Die bedeutendsten Grabreden. Bruno Kern
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Auch die hier dokumentierte Leichenrede auf Kaiser Theodosius lässt den Einfluss der profanen Rhetorik, insbesondere die Tradition der antiken Trostrede (consolatio) erkennen. Doch der Mailänder Bischof gibt diesem Vorbild ein eigenes, christliches Gepräge. Den Eingang bildet die Deutung von Naturereignissen als Vorboten des Todes des Kaisers. (Dass in der Antike Geburt und Tod bedeutender Persönlichkeiten mit außergewöhnlichen Naturerscheinungen in Verbindung gebracht werden, ist uns zumindest aus der Kindheitsgeschichte des Matthäusevangeliums vertraut.) Als Leitfaden für seine Rede wählt Ambrosius den 114. Psalm. Mit dem refrainartig wiederholten „Ich habe ihn geliebt“ gelingt es ihm geschickt, die beiden Teile seiner Rede miteinander zu verbinden: Im ersten Teil stellt er das Lob des Toten und die Aufzählung seiner zu rühmenden Taten unter dieses Wort als Ausdruck der Gottesbeziehung des Kaisers, im zweiten Teil bezieht der Redner das „Ich habe ihn geliebt“ auf sich selbst, um sein eigenes Verhältnis zum toten Kaiser darzulegen.
Für das inhaltliche Verständnis dieser Rede ist es allerdings unabdingbar, das tatsächliche, höchst spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Mailänder Bischof und dem römischen Kaiser zu kennen. Vor diesem Hintergrund bekommt das „Ich habe ihn geliebt“ eine besonders pikante Note.
Ambrosius stammte aus vornehmem, christlichem Haus und strebte nach seiner Ausbildung in Rechtswissenschaften und Rhetorik eine politische Karriere an. Als Statthalter von Ligura Aemilia kam er nach Mailand und wurde bald darauf eher zufällig der Bischof dieser Stadt: Nach dem Tod seines Vorgängers waren heftige Streitigkeiten entbrannt, und Ambrosius, zu dessen Amtspflichten die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gehörte, wohnte der Wahl bei und wurde – als Kompromisskandidat der streitenden Parteien – vom Volk „per acclamationem“ zum Bischof erkoren. (Um dieses Ereignis rankten sich auch bald Legenden.) Ambrosius war zwar von Kindheit her mit dem Christentum bestens vertraut, zum Zeitpunkt seiner Bischofswahl aber noch im Stand des Katechumenen, also noch nicht getauft!
Als Theologe ist Ambrosius wenig originell und beschränkt sich im Wesentlichen auf die Rezeption der griechischen Kirchenväter. Innerkirchlich ist er auf die Durchsetzung der beim Konzil von Nikaia formulierten christologischen Lehre bedacht. Seine eigentliche Bedeutung aber liegt in seinem Verständnis des Verhältnisses von Kirche und Staat und seinem entsprechenden Handeln! Der Kaiser ist in der Kirche und nicht über ihr, formuliert er einmal prägnant. Der Staat habe der Kirche zu dienen! Gegen die Forderung des heidnischen Stadtpräfekten nach Tolerierung der verschiedenen Kulte wendet Ambrosius in aller Schärfe ein: Niemand könne sein Heil anders erwirken als durch die Verehrung des wahren Gottes. Deshalb sei vom Kaiser als dem Soldaten des Allmächtigen und des Glaubens nicht Toleranz, sondern Eifer für den wahren Gott gefordert! Bereits bei seiner ersten Messe, der Kaiser Theodosius in Mailand beiwohnte, stellt Ambrosius in einer für den Kaiser demütigenden Weise das Verhältnis zwischen Kirche und Staat klar: Theodosius kam aus dem oströmischen Reich und wurde nach dem Sieg über Maximus nach langer Zeit wieder Kaiser des gesamtrömischen Reiches. Nach oströmischem Brauch nahm der Kaiser bei der Messe zusammen mit den Priestern im Altarraum Platz und wurde vom Bischof ins Kirchenschiff verwiesen. Der Konflikt zwischen Ambrosius und Theodosius eskaliert bei verschiedenen Gelegenheiten. Für die abendländische Christentumsgeschichte und das Verhältnis zum Judentum besonders fatal: Als in Kleinasien vom christlichen Pöbel eine Synagoge in Brand gesteckt wurde und Theodosius die Bestrafung der Schuldigen anordnete, identifiziert sich Ambrosius mit den christlichen Fanatikern („Ich selbst habe die Synagoge in Brand gesteckt“) und bezeichnet die Juden als Feinde Christi, die deshalb vom Staat nicht begünstigt werden dürfen. Angesichts der Androhung der Exkommunikation lenkt der Kaiser schließlich ein. Und die christliche Judenhatz steigert sich daraufhin so sehr, dass im Jahr 393 eine strenge Verurteilung derselben nötig war.
