Great Green Thinking. Jennifer Hauwehde
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Zum anderen hatte ich das Gefühl, dass sich alles immer wieder um die gleichen Inhalte drehte, mit dem:der gebildeten, gut situierten Konsument:in im Mittelpunkt. Selbst das wohl bekannteste Gesicht der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung Luisa Neubauer beschwert sich in ihrem Buch Vom Ende der Klimakrise darüber, in Interviews oder Talkshows am Ende immer das gleiche gefragt zu werden, nämlich, was jede:r Einzelne im Alltag tun könne: »Da sitzen wir fast zwei Stunden und besprechen die größte und wohl komplexeste Krise der Menschheitsgeschichte. Wir betonen, wie wichtig es ist, an den großen Stellschrauben zu drehen, systemische Fragen zu stellen, einen strukturellen Wandel einzuleiten, weil wir nur noch so wenig Zeit haben, den ganzen Laden zu dekarbonisieren. Womit die Menschen aber aus Diskussionen wie dieser entlassen werden, ist die völlig erwartbare Antwort auf die Klimaschutz-im-Alltag-Frage.«3
Als ob sich mit der richtigen Einkaufstaktik alles lösen ließe. Als ob mit all diesen Produkten rund ums vermeintlich nachhaltige Leben nicht wieder alte Konsummuster reproduziert würden. Vielleicht frustrierte mich auch einfach nur, wie schwer ich es selbst fand, die richtige Taktik zu finden. Woran das liegt, nämlich an den – wie ich mittlerweile besser weiß – nötigen strukturellen Veränderungen, ließen die meisten Artikel unerwähnt. Auch die Komplexität des Lebens, wie das Privileg, sich überhaupt mit Nachhaltigkeitsfragen beschäftigen zu können, blendeten sie aus. Was würde es bringen, wenn sich plötzlich alle fürs gute Gewissen Haarseifen kauften, aber Flugreisen trotzdem so wenig kosteten? Was nützte das Wissen über die schlechten Produktionsbedingungen von Kleidung, wenn sie weiter billig in den Läden hing? Und wo blieben die Ratgeber für Unternehmen und Politiker:innen?
DIE IDEE IST JA GANZ NETT, ABER …
Wenn wir heute über Nachhaltigkeit sprechen, dann geht es gefühlt nur um den Gegensatz Konsum versus Verzicht (generell und auf bestimmte Produkte), um nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen, um Müllvermeidung, CO2-Einsparung. Jede:r fängt erst mal bei sich selbst an. Klar, das ist auf den ersten Blick auch greifbarer und leichter umsetzbar, als über große politische Veränderungen nachzudenken. Auf den Klappentexten von Ökoratgebern heißt es schließlich auch gern: »Wie sich Nachhaltigkeit mit spielerischer Leichtigkeit in den Alltag integrieren lässt«.4 Als wäre ein nachhaltiges Leben pipieinfach. Und ja, anfangs fühlt sich nachhaltiger zu leben auch leicht an. Einweg-Coffee-to-go-Becher durch wie-derverwendbare zu ersetzen, angebrochene Lebensmittel in Bienenwachspapier zu hüllen oder den Urlaub nach Brandenburg statt an die Costa Brava zu planen stärkt erst mal das ökologische Selbstbewusstsein. Wenn sich andere Menschen davon mitreißen lassen, noch besser. In meiner Mittagspause habe ich mir Essen zum Mitnehmen immer in eine Brotdose packen lassen, um den Verpackungsmüll zu sparen. Mittlerweile stehe ich längst nicht mehr allein mit Tupperdose in der Schlange vorm Suppenladen. So ein Effekt lässt sich nicht ausblenden. Doch nach einiger Zeit hat auch mich die Realität eingeholt. Leider steht im Supermarkt nicht nur Unverpacktes, leider habe ich nicht immer die Zeit, erst nach der absolut fairsten Variante für neue Schuhe zu suchen, leider weiß ich bei vielem nicht mehr, was nun tatsächlich die bessere Lösung ist. Ein Beispiel: Während wir dieses Buch schreiben, hat Oatly, eine der weltweit führenden Haferdrink-Marken, einen Deal mit Blackstone abgeschlossen. Ein Investor, der durch andere Geschäfte unter anderem dafür verantwortlich ist, dass Regenwald abgeholzt wird, und deren CEO zudem den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump unterstützt. Für die einen ist das Anlass, die schwedische Marke zu boykottieren. Schließlich steht der Deal in einem krassen Widerspruch zu dem, was das Unternehmen eigentlich verkauft, nämlich Gesundheit und Nachhaltigkeit.5 Andere wiederum – auch die Marke selbst – argumentieren, dass eben leider so das kapitalistische System funktioniere. Und wenn auf diese Weise Investor:innen dazu gebracht würden, nachhaltige Unternehmen zu unterstützen, sei das doch ein Erfolg. So die verkürzte Version. Die ganze Debatte spiegelt aber ein grundsätzliches Problem wider: Insbesondere wenn es um Nachhaltigkeit geht, gibt es nicht nur Schwarz und Weiß, Grün kann in mehreren Abstufungen daherkommen. Häufig werden verschiedene Faktoren gegeneinander aufgewogen oder ausgespielt. Wiegt der ökologische Vorteil von Hafermilch mehr als die moralischen Bedenken? Oder sollten derart wirtschaftende Unternehmen systematisch boykottiert werden? Letztlich muss das jede:r für sich selbst entscheiden. Diese Undurchsichtigkeit verlangt uns Konsument:innen ganz schön viel ab. Dann zu sehen, wie in derselben Welt mehr als offensichtlich umweltschädliche SUVs an mir vorbeifahren, macht die ganzen mühevollen Abwägungen aber gefühlt zunichte.
