Great Green Thinking. Jennifer Hauwehde

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Great Green Thinking - Jennifer Hauwehde

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Oft gehen Armut, Arbeitslosigkeit und materielle Deprivation miteinander einher: 23,5 Prozent der Arbeitslosen beschreiben sich selbst als materiell depriviert, während das nur auf 1,8 Prozent der Erwerbstätigen zutrifft (2018).34 Von Armut oder sozialer Ausgrenzung waren im Jahr 2018 rund 19 Prozent der Bevölkerung in Deutschland betroffen.35

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      In unserer Gesellschaft wird Armen die Möglichkeit genommen, sich über den Konsum von Dingen und Dienstleistungen eine Identität zu erwerben. Wie wir uns kleiden, was, wie viel und wann wir essen, in welchen Wohnungen wir mit welchen Gegenständen leben – all das sind Konsumentscheidungen, die wesentlich dazu beitragen, unsere Identität in Kommunikation mit der Außenwelt (mein Auto, meine Wohnung, meine vegane Sushi-Bowl) zusammenzupuzzeln und sich ihrer immer wieder neu zu vergewissern. Arme Menschen haben diese Möglichkeiten nicht oder nur sehr eingeschränkt: Sie definieren und identifizieren sich weniger selbst – sie werden vor allem definiert. Von dem, an dem sie überall nicht teilhaben können, und von denen, die genau darüber (moralische) Werturteile fällen.36

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      Dabei lebt keine andere Menschengruppe so nachhaltig wie Arme. Aus dem schlichten Grund, dass sie aufgrund mangelnder finanzieller Mittel wenig (neu) konsumieren können. Hingegen steigen mit dem Einkommen auch die Ausgabenanteile – nicht für die Bedürfnisse wie Ernährung oder Kleidung. Sondern für Bereiche wie Wohnen oder Verkehr: Für Letzteren wenden Haushalte der höchsten Einkommensklasse (ab 5.000 Euro Nettoeinkommen pro Monat) durchschnittlich mehr als achtmal so viel Geld auf als Haushalte mit niedrigerem Einkommen (1.500 Euro Nettoeinkommen pro Monat).37

      DER PLATZ AN DER SONNE IST SCHON BELEGT

      Viele Menschen haben kein ausgeprägtes Gespür dafür, wo sie selbst sozial stehen (sie schätzen sich zum Beispiel der Mittelklasse zugehörig ein, obwohl sie faktisch an der Armutsgrenze leben, oder betrachten sich als deutlich weniger wohlhabend, als es tatsächlich der Fall ist). Sie haben dafür eine umso genauere Vorstellung davon, wo sie nicht stehen wollen: nämlich unten. 2018 gaben rund 47 Prozent der Deutschen an, dass die Aussage »Ich befürchte, meinen Lebensstandard nicht dauerhaft halten zu können«, auf sie zutrifft.38 Das Problem mit Ressourcen ist aber nun, dass sie nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Das gilt auch und gerade für Geld im kapitalistischen System: Wenn immer mehr Einzelpersonen immer weniger globalen Reichtum auf sich vereinen, wird der Kampf um die sich reduzierenden Plätze an der Sonne rauer.

      NOCH EINE ERINNERUNG

      Im Jahr 2019 besaßen 0,9 Prozent der Weltbevölkerung 43,9 Prozent des globalen Vermögens. Über die Hälfte der Menschheit (56,6 Prozent) besaß nur 1,8 Prozent davon.39 Der reichste Mensch der Welt war am 20. September 2020 der Amazon-Gründer Jeff Bezos mit einem geschätzten Vermögen von 175 Milliarden US-Dollar. Drei Tage später wuchs es auf 182,5 Milliarden US-Dollar an.40

      Anna Mayr beschreibt in Die Elenden die Funktion, die »Verelendete«, also perspektivlose und arme Menschen, innerhalb der Gesellschaft übernehmen: Man hält sie »den Arbeitern als verzerrenden Spiegel« vor, »um ihnen zu zeigen, wie sie enden, wenn sie sich nicht anstrengen«41. Die Armen und Abgehängten der Gesellschaft halten als unsichtbare Kraft die Arbeitenden in Schach – damit die wiederum arbeiten und arbeiten und arbeiten und sich für diese Schufterei zwischendurch mit spontanen Flugreisen für 15 Euro, der neuen Küchenmaschine oder Tüten voller Billigmode belohnen. Um danach vielleicht noch effizienter oder überhaupt weiterzufunktionieren.

