderthalb Jahrtausende. Seitdem kümmern sich die Herrscher und Regierenden um Schule, Wissenschaft und Bildung, um die Wissenskultur ihres Landes – sei es zu deren Wohl, sei es zu deren Schaden.

      Die Rezeption erster logischer Schriften des Aristoteles (die später sogenannte Logica vetus) begann am Königshof und unter maßgeblicher Anregung durch den Herrscher selbst: Die Lehre von den Kategorien und den Satzaussagen, die Differenz zwischen „Begriff“ und „Sache“, nomen und res, und dergleichen mehr wurde, so unwahrscheinlich es klingt, karlisches Herrschaftswissen. Dazu traten die logisch und kategorial geordneten Fragemuster der Rhetorik, die Anfänge der Verwissenschaftlichung des Abendlandes. Welch herrliche Zeiten, in denen die Spitzen der Gelehrsamkeit den Herrscher berieten, und er auf sie hörte, nicht irgend dubiose, Gold verschlingende ‚Berater‘ und inkompetente Referenten. An diesen König klammerten sich Hoffnungen, die zeitlos gültig blieben und seine Gestalt in den Augen der Nachwelt zu einzigartiger Größe aufragen ließen.

      Nicht dass die philosophischen Leistungen der Karolingerzeit – wiederum von Ausnahmen abgesehen – in besonderer Weise herausragten; aber dass sie nun angestrebt wurden, und die Intensität, mit der es geschah, dass sie eben jetzt zum Programm aller Schulen des Frankenreiches erhoben und fortan über drei Jahrhunderte lang die allgemeine intellektuelle Grundausstattung höherer Bildung und der dann aufbrechenden Wissenschaft wurden, verschaffte Karls Regierung eine herausragende Bedeutung für die geistige Einheit des Abendlandes. Von ihr zehrten alle Späteren – einschließlich uns Heutigen. Selbstverständlich profitierte auch die Geschichtsschreibung von diesem intellektuellen Aufbruch und mit ihr unser Wissen um diesen König und Kaiser sowie um die aufquellende Mythisierung, die das Gedenken an ihn erfasste.

      Auch die Dichter am Hof besangen den König. Alkuin, Theodulf von Orleans, der Quasi-Schwiegersohn Angilbert, der anonyme Epiker des Versgedichtes von „Papst Leo und König Karl“ und viele andere dichteten um die Wette, um sein Lob zu singen. Der Hof sonnte sich in der Gegenwart der Musen. Man imitierte antikes Herrscherlob und Panegyrik. Maximus armis, ensipotens und armipotens, bellipotens (Größter an Waffen, schwertgewaltig, waffengewaltig, kriegsgewaltig) – Karl liebte, eingepasst in die kunstvollen Rhythmen, die kriegerischen Bilder, er, der „große König“, Karolus magnus rex. Gerne hörte er den David-Vergleich, den vielleicht Alkuin erfand: „süßer“, „süßester David“, dulcis David, David dulcissimus.

      Doch dann, mit Karls Tod, klangen die Töne verhaltener. Die Lieder spiegelten eine neue Wirklichkeit. Sogar Kritik wurde laut. Einhard schrieb mit seiner Vita Karoli, einem Prosawerk, gerade auch dagegen an. Sein Tatenbericht signalisierte eine Peripetie. Karl besaß keinen angemessenen Nachfolger. Der Sohn, der ihn beerbte, Ludwig der Fromme, war zum Provinzkönig erzogen worden, nicht zum Gesamtherrscher; Karl misstraute ihm eher, als dass er ihn schätzte. Übergehen freilich, gar ausschalten konnte er ihn nicht. Er suchte durch eine Nachfolgeordnung, an der Einhard übrigens maßgeblich beteiligt gewesen sein dürfte, das vorausgeahnte Unheil aufzuhalten. Als alles Bemühen sich als Illusion erwies, lange nach Karls Tod, erinnerten die Dichter, die Legenden- und Geschichtsschreiber an scheinbar glücklichere Zeiten.

      Einer

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