DAS SCHLECHTE GEWISSEN KAUFT MIT EIN
Je mehr wir über bestimmte Branchen und Produkte wissen, desto schwieriger wird es, sich »richtig« zu entscheiden. Vor ein paar Jahren habe ich (why not?) ein Buch über Zucker gelesen, das mich erst mal ziemlich ratlos zurückgelassen hat. Plötzlich erschien mir jedes Produkt im Supermarkt wie ein Produkt aus der Hölle, alles nur Verarsche, überall steckte deutlich mehr Süßzeug drin als vermutet. Zunächst wusste ich nicht so richtig damit umzugehen, lief frustriert durch die Gänge und genoss selbst das Essen im Restaurant kaum noch. Eine Freundin, der ich davon erzählte, schien sich nicht so sehr an den Fakten zu stören oder konnte sie ausblenden. Der Anspruch an mich selbst lag hier offensichtlich deutlich höher, obwohl wir uns beide in derselben Welt bewegten. Dabei konnte ich ihr Verhalten gut nachvollziehen: Sich in einer nicht zuckerfreien Welt zuckerfrei ernähren zu wollen ist nahezu utopisch. Warum sich also damit stressen? (An dieser Stelle: Respekt an alle, die es trotzdem schaffen!) Ein Bewusstsein für das Zucker-Problem ist gut, aber Askese auch nicht die Lösung. Ganz ausblenden kann ich die Tatsache im Alltag trotzdem nicht, das Bewusstsein verschwindet schließlich nicht. Eben dieses Gefühl lässt sich auf Konsumentscheidungen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit übertragen – wobei es sich hier nicht nur so anfühlt, als würde ich mir selbst schaden, wenn ich das Falsche kaufe, sondern gleich der ganzen Welt.
Umso beunruhigender, dass es anderen auch so schwerfällt, stets die nachhaltigste Entscheidung zu treffen. In einer Studie zum Umweltbewusstsein der Deutschen, die das Umweltbundesamt alle zwei Jahre durchführt, gaben 2018 zwar 64 Prozent an, Umwelt- und Klimaschutz als eine der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen anzusehen, und schätzten ihren Umweltaffekt und ihre Umweltkognition, also die emotionale Betroffenheit und die rationale Einschätzung, recht hoch ein (7,2 und 7,9 von zehn möglichen Punkten). Beim umweltbewussten Verhalten lag der Wert jedoch bei gerade einmal 4,6 Punkten.6
Wenn wir dann letztlich doch etwas kaufen, von dem wir definitiv wissen, dass es nicht die richtige Entscheidung ist (von manchen Medien verspielt »Öko-Fails« genannt7), meldet sich schnell das schlechte Gewissen. Mittlerweile ist dieses Gefühl offensichtlich so weitverbreitet, dass es gar einen eigenen Begriff wert ist: Eco Guilt oder Green Guilt, grüne Schuld. Sie spüren wir, wenn der Versuch, alles richtig machen zu wollen, scheitert – also eigentlich ständig. Selbst wenn wir uns aus unserer Sicht schon wirklich viel Mühe geben. Wenn wir wieder einmal merken, dass es einfach unfassbar schwer ist, als Einzelperson tatsächlich etwas zu bewirken, weil die konsumfreundliche Realität eben komplexer als unsere ökologischen Absichten ist. Wir verspüren dieses Gefühl, obwohl wir wissen, dass wahrscheinlich niemand alles richtig macht. Wie oft bin ich in Gesprächen über ethischen Konsum bei »Um wirklich nachhaltig zu leben, müssten wir irgendwo in einer Hütte im Wald leben und uns selbst versorgen« gelandet.8
Warum aber schaffen wir es trotz starker Absicht nicht, uns auch entsprechend dieser zu verhalten? In dem Zusammenhang