Die bedeutendsten Grabreden. Bruno Kern
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In der Aufzählung der konkreten Kriegshandlungen spannt die Rede einen weiten Bogen angefangen von den Kriegen aus mythischer Vorzeit über die Kriege mit den „Barbaren“, u.a. die Perserkriege, bis hin zu den innerhellenischen Konflikten. Einen auffallend breiten Raum nimmt innerhalb der Rede das Lob auf die athenische Verfassung ein. Perikles selbst, der seit 461 immer wieder zum Strategen gewählt wurde und die Politik bestimmte, hatte ja eine einschneidende Verfassungsreform unternommen. Der Areopag wurde dabei entmachtet, die Gerichtsbarkeit – außer im Falle von Mord und Gewalttat – dem Volk übertragen, die gesetzgebende Gewalt lag bei der Volksversammlung, die bis zu viermal im Jahr tagte. Der schon erwähnte antike Historiker Thukydides lässt Perikles selbst über diesen Geist der Demokratie sprechen: „Wir haben eine Verfassung, die, da sie auf die Mehrheit zugeschnitten ist, nicht auf wenige, Demokratie heißt. Allen kommt nach dem Gesetze in ihren privaten Angelegenheiten das Gleiche zu; das Ansehen jedes Einzelnen in der Öffentlichkeit bestimmt sich nicht so sehr von seiner Vermögensklasse her als vielmehr nach seiner Leistung, und keiner wird durch seine Armut gehindert, etwas für den Staat zu leisten. Freiheitlich leben wir im Staat, großzügig verkehren wir untereinander, und vor allem aus Scheu übertreten wir die Gesetze nicht, in Gehorsam gegenüber denen, die die Ämter bekleiden, und gegenüber den Gesetzen, geschriebenen wie ungeschriebenen …“ (zit. nach Krefeld, 26) Die „Isonomie“, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, wird auch in Aspasias Rede rühmend hervorgehoben. Ausgeblendet bleibt freilich dabei, dass diese Gleichheit vor dem Gesetz selbstverständlich nicht für die Sklaven galt und dass sich die in der Leichenrede gepriesene Tapferkeit der Gefallenen aus dem Blickwinkel der von Athen Beherrschten wohl weniger ruhmeswert ausnahm.
Die Rede
Was Tat betrifft, haben diese zwar, was ihnen gebührt, und gehen, nachdem es vollbracht ist, ihren bestimmten Weg, geleitet alle gemeinsam von der Stadt und jeglicher insbesondere von den Seinigen. Durch Rede aber gebietet das Gesetz den Männern die noch fehlende Ehre zu erzeigen, und das gebührt sich. Denn nach wohlverrichteten Taten erwirbt wohlgesprochene Rede den Tätern Gedächtnis und Ehre bei den Hörern. Es bedarf also eines solchen Vortrages, welcher den Verstorbenen selbst rühmlich nachrede, den Lebenden aber gelinde zurede, Kinder nämlich und Brüder, es jenen in der Tugend nachzutun ermahnend, Väter aber und Mütter, oder wenn ihnen noch höhere Vorfahren zurückgeblieben sind, diese beruhigend. Welches wäre uns nun wohl ein solcher Vortrag, oder womit könnten wir am besten anfangen wackere Männer zu loben, welche im Leben den Ihrigen zur Freude gereichten durch ihre Tugend, und nun für das Heil der Lebenden den Tod überkommen haben? Mich dünkt nun, man müsse der Natur nach, wie sie gut gewesen sind, so auch sie loben. Gut aber sind sie geworden wegen ihrer Abkunft von Guten. Ihre Wohlgeborenheit also lasst uns zuerst verherrlichen; zum zweiten dann ihre Auferziehung und Unterweisung, und nach diesem ihrer Taten Verrichtung darstellen, wie herrlich und des allen würdig sich diese bewährt. Zu ihrer Wohlgeborenheit nun gehörte zuerst die Herkunft ihrer Vorfahren, welche nicht eine auswärtige ist, noch diese ihre Nachkommen ausweiset als Hintersassen in diesem Lande, weil jene anderwärts hergekommen, sondern als wahrhaft Eingeborne und die in der Tat in ihrem Vaterlande wohnen und leben, nicht von einer Stiefmutter auferzogene wie Andere, sondern als von einer Mutter von dem Lande, in welchem sie wohnten, und die jetzt nach ihrem Ende in dem verwandten Schoß ihrer Gebärerin und Ernährerin wieder aufgenommen liegen. Darum ist es am billigsten, zuerst die Mutter selbst zu preisen, denn so findet sich von selbst auch Jener Wohlgeborenheit gepriesen.