      Global betrachtet, gehört jemand die:der in Deutschland einen Medianlohn von 2.500 Euro brutto verdient, allein lebt und netto davon 1.700 Euro übrig hat, zu den zehn Prozent der reichsten Menschen auf dem Planeten: Nur 5,7 Prozent der Menschen, die gerade leben, sind reicher.42 Im globalen Vergleich könnten wir uns also eine Menge leisten – haben aber vor allem angesichts steigender Mieten und allgemein hohen Lebenshaltungskosten nicht nur das Gefühl, dass unsere Kaufkraft immer weiter zurückgeht: Wir können von demselben Gehalt abzüglich Miete, Strom und anderen Fixkosten auch faktisch immer weniger erwerben.

      Tatsächlich nimmt die durchschnittliche Kaufkraft pro Einwohner:in in Deutschland stetig zu: Im Jahr 2019 lag sie bei knapp 24.000 Euro. Jetzt kommt das große Aber: Davon müssen noch die Ausgaben für Lebenshaltungskosten, Versicherungen, Miete und Nebenkosten sowie Heizung, Strom, Bekleidung oder Sparen abgezogen werden. Gleichzeitig zeigt ein Blick auf die langfristige Entwicklung von Haushaltsausgaben, dass seit den 1980er-Jahren ein immer größerer Anteil des Einkommens für Miete, Wasser, Strom und Gas aufgewendet werden muss: 1993 gaben die 20 Prozent der Bevölkerung mit dem niedrigsten Einkommen noch 27 Prozent ihres Nettohaushaltseinkommens fürs Wohnen aus – im Jahr 2013 waren es bereits 39 Prozent.

      Bei allen Bevölkerungsgruppen, außer den oberen 20 Prozent, lässt sich in diesem Zeitraum ein Zuwachs der Wohnkosten feststellen. Die Einkommen der unteren 40 Prozent der Bevölkerung konnten nicht mit diesem Anstieg mithalten – in der Folge gingen die Ausgaben für sonstigen Konsum zurück: Bei den einkommensschwächsten 20 Prozent der Bevölkerung betrug der Anteil am Nettohaushaltseinkommen im Jahr 1993 72 Prozent und sank auf 63 Prozent im Jahr 2013.

      Das bedeutet auch, dass die Möglichkeit zum Sparen abgenommen hat: Immer mehr Menschen müssen sich verschulden, um ihren Lebensstandard zu halten, insbesondere in den unteren Schichten. Die einkommensstärksten Haushalte hingegen geben weniger für Wohnen aus und behalten ihren sonstigen Konsum weitgehend bei, konnten ihn sogar geringfügig steigern.43 Das hängt auch mit der Verfügbarkeit von Wohneigentum zusammen: Seit 1990 sind die Preise für Immobilien um über 112 Prozent angestiegen – und dieser Trend setzt sich fort. Die Konsequenz: Die unteren 50 Prozent besitzen nur 2,7 Prozent des Wohneigentums in Deutschland, den oberen zehn Prozent gehören fast 60 Prozent.44

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      Die Angst vor dem sozialen Abstieg ist für viele Menschen nicht erst seit der Coronapandemie erschreckend real – und Angst verleitet zu pessimistischen Verhaltensweisen.45 Sie sorgt dafür, dass wir vor allem an eines denken (müssen): uns selbst und unser Überleben. Nun bedeutet Überleben im sicheren Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht mehr, vor dem metaphorisch nun schon etwas strapazierten Säbelzahntiger wegzurennen. Überleben meint hier: würdevoll innerhalb einer Gesellschaft zu bestehen. Und das wird für immer mehr Menschen zu einer Herausforderung.

      »Angst lässt uns die Menschlichkeit der anderen vergessen, sie lässt uns in ihnen Feinde sehen. Genau deshalb ist sie so ein guter Motor für den Kapitalismus: Angst treibt Menschen an, immer mehr zu leisten, immer mehr zu kämpfen. Angst verhindert, dass wir Mitgefühl empfinden für diejenigen, die den Kampf verlieren.«46

      LET’S CHANGE THE NARRATIVE

      Zwischen den Jahren 1990 und 2015 haben sich die global ausgestoßenen klimaschädlichen Emissionen verdoppelt. Gerade als ich diese Zeilen tippe, erscheint der neue Oxfam-Bericht,47 der sich mit dieser Zeitspanne beschäftigt und fragt: Welche Einkommensgruppen stoßen wie viele CO2-Emissionen aus? Das Ergebnis ist nur unwesentlich überraschend.

      »In Deutschland waren die reichsten zehn Prozent (8,3 Millionen Menschen) im Jahr 2015 für mehr CO2-Ausstoß verantwortlich als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung (41,3 Millionen Menschen). Von den Gesamtemissionen seit 1990, für die die deutsche Bevölkerung verantwortlich ist, gehen 26 Prozent auf das Konto der reichsten zehn Prozent; die gesamte ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung ist

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