Thomas von Kempen. Thomas von Kempen
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Ein Zentrum der Devotio moderna, in dem man zum herkömmlichen monastischen Leben zurückkehrte und von dem wiederum Anstöße zu einer Klosterreform ausgingen, entstand in Windesheim bei der niederländischen Stadt Zwolle, wo man nach der Regel der Augustiner Chorherren, also im traditionellen klösterlichen Rahmen, lebte. Die „Windesheimer Kongregation“ mit ihren als „geregelte Stifte“ bezeichneten Reformklöstern breitete sich auch außerhalb der Niederlande aus. In Deutschland und der Schweiz kam es innerhalb kurzer Zeit zu zahlreichen Klostergründungen dieser Art. Das führte nicht zuletzt zu einer Wandlung der inneren Struktur der ganzen Bewegung: „Aus den Brüdern wurden ‚Fraterherren‘. Mögen auch im späteren 15. Jahrhundert die großen Impulse in Spiritualität und Monastik abgeflacht sein, so ist doch die Zahl der geistlich-klösterlichen Niederlassungen angewachsen wie nie zuvor. Von den 47 Klöstern, Konventen und Kapiteln, die es um 1500 beispielsweise im Herzogtum Kleve gab, waren mehr als die Hälfte, nämlich 26, Gründungen des 15. Jahrhunderts.“14 Eben dies entwickelte sich während der Lebenszeit des Thomas von Kempen, der in der Devotio moderna eine wichtige Rolle spielen sollte.
Die Initiative zu den verschiedenen Gemeinschaftformen der Devotio ging, wie erwähnt, von Geert Groote aus. Unterstützt wurde er durch seine ersten Anhänger und Schüler, unter ihnen Florentius Radewijns (gestorben 1400), der auf die Durchbildung eines asketischen Lebens großen Wert legte. Ein Spezifikum Grootes stellte die kirchenkritische Predigt dar. Sie richtete sich gegen die offensichtlich nicht geringe Zahl solcher Kleriker, die mit ihren Gelübden, so auch mit dem Zölibatsgebot, allzu freizügig umgingen und in den Kirchengemeinden Anstoß erregten. (Weitere, hier nicht weiter aufzuführende Gesichtspunkte ergeben sich aus mancherlei Beziehungen zum Humanismus und seinen pädagogischen Zielsetzungen sowie zu Fernwirkungen, die auf die Reformation verweisen.)15
Was nun Thomas von Kempen (auch: Maleolus a Kempis, gestorben 1471) anlangt, dessen ursprünglicher Name Hemerken (d.i. Hämmerchen) war und der von Kempen am Niederrhein stammte, so führte er als Augustiner Chorherr ein betont nach innen gekehrtes Leben. Sein älterer Bruder Johannes, der als Augustiner selbst der Windesheimer Kongregation angehörte, hatte ihn auf die Brüder vom gemeinsamen Leben aufmerksam gemacht. Anlässlich einer Wallfahrt lernte er etwa zwanzigjährig im Jahr 1399 das Chorherrnstift Agnetenberg bei Zwolle kennen. Nach der üblichen Vorbereitungszeit als Novize und Donatus verband er sich durch Verpflichtung auf die ewigen Gelübde mit den Augustinern und erlangte die Priesterweihe. Agnetenberg wurde unter seiner Leitung als Subprior und Novizenmeister zu einem Zentrum der von Geert Groote begründeten Devotio moderna. „Neben seinen Verpflichtungen als Geistlicher und Inhaber von Ämtern bestand seine Tätigkeit im Schreiben von Büchern: im Kopieren fremder und im Verfassen eigener Werke (seit etwa 1420). Am 1. Mai oder 25. Juli 1471 starb er in Agnetenberg.“16 Die Tatsache, dass allein vier vollständige Abschriften der Bibel auf Thomas von Kempen zurückgehen, veranschaulicht, welches Ausmaß diese Schreibarbeit entwickelt hat.
