Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
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Читать онлайн книгу Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme - Galileio Galilei страница 36
Simpl. So? Wer sagt denn, dass man keine anderen Linien ziehen kann? Warum sollte es denn unmöglich sein, von unten her noch eine weitere Linie im Punkte A anlangen zu lassen, die mit den übrigen rechte Winkel bildet?
Salv. Ihr könnt doch wahrhaftig nicht durch einen Punkt mehr als drei aufeinander rechtwinklige Linien legen.
Sagr. Ja; denn die, welche Signore Simplicio meint, scheint mir dieselbe Linie wie D A zu sein, nur nach unten verlängert. Auf diese Art könnte man noch zwei andere ziehen; es wären aber die nämlichen drei wie zuvor, nur mit dem Unterschiede, dass sie dann sich schnitten, während sie jetzt sich bloß berühren. Neue Dimensionen würde man aber dadurch nicht erhalten.
Bei naturwissenschaftlichen Beweisen ist mathematische Strenge nicht erforderlich.
Simpl. Ich will nicht sagen, dass dieser Euer Beweis der Strenge ermangele; wohl aber kann ich mit Aristoteles14 sagen, dass man in den Naturwissenschaften nicht immer Beweise von mathematischer Strenge zu suchen braucht.
Sagr. Allerdings vielleicht dann nicht, wenn sie unerreichbar ist; wenn sie hier aber möglich ist, warum nicht Gebrauch von ihr machen? Doch es wird gut sein, auf diese Einzelheit nicht noch mehr Worte zu verschwenden, weil meiner Meinung nach Signore Salviati dem Aristoteles und Euch ohne jeden Beweis zugegeben hätte, dass die Welt ein Körper sei und dass sie Vollkommenheit und zwar die höchste Vollkommenheit besitze, wie sie ja das höchste Werk Gottes ist.
Nach Aristoteles zwei einander entgegengesetzte Teile der Welt, ein himmlischer und ein elementarer.
Salv. So ist es in der Tat. Lassen wir also die allgemeinen Betrachtungen des Weltganzen und gehen wir über zu der Betrachtung seiner Teile, deren Aristoteles im ersten Abschnitt zwei sehr verschiedene, gewissermaßen einander entgegengesetzte annimmt, nämlich einen himmlischen und einen elementaren: jener unentstanden, unzerstörbar, unveränderlich, unbeeinflussbar; dieser beständigem Wechsel und fortwährender Änderung unterworfen. Diesen Unterschied schöpft er aus seinem Grundprinzipe, nämlich aus der Verschiedenheit der Ortsveränderungen.15 Seine Schlüsse sind dabei folgende:
Drei Arten der Ortsbewegung, geradlinige, kreisförmige und gemischte.
Geradlinige und kreisförmige Bewegungen einfach, weil längs einfacher Linien erfolgend.
Aus der sinnlichen Welt sozusagen heraustretend und in eine ideale sich versetzend, unternimmt er es, den Bauplan des Weltalls zu entwerfen und demgemäß zu erwägen, dass die Natur die Ursache der Bewegung ist16, die Naturkörper mithin der Ortsveränderung fähig sind. Er erklärt sodann, dass die Bewegungen von dreierlei Art sind, nämlich kreisförmig, geradlinig oder aus diesen gemischt. Die beiden ersten Bewegungsarten nennt er einfach, weil von allen Linien der Kreis und die Gerade allein einfach sind. Hierauf definiert er, die bisherige Allgemeinheit bedeutend einschränkend, von den einfachen Bewegungen sei die erste die Kreisbewegung, d. h. dieu mdie Mitte stattfindende, die beiden anderen seien gerade nach oben und nach unten gerichtet, nämlich nach oben die von dem Mittelpunkt sich entfernende, nach unten die dem Mittelpunkt zustrebende. Daraus nun schließt er, dass notwendigerweise die einfachen Bewegungen mit diesen drei Arten erschöpft sind, dass es also nur Bewegungen nach der Mitte, von der Mitte und um die Mitte gebe. Dieses steht, wie er sagt, in schönem Einklange mit dem früher über den Körper Gesagten, der ganz wie die ihm zukommende Bewegung in dreierlei Hinsicht vollkommen sei. Nach Feststellung dieser Bewegungsarten fährt er fort und sagt: Da von den Naturkörpern einige einfach, andere aus diesen zusammengesetzt seien – und zwar nennt er einfache Körper solche, die von Natur einen Antrieb zur Bewegung haben, wie das Feuer und die Erde –, so müssen die einfachen Bewegungen den einfachen Körpern, die gemischten den zusammengesetzten Körpern zukommen, derart jedoch, dass die zusammengesetzten dem vorherrschenden Bestandteile folgen.
