Nordwestpassage. Roald Amundsen
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Bei der Insel Holms richteten wir den Kurs auf Kap York. Die Verhältnisse sahen sehr günstig aus. Kein Festeis war zu erblicken, und so weit das Auge reichte, war die Melville-Bucht von Eisbergen und Blockeis, das heißt Stücken von Eisbergen, angefüllt.
Um drei Uhr nachmittags passierten wir den bekannten Wegweiser »des Teufels Daumen«, einen Felsengipfel, der einem alten knochigen, aufgehobenen Daumen so treffend ähnlich sieht, dass wir bei seinem Anblick alle in helles Lachen ausbrachen.
Jetzt hissten wir alle Segel und ließen den Motor mit voller Kraft arbeiten. Es galt, so schnell wie möglich über die Bucht hinüberzukommen; da durfte nichts gespart werden. Aber leider sollte unser direkter Kurs auf Kap York nicht von langer Dauer sein. Schon am nächsten Morgen wurden wir vom festen Packeis aufgehalten.
Im Lauf der Nacht hatte sich einen Viertelzoll dickes Neueis gebildet – und wir mussten nun, wie so viele andere vor uns – in den sauren Apfel beißen und südwärts fahren. Vorher fuhren wir aber doch zuerst eine Strecke zwischen das Eis hinein, um es ein wenig näher zu betrachten. Glatte Flächen und scharfe Kanten deuteten darauf hin, dass es erst kürzlich aufgebrochenes Landeis war; wir hatten uns also wahrscheinlich zu nahe an Land gehalten. Jetzt fuhren wir südwärts daran vorbei. Vor uns gegen Südwesten ragte eine Eiszunge ins Meer herein. Die Luft darüber war dunkel und ließ auf offenes Wasser schließen. Indessen legte sich hinter dieser Zunge jenseits einer großen, mit Schlackeis gefüllten Bucht eine zweite solche Eiszunge vor. Wir versuchten in diese Bucht einzudringen, aber bald verdichtete sich das Eis und zwang uns zur Umkehr. Weiter draußen war das Eis bedeutend schwerer, und es sah aus, als befänden wir uns gerade auf der Grenze zwischen dem neu aufgebrochenen Landeis und dem Treibeis. Ich entschloss mich daher, hier fortgesetzt hin- und herzufahren, hier, wo sich jetzt wahrscheinlich jede Veränderung im Eis gleich zeigen würde.
Und ganz richtig! Um Mitternacht wurde das Eis weicher und wir konnten ohne besondere Mühe hindurchfahren. Zugleich setzte ein dichter, undurchdringlicher Nebel ein. Wer den Eisnebel des Polarmeers nicht gesehen hat, weiß nicht, was Nebel ist. Selbst der Londoner Nebel ist nichts dagegen. Wir konnten nicht so weit wie die Länge des Schiffes sehen. Aber wir richteten uns in unserem Kurs nach dem Kompass und das Eis machte uns höflich Platz. So gelangten wir durch den feuchten Brei hindurch; aber wenn mich jemand über die Eisverhältnisse dieses Teils der Melville-Bucht befragen wollte, dann könnte ich ihm keinerlei Auskunft darüber geben. Die Einförmigkeit wurde ab und zu durch einen Seehund unterbrochen, der sofort sein Leben lassen musste. Wir schwelgten in frischem Seehundfleisch. Die ganze Zeit hatten wir noch keinen Vogel gesehen, aber gerade jetzt kamen große Scharen von Krabbentauchern daher – zu Tausenden flogen sie an uns vorüber. Einen großen Vorteil hat man im Treibeis, nämlich Überfluss an Wasser. Beinahe auf jeder Scholle sind Tümpel voll des herrlichsten Trinkwassers, ja wir erlaubten uns sogar den Luxus, uns in Süßwasser zu waschen und zu baden.
Am dreizehnten August morgens halb drei Uhr stand ich schaudernd und frierend am Steuer – nachdem ich um zwei Uhr abgelöst hatte. Als Polarfahrer sollte ich das vielleicht nicht gestehen, aber ich fror nun eben doch. Meine beiden Wachkameraden gingen auf dem Deck umher und versuchten sich warmzuhalten, so gut es ging. Der Nebel senkte sich herab und machte alles, womit er in Berührung kam, tropfnass. Im Ganzen war es zu so früher Morgenstunde ein recht miserables Dasein. Die abgelöste Wache saß jetzt drunten bei einem dampfend heißen Kaffee – den sie nach einer sechsstündigen Anstrengung wohlverdient hatte.