Von 38 eigenen Schriften abgesehen, führte seine umfangreiche Abschreibetätigkeit zur Kompilation der Nachfolge Christi, durch die er berühmt geworden ist. Thomas verstand sich im Übrigen nicht als auctor, sondern als scriptor (Schreiber). Das ist nicht zuletzt angesichts der Tatsache zu berücksichtigen, dass die Verfasserschaft des Buches lange Zeit hindurch umstritten war. Mehrere prominente Persönlichkeiten des geistlichen Lebens vermutete man hinter dem in zahlreichen Handschriften verbreiteten und viel gelesenen Buch. Erhalten hat sich ein Autograf, also ein aus des Kempeners eigener Hand verfasstes vollständiges Nachfolge-Buch. Gegen 40 Namen wurden als mögliche Autoren vermutet, darunter Geert Groote, sowie andere Mitglieder der Devotio oder gar Bernhard von Clairvaux! Das entsprach einer zusätzlichen bedeutenden Aufwertung der Nachfolge Christi. Abgesehen davon, dass der spirituelle Rang eines Buches nicht allein von seinem etwaigen Autor abhängt, wird man davon ausgehen können, dass Thomas von Kempen die ihm zugänglich gewordenen Textteile in einem abschließenden Arbeitsgang zusammengefügt, bearbeitet und schließlich herausgegeben hat. Ausschlaggebend konnte nur der Gehalt des vierteiligen Buches sein. Und das Ergebnis zeigt, wie gut der „Scriptor“ seine Bibel kennt und wie vertraut ihm aber auch Texte der Philosophie wie der Kirchenväter gewesen sein müssen, nicht zu vergessen Bernhard von Clairvaux, um einer solchen Arbeit gewachsen zu sein. Dazu bemerkt Johanna Lanczkowski:
„Das Heilbringende und Vorbildhafte des Lebens Jesu soll den Menschen zur Demut, zur Liebe, zu Leid und Kreuz und Leidensnachfolge aufrufen, um ihn auf den Weg des Heils zu führen. Thomas von Kempen hat mit seiner Imitatio Christi den Geist der Mystik weltweit bekannt gemacht und durch die Jahrhunderte lebendig gehalten.“17
DIE NACHFOLGE CHRISTI IN VIER BÜCHERN
Die Schrift setzt sich aus vier Büchern zusammen. Weil sie als Spruchsammlungen nicht streng strukturiert sind, war es seit den Tagen ihrer Niederschrift nicht schwer, die einzelnen Buchteile in unterschiedlicher Reihenfolge oder auch nur teilweise zu vervielfältigen. Wie ersichtlich, handelt es sich um eine Blütenlese von Weisheitsworten. Eine als „Rapiarium“18 bezeichnete Anthologie hatte die Aufgabe, die Leserschaft mit richtungweisenden Leitworten zu versorgen, seien es solche aus der Heiligen Schrift oder seien die Zitate anderen kirchlichen oder sonstigen literarischen Quellen entnommen. Groß ist daher der Anteil an biblischen Texten. Andere wichtige Quellen stellen Wortlaute des Zisterziensers Bernhard von Clairvaux dar. Als einflussreich erwies sich der Dominikaner und spätere Kartäuser Ludolf von Sachsen (gestorben 1378). Durch Geert Groote fand seine Vita Jesu Christi Eingang in die Devotio moderna, wo sie geradezu zur Standardlektüre erhoben wurde. Dieser Vita war ihrerseits eine weitreichende Wirkung beschieden.19 Sie gehörte z.B. zum Lesestoff, der Ignatius von Loyola auf seinem Krankenlager zur Verfügung stand und der ihn für die Meditationsanweisungen in seinem Exerzitienbuch inspirierte.
Das erste Buch der Nachfolge Christi bietet Ratschläge und Ermahnungen (admonitiones), wie sie Menschen innerhalb wie außerhalb eines Klosters zur spirituellen Lebensgestaltung mit Blick auf die Nachfolge Jesu Christi nützlich sein können. Und wenn die in Bruder- und Schwesternhäusern Lebenden, abgesehen von den Augustiner Chorherren der Windesheimer Kongregation, sich keiner strikten Ordensregel unterwarfen, so stellen Kloster und Zelle zumindest ein Gleichnis für die eigene Innerlichkeit dar. Prinzipiell geht es darum, sich in das Leben des Herrn zu versenken und als Vorbild für das eigene geistliche Unterwegssein zu betrachten. Wenn beispielsweise der Rat gegeben wird, das Herz möge sich von allen Äußerlichkeiten um des Ewigen willen abwenden, so ergibt sich aus heutiger Sicht daraus eine überaus befremdliche weltdistanzierte Einstellung. Sie beherrscht ohnehin die Spiritualität der Devotio moderna im Allgemeinen und des Nachfolge-Buches im Besonderen. Diese Einseitigkeit soll jedenfalls nicht verschwiegen werden.
Derselben Haltung entspricht die in diesen Kreisen zu beobachtende Skepsis gegenüber allzu abgehobenen Spekulationen, wie sie aus der zeitgenössischen Philosophie und der scholastischen Theologie bekannt geworden sind. Daher konnte es nur verpönt sein, wenn ein Priester und Theologe sich etwas auf seinen geistlichen Status zugute tut, es jedoch an einer ernsthaften spirituellen Gesinnung und Ethik mangeln lässt. Umso mehr wird die zeitbedingte praktizierbare Frömmigkeit geschätzt, um den in Kirche und Gesellschaft sich abzeichnenden Niedergangserscheinungen durch eine umso strengere Askese entgegenzutreten. Alle Übung dient dem Ziel einer nüchternen Selbsterkenntnis und als Demut deklarierten kritischen Selbsteinschätzung. So gesehen sind es die Ideale des mönchischen Lebens, wie sie nach der Überzeugung der Devoten das Leben eines