Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts. Marcel Köppli

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Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts - Marcel Köppli Basler und Berner Studien zur historischen Theologie (BBSHT)

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Haltungen der SABBK favorisierte, blieben allerdings bislang weitgehend unbeantwortete Fragen.

      Von zentraler Bedeutung für die Darstellung des gegenwärtigen Forschungsstandes ist aber nicht allein diejenige Forschung, in welcher der SABBK explizit diskutiert wird. Es gilt auch nach dem gegenwärtigen Stand der Erforschung des sozialen Protestantismus, insbesondere der Inneren Mission und Johann Hinrich Wichern (1808–1881), zu fragen. Vereinfachend sieht Jochen-Christoph Kaiser drei Phasen: «Eine herkömmliche Sichtweise, die noch heute nachwirkt, eine revisionistische, die mit dem Aufbruch der 1968er Jahre verknüpft ist, und eine noch vergleichsweise junge, die seit etwa 15 Jahren zu diesen Fragen arbeitet und die Methodenvielfalt der Sozial-, Religions- und Kirchengeschichte integrieren will».8 Die «revisionistische» Phase macht Kaiser in der Forschung um den Bochumer Sozialethiker Günter Brakelmann aus. In dieser Phase sei herausgearbeitet worden, dass das reaktionäre und antidemokratische Politikverständnis des Protestantismus «letztlich für das Scheitern des Protestantismus vor den Herausforderungen der sozialen Frage mit verantwortlich gewesen sei».9 In der dritten Phase beobachtet Kaiser eine Wegbewegung von den «Revisionisten». Er schreibt zu dieser jüngsten Phase: Sie «entdeckt das innovative Handlungspotential Wicherns für die Entfaltung des sozialen Protestantismus und seiner gesellschaftlichen Wirkungen wieder neu. Sie argumentiert nicht auf der Folie von heute aus wünschbarer Entwicklungen, sondern nimmt zeitgenössische Aussagen ernst und ordnet die Quellen in ein gesellschafts- respektive kulturgeschichtliches Gesamttableau ein».10 Stephan Sturms Forschung zu Wichern kann dieser jüngsten Phase zugeordnet und soll hier als Beispiel angeführt werden. In seiner Dissertation betont Sturm vehement, die Innere Mission habe zeitgemäss und adäquat auf die soziale Frage reagiert. Gerade in Bezug auf die Zeit der |15| Bonner Konferenz kommt Sturm zu einer äusserst positiven Einschätzung der Inneren Mission: «Die Analyse der in der einschlägigen Forschungsliteratur häufig nur sporadisch oder gar nicht berücksichtigten Spätphase der Wichernschen Wirksamkeit zeigt darüber hinaus deutlich, dass Wichern die Spezifika der Industrialisierung durchaus erkannt und die Arbeiterfrage zu einem eigenständigen Thema der Inneren Mission erhoben hat.»11

      Die vorliegende Arbeit knüpft an Brakelmanns Forschung, also gemäss Kaiser an die zweite Phase an, indem einerseits nämlich gewürdigt wird, dass der SABBK mit seiner sozialpatriarchalen, sozialdiakonischen und ansatzweise sozialkonservativen Haltung die soziale Frage als Problem erkannte. Zudem wird auch – wiederum im Anschluss an Brakelmann – kritisch davon ausgegangen, dass in der Inneren Mission die sozialpolitische Dimension der sozialen Frage nicht genügend erkannt wurde, da ihre Vorschläge sich an einem veralteten patriarchalischen Gesellschaftsmodell orientierten und deshalb die grundlegenden Veränderungen der Industrialisierung unberücksichtigt blieben. Ob die jüngste Phase und insbesondere Sturms Forschung tatsächlich wesentlich neue und nachvollziehbare Aspekte in die Diskussion eingebracht hat, soll schliesslich am Ende der Untersuchung diskutiert werden.12

      Die vorliegende Arbeit schliesst in mancherlei Hinsicht an die Forschungstradition an, die unter dem Begriff «sozialer Protestantismus» zusammengefasst wird. Dabei umschreibt der soziale Protestantismus «die Vielzahl derjenigen Initiativen des neuzeitlichen Protestantismus, welche die seit den Prozessen der Industrialisierung und Demokratisierung erforderliche Neuorientierung der sozialen Gestaltung sowohl theoretisch wie auch praktisch in Angriff genommen haben. Waren es im 19. Jahrhundert zunächst Einzelne und freie Verbände, die sich dieser Aufgabe gestellt haben, wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts [des 20. Jahrhunderts] die Bedeutung und Berechtigung dieses Arbeitsfeldes von der verfassten Kirche anerkannt und schliesslich auch unterstützt.»13 In diesem Sinn soll in dieser Untersuchung danach gefragt werden, |16| wie der SABBK und die assoziierten Unternehmer theoretisch und praktisch auf die Industrialisierung und teilweise auch auf die Demokratisierung reagiert haben und welche Lösungsansätze sie propagierten und umzusetzen versuchten. Im Zentrum steht insbesondere die Frage nach den sozialpolitischen Haltungen der involvierten Unternehmer.