Sagr. Haltet gütigst einen Augenblick ein, Signore Salviati. Denn ich verspüre in mir eine solche Menge von Zweifeln sich regen, dass ich mich ihrer entledigen muss, wenn ich Eurem ferneren Vortrag aufmerksam soll folgen können; ich müsste sonst, um meine Einwürfe nicht zu vergessen, darauf verzichten, dem folgenden meine Aufmerksamkeit zu widmen.
Salv. Ich mache sehr gern eine Ruhepause; denn auch mir ergeht es ähnlich. Ich laufe jeden Augenblick Gefahr, mich zu verirren, während ich durch Klippen und stürmische Wogen segeln soll, die mich, mit dem Sprichwort zu reden, den Kurs verlieren lassen. Bringt also nur Eure Einwürfe vor, ehe ihre Menge zu groß geworden ist.
Die von Aristoteles aufgestellte Definition der Natur entweder mangelhaft oder zur Unzeit angewandt.
Zylindrische Schraubenlinie kann als einfache Linie gelten.
Aristoteles passt den Bauplan dem Weltgebäude an, nicht das Gebäude dem Plane.
Die geradlinige Bewegung nach Aristoteles bisweilen einfach, bisweilen gemischt.
Sagr. Dem Beispiele des Aristoteles folgend, habt Ihr mich zuerst der sinnlichen Welt weit entrückt, um mir den Bauplan zu zeigen, nach dem sie ausgeführt werden soll. Ihr ginget zu meiner Zufriedenheit von dem Satze aus, dass die Naturkörper von Natur aus beweglich sind, da anderwärts die Natur als Ursache der Bewegung definiert worden ist. Hier kam mich ein kleines Bedenken an: Warum nämlich sagte Aristoteles nicht, dass von den Naturkörpern einige von Natur beweglich, andere unbeweglich sind, während es doch in der Definition heißt, die Natur sei die Ursache der Bewegung und der Ruhe? Wenn die Naturkörper alle den Trieb zur Bewegung haben, so war es entweder unstatthaft, die Ruhe in die Definition der Natur mit aufzunehmen oder es war unstatthaft, eine solche Definition an dieser Stelle einzuführen.17 Wenn er mir nachher auseinandersetzt, was er unter einfachen Bewegungen verstanden wissen will und wie er diese nach den zurückgelegten Wegen bestimmt, indem er nämlich einfache Bewegungen diejenigen nennt, die längs einfacher Linien stattfinden, wenn er ferner sagt, dass solche einfache Linien bloß der Kreis und die gerade Linie sind, so will ich das ruhig hinnehmen und nicht spitzfindig ihm das Beispiel der um einen Zylinder gewundenen Schraubenlinie entgegenhalten, wiewohl diese wegen der Gleichartigkeit ihrer Teile auch, wie mir scheint, zu den einfachen Linien gerechnet werden könnte. Hingegen will es mir gar nicht gefallen, dass ich ihn plötzlich unter Beeinträchtigung der Allgemeinheit – während er scheinbar die nämlichen Definitionen nur mit anderen Worten wiederholt – die eine Bewegung eine solche um den Mittelpunkt nennen höre, die anderen sursum et deorsum, d. h. aufwärts und abwärts gerichtet, alles Ausdrücke, die sich nicht außerhalb der schon fertigen Welt anwenden lassen, sondern diese als schon geschaffen, ja sogar als schon von uns bewohnt voraussetzen. Wenn aber die geradlinige Bewegung einfach ist bloß wegen der Einfachheit der geraden Linie und wenn die einfache Bewegung natürlich ist, nach welcher Seite sie auch gerichtet sei, aufwärts oder abwärts, vorwärts oder rückwärts, nach rechts oder nach links oder nach irgendeiner anderen denkbaren Richtung, vorausgesetzt nur, dass sie geradlinig ist, so wird auch eine solche Bewegung manchen Naturkörpern zukommen müssen, wenn anders nicht die Grundannahme des Aristoteles mangelhaft ist. Überdies deutet Aristoteles offenbar an, es gebe