Wert aber ist dieses Land wohl, von allen Menschen gepriesen zu werden, nicht allein von uns, auch auf vielerlei andere Weise, zuerst aber und um des Größten willen, weil es von den Göttern geliebt ist; und dieser Rede gibt Zeugnis der über sie entzweiten Gottheiten Streit und Vergleich. Welches also die Götter gerühmt haben, wie sollte das nicht billig von allen Menschen insgesamt gerühmt werden? Und der zweite Ruhm desselben wäre mit Recht dieser, dass in jener Zeit, in welcher jegliches Land hervorbrachte und erzeugte allerlei Lebendiges, fleischfressende Tiere und grasfressende, in dieser das unsrige wilde Tiere nicht erzeugte und sich rein von ihnen erhielt, von allen Lebendigen aber sich auswählte und erzeugte den Menschen, als dasjenige, welches an Verstand alle Übrigen übertrifft und Recht und Götter allein annimmt. Für diese Rede aber, dass dieses Land hier ihre und unsere Vorfahren erzeugt hat, ist dieses ein großer Beweis. Jedes Gebärende nämlich hat angemessene Nahrung für das Geborene; woran auch jede Frau zu unterscheiden ist, ob sie in der Tat geboren hat oder nicht, sondern das Kind sich nur unterschiebt, wenn sie nicht Quellen der Nahrung hat für das erzeugte. Und eben hiedurch legt unser Mutterland einen deutlichen Beweis ab, dass es Menschen gezeugt hat. Denn dies allein brachte schon damals und zuerst menschliche Nahrung hervor, die Frucht des Weizens und der Gerste, wovon sich das menschliche Geschlecht am schönsten und besten nährt; so dass gewiss dieses Geschlecht der Lebendigen von ihm selbst erzeugt ist. Und mehr noch von der Erde als von einer Frau muss man solche Beweise annehmen, denn die Erde hat nicht den Frauen nachgeahmt Schwangerschaft und Geburt, sondern diese ihr. Diese Frucht aber hat es nicht vorenthalten, sondern sie auch den Übrigen mitgeteilt. Nächst dem hat es auch die Erzeugung des Öls, dieses Balsams für Mühen, seinen Sprösslingen hinterlassen. Und nachdem es sie so ernährt und aufgezogen zur Mannbarkeit, hat es ihnen zu Herrschern und Lehrern Götter herbeigeführt, deren Namen uns hier ziemt zu übergehen. Denn wir wissen, welche von ihnen unser Leben angeordnet haben sowohl für das tägliche Bedürfnis durch die erste Anweisung in Künsten als auch für die Beschützung des Landes durch Unterricht in Verfertigung und Gebrauch der Waffen.
Also nun erzeugt und unterrichtet haben diese Vorfahren eine Staatsverfassung angeordnet und befolgt, deren billig ist, hier mit Wenigem zu erwähnen. Denn die Staatsverfassung ist die Erziehung der Menschen, die gute trefflicher, die entgegengesetzte schlechter. Wie nun in einer trefflichen Verfassung unsere Vorfahren aufgezogen worden, ist notwendig zu zeigen, vermöge deren sowohl jene gut wurden als auch die heutigen es sind, zu denen auch diese Verstorbenen gehören. Denn die Verfassung war dieselbe, damals wie jetzt aristokratisch, auf welche Weise wir uns jetzt regieren und auch die ganze Zeit von damals an größtenteils; es nennt sie aber der eine eine Volksherrschaft, der andere anders, wie es jedem beliebt, in Wahrheit aber ist sie eine Herrschaft der Besseren mit dem guten Willen des Volks. Denn Könige haben wir ja immer nur bald erbliche bald gewählte, das Meiste hängt aber ab in der Stadt von dem Volke, welches Ämter und Gewalt denen gibt, die ihm jedes Mal dünken die Besten zu sein, und weder durch Schwächlichkeit noch durch Armut noch durch der Väter Unberühmtheit ist irgendeiner ausgeschlossen noch auch begünstigt durch das Gegenteil wie in anderen Staaten, sondern nur die eine Bestimmung gibt es, wer im Rufe steht weise und tüchtig zu sein, der hat den Vorzug und regiert. Ihren Grund aber hat bei uns diese Verfassung in der Gleichheit der Geburt. Denn andere Staaten sind aus vielerlei und ungleichen Menschen gebildet, daher auch ihre Verfassungen die Ungleichheit darstellen in willkürlicher Herrschaft eines Einzelnen oder Weniger. Sie sind daher so eingerichtet, dass Einige die Andern für Knechte und diese jene für Herren halten. Wir aber und die Unsrigen, von Einer Mutter alle als Brüder entsprossen, begehren nicht Knechte oder Herren einer des andern zu sein; sondern die natürliche Gleichbürtigkeit nötigt uns auch Rechtsgleichheit gesetzlich zu suchen, und um nichts anderen willen uns einander unterzuordnen als wegen des Rufes der Tugend und Einsicht.
Daher denn unsere und dieser Verstorbenen Väter so wie diese selbst in aller Freiheit auferzogen und edel schon geboren viele und schöne Taten ausgeübt haben vor allen Menschen, sowohl jeder für sich als im öffentlichen Leben, indem sie sich immer verpflichtet hielten, um der Freiheit willen sowohl mit Hellenen für Hellenen zu streiten als auch mit Barbaren für alle Hellenen insgesamt …
[Hier folgt eine ausführliche Auflistung und Würdigung verschiedener Kriegszüge]
Solches nun sind die Taten der hier liegenden Männer und der übrigen, welche für den Staat gestorben sind, viele schon und schöne die angeführten, noch mehrere aber und schönere die übergangenen. Denn viele Tage und Nächte würden dem nicht hinreichen,