Eines Konflikts zwischen Ambrosius und dem Kaiser wird auch in der hier dokumentierten Rede ausführlich gedacht: In Thessalonich wurde der (gotische) Heerführer vom Volk gelyncht, nachdem er einen beliebten Wettkämpfer der – kurz zuvor unter Strafe gestellten – Homosexualität bezichtigt und in Gefängnishaft gebracht hatte. Theodosius ordnete darauf ein Massaker unter der Bevölkerung an, das etwa 7000 Todesopfer forderte! Dem Ambrosius gab dies Gelegenheit, ihm wie der Prophet Samuel dem König David entgegenzutreten und öffentliche Buße vom Kaiser zu fordern. Nach längerem Zögern lenkt Theodosius auch hier wieder ein und erhält zu Weihnachten 390 die Absolution. Diese Szene nimmt den späteren Investiturstreit und den Canossagang Heinrichs IV. zu Papst Gregor VII. vorweg. Theodosius beugt sich zunehmend den Forderungen des Mailänder Bischofs, verbietet im Jahr 391 endgültig die heidnischen Kulte und untersagt zwei Jahre später auch die – den heidnischen Göttern gewidmeten – olympischen Spiele. Das Christentum wird endgültig zur Staatsreligion. Erst das Wegbrechen der religiösen Basis mit der Reformation leitete im Abendland jene Entwicklung im Verhältnis von Kirche und Staat ein, die in die Säkularisierung münden konnte.
Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse wird erst die wahre Bedeutung des Lobes der Demut und des Glaubens des Kaisers in der Leichenrede klar: Ein Kaiser hat sich in Ambrosius’ Verständnis der Kirche zu unterwerfen.
Der außerordentliche Einfluss des Ambrosius auf die Politik erklärt sich vor allem aus der damals gefährdeten und bedrohten Situation des Römischen Reiches. Tatsächlich wird Rom bereits dreizehn Jahre nach dem Tod des Ambrosius (397) von den Wisigoten besetzt.
Zur äußeren Situation der Rede ist noch anzumerken: Theodosius war in Mailand gestorben und sollte nach vierzig Tagen nach Konstantinopel überführt werden. Ambrosius hält seine Trauerrede vor der Überführung des Leichnams in Anwesenheit des zehnjährigen Honorius, der dem Kaiser auf dem Thron nachfolgen sollte.
Die Rede
Das also drohten uns die schweren Erdbeben, das die unaufhörlichen Regenschauer und kündigte die außergewöhnliche Dunkelheit und Finsternis, dass unser gnädigster Kaiser Theodosius vom Irdischen scheiden würde. Selbst die Elemente trauerten über seinen Hingang. Der Himmel war in Dunkel gehüllt, die Luft starrte ständig in Finsternis, die Erde schütterte unter Beben und war vollbedeckt von strömenden Wassern. Warum auch sollte nicht selbst die Welt trauern, dass jählings ein Herrscher hinweggerafft werden sollte, durch den das harte Los dieser Welt so gern Linderung erfuhr, indem er die Vergehen, ehe er sie strafte, verzieh? […]
Ihr erinnert euch doch, welche Triumphe euch der Glaube des Theodosius errungen hat. Da infolge des engen Geländes und der Behinderungen durch den Tross das Heer etwas zu spät in die Schlacht eintrat und der Feind infolge der Verzögerung des Kampfes zum Sturm überzugehen schien, sprang der Kaiser vom Ross, trat allein vor die Schlachtreihe und rief: „Wo ist der Gott des Theodosius?“ Schon stand er Christus ganz nahe, da er dies sprach. Wer könnte denn auch so sprechen, wenn er sich nicht als Anhänger Christi fühlte? Durch diesen Ruf nun begeisterte er alle, durch sein Beispiel wappnete er alle. Gewiss, er stand an Jahren bereits im Greisenalter, kraft des Glaubens aber im kräftigen Mannesalter.
Der Glaube des Theodosius war also euer Sieg; euer Glaube und eure Treue seien die Stärke seiner Söhne! Glaube und Treue ergänzen deren Alter. So sahen auch weder Abraham, da er im hohen Alter einen Sohn erzeugen, noch Sara, da sie ihn gebären sollte, auf ihr Alter. Und kein Wunder, wenn der Glaube das Alter ersetzt: Stellt er doch das Zukünftige dar. Was ist denn der Glaube anders als „die Wesenheit der Dinge, die man hofft“? So lehrt uns die Schrift. Wenn nun der Glaube die Wesenheit der zu hoffenden Dinge ist, um wie viel mehr der sichtbaren Dinge? Ein großes Gut ist der Glaube, von dem geschrieben steht: „Der Gerechte aber lebt aus dem Glauben, und zieht er sich zurück, wird er meiner Seele nicht gefallen.“ […]
Wenn es viel heißt, irgendeinen barmherzigen oder glaubensvollen Menschen zu finden, wie viel mehr einen solchen Kaiser, den die Macht zum Strafen reizt, das Erbarmen aber davon zurückhält? Was gibt