      Der Aufbau der Arbeit spiegelt die Ziele der Untersuchung wieder, indem nämlich eine historische Rekonstruktion der Entstehung des SABBK und eine sozialpolitische Charakterisierung der involvierten Unternehmer angestrebt und diese mit der Auseinandersetzung des schweizerischen Protestantismus und der Inneren Mission mit der sozialen Frage in Verbindung gebracht wird.

      Das vorliegende 1. Kapitel bot nach einer Zusammenfassung vorerst einen Überblick über die Ziele der Untersuchung und die These. Daran schloss eine Einführung in den Forschungsstand an, worin insbesondere auch die verschiedenen Phasen der Erforschung des sozialen Protestantismus genannt wurden. Des Weiteren wurde die Forschungstradition und die Methode sowie der Aufbau der Arbeit vorgestellt und schliesslich werden die benutzten Quellen diskutiert.

      Im folgenden 2. Kapitel wird die Auseinandersetzung des schweizerischen Protestantismus mit der sozialen Frage im 19. Jahrhundert dargestellt.

      Das 3. Kapitel gibt einen Überblick über die Forschungsergebnisse, die bereits zum Thema «christliche Unternehmer» existieren. Es beinhaltet ebenfalls die Diskussion der möglichen Gründe, die zur intensivierten Erforschung des Verhältnisses von Religion und Wirtschaft, insbesondere auch der Analyse christlicher Unternehmer, geführt haben. Ferner wird erörtert, welche Definitionen christlicher Unternehmer in der Forschung gegeben worden sind.

      Hieran anschliessend schildert das 4. Kapitel, welche Impulse zur Aus­einandersetzung mit der sozialen Frage von der Inneren Mission kamen. Es zeigt, wie protestantische Unternehmer innerhalb der Inneren Mission zusammenfanden, um die soziale Frage gemeinsam zu analysieren und Lösungsstrategien zu deren Überwindung zu entwickeln. Auch die zentrale Rolle, die der Basler Karl Sarasin am Kongress für Innere Mission in Stuttgart (1869) sowie später auch an der Bonner Konferenz und im SABBK spielte, soll näher ausgeführt werden. Zudem wird jedes einzelne Mitglied des SABBK kurz porträtiert, |17| indem insbesondere seine Haltung zur sozialen Frage beleuchtet wird. Es soll aufgezeigt werden, welche sozialpolitischen Haltungen die Unternehmer des SABBK vertraten und die Frage beantwortet werden, ob über die gängige Auseinandersetzung der Inneren Mission mit der sozialen Frage hinausgehende Konzepte propagiert wurden.

      Das 5. Kapitel wendet sich dem Porträt des Basler Unternehmers und Politikers Karl Sarasin zu, wobei seine Haltung gegenüber der sozialen Frage besonders ausführlich thematisiert und insbesondere nach seinem gelebten Patriarchalismus und nach seinem Konzept der «Christianisierung der Industrie» gefragt wird. Sarasin wird darin vor dem Hintergrund des «Frommen Basel» gezeichnet und seine sozialdiakonischen und betriebspatriarchalen Initiativen werden ausführlich diskutiert. Um Sarasins praktischen Umgang mit der sozialen Frage zu illustrieren, wird beispielhaft diskutiert, wie er in seiner Fabrik sowie in Politik, Gesellschaft und Kirche konkret auf die soziale Frage reagierte.

      Das 6. Kapitel porträtiert mit Johann Caspar Brunner und Henri DuPasquier zwei weitere protestantische Unternehmer und Mitglieder des SABBK sowie ihre Auseinandersetzung mit der sozialen Frage und der Sozialpolitik. Dazu wird insbesondere nach Gemeinsamkeiten der beiden Unternehmer mit Sarasin und Unterschiede zu ihm gefragt. Zusätzlich stellt das Kapitel mit dem Nationalökonomen Victor Böhmert das zweitwichtigste Mitglied des SABBK und einen zentralen und originellen Vertreter des sozialen Kulturprotestantismus vor. Anhand des Vergleichs von Sarasin mit diesen drei Persönlichkeiten soll gleichzeitig die Frage beantwortet werden, wieso sich der SABBK kurze Zeit nach seiner Gründung bereits wieder auflöste.

      Im 7. Kapitel sollen die Resultate und Erkenntnisse in einer Schlussbetrachtung reflektiert und in den grösseren Zusammenhang gestellt werden. Dabei wird die Bedeutung der Ergebnisse für den Forschungsstand aufgezeigt, die Ausgangsthese diskutiert und nach dem Forschungsdesiderat gefragt. Zuletzt sollen schliesslich Anschlussmöglichkeiten an die Ergebnisse aufgezeigt werden.

      Im Anhang wird eine Quelle ediert, die Aufschluss über die Auseinandersetzung des «Frommen Basel»,

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