Die Sieben Weltwunder. Johannes Thiele
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IDEE UND SYMBOL DER PYRAMIDEN
Was waren diese Pyramiden? Den Menschen des alten Ägypten galten sie als »Thron des Sonnengottes«, der sich auf seiner Tagesreise hier ausruhen konnte und sich auf den polierten Steinschrägen spiegelte. Der Thron des Sonnengottes war zugleich Grabmal des Gottkönigs, ein Schutzgebirge über dem Sarg des Pharao, dessen Körper unversehrt bleiben sollte, der Vorstellung folgend, dass die Seele, die beim Tod den Körper verlässt, ihn später wiederfinden müsse.
Doch was war der Grund für ihren Bau? Die ursprüngliche Intention, den Sarg des verstorbenen Pharao aufzunehmen und ihn durch monumentales Steinwerk um die Grabkammer herum gegen Grabräuber zu schützen, reicht als Erklärung nicht aus. Denn längst ist erwiesen, dass eine derartige Vorsichtsmaßnahme – falls sie wirklich eine war – sinnlos gewesen ist. Die Grabkammer wurde ebenso ausgeraubt wie fast alle bisher in Ägypten entdeckten Grabmäler. Deshalb war es eine Sensation, als der Engländer Howard Carter 1922 das verschüttete Grab des Tut-anch-Amun entdeckte und sowohl die Maske der Mumie aus purem Gold als auch die in der Grabkammer gefundenen Schätze der Forschung zur Verfügung stellte.
DER BAU DER PYRAMIDEN
Für den Bau der Großen Pyramide waren mindestens einhunderttausend Menschen nötig, die in ständigem Wechsel ihre Arbeitskraft einsetzten. Im Bauzentrum waren neben den Baumeistern, Wissenschaftlern und Organisatoren als feste Angestellte vor allem Maurer, Steinmetze, Zimmerleute und Fährmänner das ganze Jahr hindurch beschäftigt. Eine perfekte Organisation hielt das unvergleichliche Unternehmen in Bewegung: Die Einberufung, Einkleidung, Unterbringung, Verpflegung und Einteilung des Heeres von Transportarbeitern, zumeist Bauern, erforderte exzellente Managementqualitäten.
Jedes Jahr im Juni, wenn sich erstmals am nördlichen morgendlichen Sternenhimmel die Sothis zeigte, die auch Sorius genannt wurde, kündigte sich das neue Jahr an. Für die Ägypter ein untrügliches Zeichen – drei Wochen später musste mit der Überschwemmung des Nils gerechnet werden. Seit Generationen wussten die Bauern, dass ihre Felder überflutet und sie monatelang untätig und arbeitslos sein würden. So erwarteten sie das Erscheinen der Schreiber des Königs, die sie zum Bau der Pyramide holten. Vielleicht hätten sie lieber während dieser Zeit mit ihren Frauen getanzt, ihre Hütten repariert oder wären auf die Affenjagd gegangen, doch es galt als gute Tat und religiöse Pflicht, dem Pharao zu dienen.
So zog bald eine Karawane von zahllosen Bauern zum Fluss in Richtung Gizeh, den schmalen Uferstreifen mit Getreidefeldern, Obstgärten und Gemüsebeeten entlang. Die Üppigkeit der Früchte und das hochstehende Getreide ließen die erbarmungslose Wüste vergessen, die wenige Schritte entfernt auf beiden Seiten des Flusses lauerte. »Unser Land ist ein Geschenk des Nils«, sagten die Ägypter voller Freude über den fruchtbaren Schlammboden, den der Fluss mit sich brachte und der zusammen mit der ungeheuren Kraft der Sonne drei Ernten im Jahr ermöglichte. Den fehlenden Regen ersetzte der Tau, der nach kühler Nacht morgens auf den Feldern lag.
Die Bauern führten ein fast sorgloses Leben, sie hatten keinen Hunger zu leiden und lebten »vom Tisch des Königs«. Als Gegenleistung lieferten sie einen Teil der Ernte an das staatliche Haus der Lebensmittel und an das Ackerhaus und bezahlten Steuern.
Es entspricht nicht den Tatsachen, den Bau der Pyramiden als erpresste Dienstleistung zu bezeichnen. Die Bauern leisteten zwar Fronarbeit, doch sie wurden gut versorgt, bekamen Kleidung und Essen und kehrten drei Monate später, wenn die Nil-Überschwemmung vorbei war, zu ihren Familien und ihren Feldern zurück.
