Great Green Thinking. Jennifer Hauwehde
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Mittlerweile bedienen sich allerlei Unternehmen Wörtern wie »grün« und »nachhaltig«. Wie lässt sich noch differenzieren, wer wirklich etwas verändern will oder wem es nur um Profit geht? Oder läuft es letztlich auf dasselbe hinaus?
Man muss die Frage mal umdrehen. Wenn Unternehmen wirklich mit einer ökologischen und sozial korrekten Produktion Profite machen, warum sollten sie irgendwas anderes machen? Sie machen aber keinen Profit mit einer sozial korrekten Produktion. Sie machen Profite, weil Arbeitskräfte in anderen Ländern billig, weil Rohstoffe billig sind. Seit der Kolonialzeit bedienen sich Unternehmen und die kapitalistische Gesellschaft überproportional stark an Ressourcen anderer Länder und schieben den Dreck dahin ab. Und das ist genau das, was zu Zerstörung führt. Blickt man in die Nachhaltigkeitsprogramme der Unternehmen, betreffen sie nie das Kerngeschäft. Es gibt ja Gründe, warum Unternehmen in Länder ausweichen, in denen Arbeiter:innen nicht oder wenig geschützt sind und es nur unzureichende Umweltschutzgesetze gibt. Sobald beispielsweise ein Land die Löhne in der Textilindustrie erhöht, wandern Unternehmen in ein billigeres Land ab. Die Lohnkosten an einem Turnschuh machen aktuell nämlich gerade mal zwei Prozent des Gesamtpreises aus.19
Dabei ist immer wieder die Rede von einer »Green Economy«.
Green Economy ist die politische Variante des Greenwashings, nämlich das Versprechen, dass durch grüne Technologien alles so bleiben kann, wie es ist. Man verlässt sich auf eine Technologie, rührt nicht an den Ursachen und richtet am Ende eher mehr Schäden an. Ich würde beispielsweise sagen, dass Elektromobilität durchaus ihre Berechtigung hat, aber es macht keinen Sinn, dass jedes Auto durch ein Elektroauto ersetzt wird. Elektro-SUVs, die mit einer 800-Kilo-Lithium-Batterie ausgestattet sind, verschärfen die Probleme sogar, weil noch mehr Rohstoffe gebraucht werden. Etwa Lithium, dessen Abbau für Umweltzerstörung und Landraub sorgt.
Wenn der Kapitalismus die Ursache für die Krise ist: Wie müsste sich das System ändern?
Dafür müsste man noch nicht mal die totale Revolution starten, es gibt auch innerhalb des herrschenden Systems immer Möglichkeiten, Dinge so anders zu machen, dass sie eine Transformation vorantreiben. Zum Beispiel bei der Verkehrswende: Laut einer aktuellen Untersuchung vom BUND Naturschutz können zwölf von 14 Regionalflughäfen nur überleben, weil sie so hoch subventioniert sind. Sonst würden sie rote Zahlen schreiben.20 Die braucht niemand. Die könnte man schließen und Windräder hinbauen, ohne dass Wälder abgeholzt werden müssten. Sowieso müssen solche umweltschädlichen Subventionen abgeschafft werden. Das wäre möglich, aber es fehlt der politische Wille. Genauso braucht es nicht viel Geld, um eine Stadt fahrrad- oder fußgängerfreundlich umzubauen. Die Alternativen sind also da. Eher müssen wir uns fragen: Wer verhindert sie? Wer hat Interesse daran, dass es bleibt, wie es ist?
Nach dem Interview mit Kathrin Hartmann bin ich einmal mehr erschlagen von all den Informationen und den komplexen Zusammenhängen von Armut, Gesellschaft, Klimawandel. Vielleicht, so Hartmann, mache es das aber auch ein bisschen einfacher: »Zu wissen, dass alles miteinander zusammenhängt und dass es möglich wäre, mit Veränderungen so vieles zu lösen, finde ich eher ermutigend.«
KATHRIN HARTMANN
Kathrin Hartmann, geboren 1972, studierte in Frankfurt am Main Kunstgeschichte, Philosophie und Skandinavistik. Sie war Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau und bei Neon. Ihre Bücher, darunter Wir müssen leider draußen bleiben und Die grüne Lüge, erregten große Aufmerksamkeit. Sie lebt und arbeitet in München.
WER IST NACHHALTIGKEIT – UND WER NICHT?
KAPITEL 2
»There is no shame in poverty, but there is guilt in wealth.« Moshtari
Hilal/@moshtarimoshtari
DAS MUSS MAN SICH ERST MAL LEISTEN KÖNNEN
Von Jennifer Hauwehde
Bis zu meinem 20. Lebensjahr habe ich – ohne es zu wissen – ausgesprochen nachhaltig gelebt, wenn man den Kriterien für einen individuell nachhaltigen Lebensstil folgt: Ich aß seit meinem 16. Lebensjahr vegetarisch, besaß nur wenige Kleidungsstücke, die sehr alt waren (und auch so aussahen, aber nicht auf die gute Art), kaufte mir wenige Dinge, lieh Bücher konsequent aus der Stadtbücherei aus, reiste so gut wie nie und flog genau ein einziges Mal. Trotzdem war ich nicht glücklich.
Wie kann das sein?
Mein erster Zugang zu Nachhaltigkeit als einem erstrebenswerten Lebenskonzept für mich und die Welt, die mich umgibt, fand unter anderem durch Bücher über Nachhaltigkeit statt, in denen saubere, weiße und aufgeräumte Welten in Wort und Bild dargestellt wurden: hohe Decken mit Stuck, Balkone mit geschmackvoll platziertem Grün, dezente Kingsize-Betten mit Leinenbettwäsche. Ich habe, trotz meiner Leistungsbesessenheit und meines Fleißes, bereits Erfahrung mit den menschenunwürdig mahlenden Mühlen des Sozialhilfesystems machen müssen und schrammte permanent gerade so an der Armutsgrenze vorbei (ohne Sicherheitsnetz). Ich fand mich in diesen Büchern nicht wieder.
Ich wusste, wie sich das Gefühl in der Schlange vor dem Schalter auf dem Arbeitsamt anfühlte, was es bedeutete, weder eine Waschmaschine noch das Geld für Waschsalons zu besitzen, hatte bisher nie in einem Taxi gesessen und fühlte mich ein paar Jahre zuvor wie eine Königin, als ich mir mit meinem ersten selbst verdienten Geld einen Trenchcoat für 40 Euro in einem Discount-Fashion-Store kaufte.
Besagtes Geld verdiente ich in einem Dönerimbiss, in dem ich Salat, Tomaten und Zwiebeln schnitt, Tische und Böden putzte. In den Pausen lernte ich für mein Abitur, auf meinen Unterlagen über Messenger-RNA sind Fettflecken. Den einzigen Lehrer, der irgendwann in einer Zwischennotenbesprechung meine Leistungen lobte und in demselben Atemzug fragte, was ich so trieb und wie es mir ging, werde ich nie vergessen. Er sagte, es mache ja schon einen Unterschied, vor welchem Hintergrund Dinge passierten.
WAS MAN SICH LEISTEN KÖNNEN MUSS