Great Green Thinking. Jennifer Hauwehde
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Davon, dass wir automatisch weniger konsumieren, je glücklicher wir sind, schreibt auch Manfred Folkers im Buch All you need is less, eine Mischung aus buddhistischen Beobachtungen und Denkanstößen für die Wirtschaft: »Wer sich […] dem Mehrungs- und Vergleichungsdruck entzieht, öffnet das Tor zur Zufriedenheit.«16 Obwohl viele Formulierungen in dem Werk sehr pathetisch rüberkommen, steckt in ihnen viel Wahres: Nur wer mit sich selbst im Reinen ist, wird keine Bestätigung durch Konsum suchen. Minimalist:innen werden an dieser Stelle vermutlich heftig nicken.
Dass weniger statt mehr für unser Wohlbefinden durchaus ausreicht, bestätigt auch eine Umfrage der ZEIT während der einschränkenden Coronamaßnahmen im Frühjahr 2020. Auf die Frage, was sie wirklich brauchen würden, um diese Zeit gut zu überstehen, antwortete eine Mehrheit: Sie hätten gemerkt, dass es ihnen auch gut geht, wenn sie nicht immerzu konsumieren.17
INTERVIEW MIT DER JOURNALISTIN KATHRIN HARTMANN
KAUF DICH FREI
Von Milena Zwerenz
Dein Kassenzettel ist ein Stimmzettel, heißt es trotzdem immer wieder. Die Idee der Konsumenten:innendemokratie ist ebenfalls dafür verantwortlich, dass wir am vermeintlich nachhaltigen Konsum festhalten. Doch wie viel hat unser Kaufverhalten tatsächlich mit ökologischer Wirksamkeit zu tun? Die Journalistin Kathrin Hartmann hat sich bereits in zahlreichen Büchern (Grüne Lüge, Grüner wird’s nicht) und zuvor im gleichnamigen Film The Green Lie (mit Regisseur Werner Boote) intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt. Wer bisher dachte, dass »ethischer Konsum« eine konventionelle Lösung sein könnte, wer Mode aus Ozeanplastik für eine geniale Idee hielt, der:die fühlt sich durch ihre Aussagen schnell ernüchtert. Auch wir haben uns beim Lesen mancher ihrer Interviews ertappt gefühlt. Sie zerstört die Illusion, dass wir durch »richtigen Konsum« die Welt verändern könnten, endgültig.
Vor dem Gespräch mit ihr bin ich ungewöhnlich aufgeregt, schließlich kennt sie sich hinter den Kulissen des Ökovorhangs bestens aus. Am Telefon spricht sie schnell und springt oft von einem Gedanken zum nächsten. Wie gut, dass ich mitschreibe.
Kathrin, für unser Buch versuchen wir herauszufinden, wie wir – entsprechend unserer Situation – nachhaltiger leben können.
Dabei fühlt sich der Begriff »Nachhaltigkeit« mittlerweile wie eine leere Hülle an. Was ist deiner Meinung nach das größte Missverständnis, wenn wir über »Nachhaltigkeit« sprechen?
Das stimmt, Nachhaltigkeit ist ein furchtbar schwammiger Begriff, der nichts Verbindliches bedeutet. Das ist vor allem problematisch, wenn es um die Industrie oder um Nachhaltigkeitsziele geht. Bei vielen Initiativen, bei denen Klima- oder Umweltschutz im Vordergrund steht, fällt der soziale Aspekt völlig hinten runter. Dabei sind gerade arme Menschen, auch in reichen Ländern, als Erstes von Umweltschäden, schlechter Luft und dem Klimawandel betroffen. Deswegen spreche ich lieber von ökologischer und sozialer Gerechtigkeit. Nachhaltigkeit ist außerdem zu einem Begriff verkommen, der einfach nur das hübschere Wort für Systemerhalt ist. Also dass wir alles so weitermachen wie bisher, aber in Grün. Das wird so nicht funktionieren.
Was heißt das konkret?
In der Klima- und Umweltdebatte werden das Soziale und Ökologische oft getrennt voneinander betrachtet, oder das Soziale wird gar nicht erst thematisiert. Selbst NGOs stellen das individuelle Handeln in den Mittelpunkt. Man soll CO2 reduzieren, bestimmte Dinge nicht mehr tun oder andere Sachen kaufen. Dadurch fühlen sich viele Leute von der Bewegung ausgeschlossen. Zu sagen, dass alle Leute Biolebensmittel kaufen sollen, ist für eine bestimmte Gesellschaftsschicht schlicht nicht möglich. Deshalb sollte es ein Ziel sein, dass niemand mehr beim Einkaufen darüber nachdenken muss, wie etwas produziert wurde, weil unsere Waren sowieso ökologisch und sozial gerecht hergestellt werden. Der finanzielle Aspekt darf keine Rolle spielen.
Gerade hält sich aber noch der Gedanke, dass wir durch die Wahl bestimmter Produkte zu Veränderung beitragen können. Warum fallen wir immer wieder auf die Idee der »Konsument:innendemokratie« rein?
Ein Grund ist, dass wir alle ständig ein schlechtes Gewissen beim Einkaufen haben. Denn wir wissen mehr und mehr, unter welchen Umständen die Produkte hergestellt werden, mit denen wir uns im Alltag umgeben. Wenn uns Firmen also sagen – denen natürlich klar ist, dass ihre Kund:innen mehr wissen als je zuvor –, wir könnten einfach so weiterkaufen, dann ist das sehr attraktiv. Es ist aber auch für die Politik ein einfacher Ausweg, die Schuld auf die Verbraucher:innen zu verlagern. Dann muss sie nichts regulieren. Das ist auch für die Unternehmen praktisch und profitabel. Sie verkaufen einen neuen Mehrwert, nennen wir es Nachhaltigkeit, CO2-neutral oder was auch immer. Auf der anderen Seite gibt es noch die Menschen, die sich dem Konsum bestimmter Produkte ganz entziehen. Aber auch bei dieser Form des Verzichts sind die Verantwortlichen letztlich fein raus. Als Konsument:in stellt man keine Forderungen. Nur Konsument:in zu sein, das ist eine wirtschaftliche Kategorie. Aber als Konsument:in besitzt man nur einen mehr oder weniger dicken Geldbeutel. Bürger:in dagegen ist eine gesellschaftliche Kategorie, als Bürger:in hat man Rechte und kann sich politisch engagieren.
Was würde also stattdessen etwas bewirken?
Zunächst darf man nicht unterschätzen, dass auch durch diese Konsumaufforderungen eine Menge von Wissen vermittelt wird: was Palmöl oder Sojaanbau anrichten, wo es Kinderarbeit gibt, wie Klamotten hergestellt werden. Aber ich bin der Meinung, dass man dieses Wissen noch viel mehr dazu nutzen muss, um Druck auf die Politik auszuüben. Wenn zum Beispiel, wie kürzlich in einer Umfrage, mehr als die Hälfte der Deutschen ein Lieferkettengesetz befürwortet, das Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auferlegen würde, dann kann die Regierung das nicht mehr ignorieren.18 Das ist der Punkt: Forderungen kann man besser stellen, wenn man sich zusammenschließt, als wenn man sich auf die individuelle Ebene zurückzieht und meint, man könne sich da irgendwie rauskaufen.
Wenn es eigentlich mehr gemeinschaftlichen Protest braucht, warum wird im Nachhaltigkeitsdiskurs das individuelle Verhalten so in den Mittelpunkt gerückt?
Das hat einerseits mit den vielen