Plötzlich drang ein Lichtschein durch den Nebel. Und wie mit einem Zauberschlag öffnete sich vor mir eine weite Aussicht in strahlende Tageshelle hinein; gerade vor uns – und anscheinend ganz nahe – lag die wild zerrissene Landschaft von Kap York, die bei ihrem plötzlichen Auftauchen wie ein verlockendes Märchenland erschien.
Wir schrien alle laut auf vor Entzücken und Verwunderung. Die Freiwache ließ ihren Kaffee stehen und bald standen wir alle miteinander in stiller, hingerissener Beschauung da. Der Morgen war so glänzend, so übernatürlich klar, dass wir meinten, wir müssten Kap York in ein paar Stunden erreichen können. Und es war doch vierzig Seemeilen entfernt. Im Osten lag das ganze Innere der Melville-Bucht vor uns. Ganz drinnen in der Tiefe konnten wir einzelne hohe Felsengipfel sehen. Eine undurchdringliche Eismasse füllte die Bucht, mächtige Eisgebirge ragten da und dort aus der Masse heraus.
Als wir uns endlich umwendeten, lag der Nebel, aus dem wir plötzlich entschlüpft waren, dicht wie eine Mauer hinter uns.
Das war eines der Wunder, die man nur im Reich des Eises erlebt; sie bleiben einem unvergesslich und üben einen solchen Zauber, dass man sich danach sehnt und sich dahin zurückwünscht – trotz aller Entbehrungen und aller Mühe.
Die Eisverhältnisse unserer Kursrichtung sahen vielversprechend aus. Allerdings lag noch etwas Eis luvwärts, aber wir achteten weiter nicht darauf. An demselben Tag, gerade um Mittag, schloss sich das Eis zusammen, sodass nur eine ganz kleine Rinne gegen Norden blieb. Wir waren da noch fünfundzwanzig Seemeilen vom Kap York entfernt. Doch das Eis vor uns wurde wieder weicher – wie wenn sich der Weg vor uns ebnete – und um fünf Uhr nachmittags erreichten wir die feste Eiskante von Kap York. Wir fuhren diese eine Strecke entlang mit Kurs auf Kap Dudley Digges. Da der Nebel sich nun wieder einstellte, legten wir am Eis an, um zu warten, bis er sich lichte. Zwei von unseren Jägern benützten die Gelegenheit; sie nahmen ein Boot und machten Jagd auf Krabbentaucher. Nach ein paar Stunden kehrten sie mit so viel Vögeln zurück, dass es für eine Mahlzeit reichte. Sie schmeckten wie die delikatesten Krammetsvögel – und es ist merkwürdig, wie esslüstern man auf so einer Eismeerfahrt wird!
Beim Quartierwechsel am nächsten Morgen klärte sich das Wetter auf. Die nächsten Umgebungen waren dicht mit Eis bepackt. Dagegen erstreckte sich eine Seemeile südwärts eine große, breite Wake, und so ungern ich zurückfuhr, fand ich das hier doch am ratsamsten. Nach vieler Mühe gelangten wir in die Wake. Diese öffnete sich nach Westen weiter und weiter: Es war nicht daran zu zweifeln, dass sie in offenes Wasser hinausführte. Um halb vier Uhr waren wir dann auch in eisfreiem Meer.
Die Melville-Bucht war besiegt. Wir hatten allen Grund, vergnügt zu sein. Diese Meeresstrecke hatte immer als der schwierigste Teil der ganzen Nordwestpassage vor mir gestanden – das heißt, mit so einem kleinen Schiff wie dem unseren. Und jetzt waren wir ohne Missgeschick hindurchgekommen.
Am fünfzehnten August nachmittags vier Uhr erreichten wir Dalrymple Rock, wo die Kapitäne der schottischen Walfischfänger, die Herren Milne und Adams, ein bedeutendes Depot für uns errichtet hatten. Dalrymple Rock ist nach den Beschreibungen leicht zu erkennen; er steigt in Kegelform jäh aus dem Meer auf. Wenn man wie wir von der Ostseite von Wolstenholme kommt, erblickt man zuerst eine andere im Norden vorgelagerte Insel. Dies ist die Eidervogelinsel. Auf dieser Insel und auf Dalrymple Rock sammeln die Eskimos jedes Jahr eine Menge Eier.
»Zwei Kajaks voraus!«, brüllte plötzlich der Mann im Mastkorb.
In einem Nu waren alle Mann auf Deck. Ich ließ die Maschinen halten und die Kajaks wurden an Bord genommen. Wir waren sehr begierig, diese nordgrönländischen Eskimos, von denen man sich wunderliche Dinge