Verabschieden wir uns also von der jahrhundertelang beliebten Vorstellung, die Pyramiden seien das Werk von Steine schleppenden Sklavenarbeitern, angetrieben von den Peitschen brutaler Aufseher. Der Pyramidenbau galt als religiöses Gemeinschaftswerk, als eine Verherrlichung des Pharao, der Gott auf Erden war und nach seinem Tod zu den Göttern zurückging, seinem Volk aber verbunden blieb. In den Monaten der Nil-Überschwemmung bot der auch religiös motivierte Pyramidenbau den Bauern Arbeit und Brot. Die Namen von Bautrupps sind durch Inschriften überliefert. Sicherlich galt dies als eine besondere Ehre und Auszeichnung. Wären hier Sklaven, wie wir diesen Begriff heute verstehen, am Werk gewesen, hätte man sie nicht auf Stein verewigt.
Nicht unterschätzt werden sollte die jahrelange Vorbereitung, bevor überhaupt mit dem Bau der Pyramide begonnen werden konnte. Zunächst musste eine passende Baustelle am Ufer des Nils gefunden werden; die Pyramide ließ sich schließlich nicht irgendwo in den Sand setzen; sie wäre bei einem Gewicht von vielen Millionen Tonnen Gestein unweigerlich versunken. Es musste ein felsiger Untergrund sein, der das Bauwerk trug. Einen kurzen Kamelritt von Kairo fand man ihn: Gizeh.
Nun musste das gewaltige Felsplateau planiert werden, absolut eben, denn bei einem solchen geometrischen Bau würde sich die kleinste Abweichung bemerkbar machen. Dann wurde rund um die Grundfläche des Fundaments von 52.500 Quadratmetern eine rechteckige, exakt bearbeitete Pflasterung gelegt. Jede Seite misst 232,74 Meter und zeigt genau nach einer der vier Himmelsrichtungen.
Der größte Teil der Arbeit bestand dann im Transport der Steinblöcke. Nahezu 2,5 Millionen Quader, jeder mit einem Gewicht von etwa zweieinhalb Tonnen, mussten herbeigeschafft werden. Die Kalksteinblöcke kamen aus den Bergen auf der anderen Seite des Nils und mussten über den Fluss geschifft werden. Die Granitblöcke wurden sogar aus dem sechshundert Kilometer entfernten Assuan, auf dem Hochwasser des Nils, herangebracht. Einige der Granitblöcke wogen siebzig Tonnen, das entspricht dem Gewicht einer Eisenbahnlokomotive.
Eine perfekte Technik und hochentwickelte Werkzeuge wurden eingesetzt, um die Steinblöcke aus den Felsen zu lösen und in eine rechteckige Form zu meißeln. Doch wie wurden die riesigen Kalksteinquader bewegt? Wahrscheinlich wurden sie zunächst mit Hilfe von Seilen auf einen hölzernen Schlitten gehievt und festgezurrt. Über lose verlegte Balken in der Art eines »rollenden Systems« wurden sie zum Ufer gezogen, wo große Barken zum Übersetzen bereitstanden. Millimeter für Millimeter wurde geschoben, angehalten, ausgeglichen. Es erforderte unendliche Geduld, bis ein Stein die richtige Position auf dem Schiff hatte, damit die Gefahr des Kenterns gebannt war. Der Fährmann musste dann beim Übersetzen die Sandbänke des Nils sicher umschiffen.
Modell des Rampensystems, das wahrscheinlich beim Bau der Pyramiden angewandt wurde. (Museum of Science, Boston)
Vom anderen Ufer wurden die Steinblöcke dann aufwärts bis zum Bauplatz auf dem Felsplateau gebracht. Auf den polierten Platten einer zwanzig Meter breiten Baurampe, die stetig mit der Höhe der Pyramide wuchs, konnten dann die mit den schweren Quadern beladenenen Holzschlitten, deren Kufen eingefettet waren, relativ einfach nach oben gezogen werden. Vielleicht gab es auch mehrere dieser Rampen oder die Rampe wurde in Form einer Serpentine um die Pyramide herum zur Spitze geführt.
In zweihundert Schichten wurden die Steinquader übereinander getürmt, auf eine Höhe, die ein Wolkenkratzer mit vierzig Stockwerken erreicht. Abgeschlossen wurde der Gipfel der Pyramide mit einem Schlussstein, Pyramidon genannt, weil er selbst die Form einer kleinen Pyramide hatte. So groß und so schwer wie kein anderer Stein, reflektierte er mit seiner glänzenden Oberfläche die Strahlen der aufgehenden Sonne und bot so