Red House. Andreas Bahlmann

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Red House - Andreas Bahlmann

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auf mich – wie die Kirche neben meiner alten Volksschule. In den Gängen roch es nach Farbe und Bohnerwachs, der Klassenlehrer war streng und ich musste neben einem Jungen in der letzten Reihe sitzen, den ich ziemlich doof fand. Eigentlich wollte ich mit meinem Cousin, dem kleinen Bruder meines älteren Cousins mit der guten Musik, an einem Tisch sitzen, aber wir wurden bereits nach einer Viertelstunde in der ersten Unterrichtsstunde an dieser blöden, stinkenden Schule mit einem gestrengen: »Das geht nicht gut mit Euch!« auseinandergesetzt. Dabei sollte es eigentlich auch während der ganzen Schulzeit bleiben, wir saßen nie lange zusammen und wenn, dann als Belohnung für irgendeine schulische Leistung und das auch immer auf Bewährung, die wir schnell verwirkten.

      Ich fehlte während der ersten Zeit in dieser ungeliebten Auslagerschule einige Wochen, weil ich nicht hingehen mochte und immer Bauchschmerzen oder sonst was hatte.

      Das war bestimmt keine einfache Zeit für meine Eltern, aber sie mussten ja auch nicht dorthin.

      Als es dann endlich soweit war und wir endgültig Anfang der Siebziger in das richtige Schulgebäude einzogen, lag unser Klassenraum gegenüber einer Klasse der »Großen«, eine zehnte oder elfte Klasse. Die Mädchen sahen schon aus wie richtige Frauen und die Jungs grinsten viel, waren frech, manchmal auch unverschämt gegenüber den Lehrern und machten ständig irgendwelche Witze. Die meisten von ihnen trugen lange Haare und Jeans. Einer lief sogar immer in einer braunen Fransen-Lederjacke herum. Ein schlaksiger Typ, mit langen, etwas staksig wirkenden Beinen, leicht fettigen, langen Haaren und einem Dauergrinsen im Gesicht. Er war eigentlich an jedem Mist oder Streich beteiligt. Nach dem Ende des Schuljahres war er aber verschwunden – keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Die erste Schulwoche hier startete jedoch für mich auch wieder rumpelig. Unser neuer Klassenlehrer betrat morgens das Klassenzimmer und nach der Begrüßung im Stehen wollte ich mich auf meinen Stuhl setzen, als mir mein Hintermann einfach so schmerzhaft in den Rücken kniff. Ich drehte mich reflexartig um und boxte ihm auf den Arm. Das – und natürlich nur das (!) – sah der Lehrer und ich musste vor die Tür, wo ich dann wütend im Flur stand.

      Ich fühlte mich unschuldig, hatte mich doch nur gewehrt, es war Notwehr gewesen, Notwehr im Reflex, aber Petzen ging ja gar nicht!

      Die gegenüberliegende Klassenzimmertür öffnete sich und einer der großen Schüler, der mit der Fransenjacke, kam grinsend zu mir. »Na, Kleiner? Bist du rausgeflogen, weil du Mist gemacht hast?« Ich war immer noch wütend, aber auch etwas kleinlaut und schilderte, den Tränen nahe, die Situation, die zu meinem Rausschmiss geführt hatte. Fransenjacke meinte daraufhin: »Ooch, ist doch gar nicht so schlimm …Du gehst nach der Stunde am besten zum Lehrer, entschuldigst dich und alles ist wieder in Ordnung …« – Ich war entrüstet: »Entschuldigen? Ich? Ich hatte doch gar nicht angefangen! Ich entschuldige mich doch nicht dafür, wenn ich im Recht war!«

      Fransenjacke lachte und meinte: »Du bist in Ordnung, Kleiner … und du hast ja Recht. Mach's halt das nächste Mal besser und lass dich nicht wieder erwischen …!«

      Das tat gut und ich fühlte mich auf einmal viel besser und vor allen Dingen größer!

      Ich fühlte mich nicht nur, sondern wurde auch größer und die Musik, meine Musik, die ich hörte und hören wollte, bedeutete oft zu Hause viel Unruhe und nicht nur manchmal nervige Auseinandersetzungen.

      Auch die unterschiedlichen Generationswünsche zur Haarlänge und Kleidung passten hervorragend in die Auseinandersetzungen. Lange Haare besaßen in der Welt der Erwachsenen ja eher den Status eines Gammlers, aber ich fand lange Haare gut. Es war nur nicht so einfach, sie länger wachsen zu lassen, wenn einen zu Hause der elterliche Widerstand oder auch mal die Haarschere der Mutter traf (»… nur 'n bisschen, damit es nicht so verboten aussieht …«) und alles musste wieder von vorne losgehen. Als ich dann eines Tages den ersten Soldaten in Uniform mit langen, schulterlangen Haaren und Barett auf dem Kopf vorbeilaufen sah, wirkte es schon höchst merkwürdig auf mich.

      Militär, Uniform und lange Haare passen irgendwie nicht wirklich zusammen.

      Jeans, von uns damals eigentlich immer »Nietenhosen« genannt, waren in den Augen meiner Eltern damals die Hosen der Hippies, Rocker, Beatles (so wurden die Langhaarigen bezeichnet) und Gammler – und als solche erstmal ein Tabu für mich.

      Wie glücklich war ich, als ich mit elf Jahren zusammen mit meinem Opa in die Stadt ging und mir eine Cordhose (altrosa) und eine blaue Cordjacke (Jeansjackenschnitt) aussuchen durfte.. »Du siehst aus wie ein Kanarienvogel,« war der kopfschüttelnde Kommentar meines Opas, aber mir war das egal und ich war glücklich damit, auch wenn ich immer noch keine Nietenhose tragen durfte. Mittlerweile hatte ich angefangen, mir mit dem Verteilen neuer und dem Einsammeln alter Adressbücher, die von einem ortsansässigen, großen Verlag herausgegeben wurden, etwas Geld zu verdienen.

      Immer wieder kam ich in der Innenstadt am kleinen, etwas versteckt liegenden Musikgeschäft »Tebben« vorbei und blieb sehnsüchtig vor dem Schaufenster, mit der Westerngitarre in der Ecke, stehen.

      Es hat lange gedauert, aber schließlich hatte ich genügend Geld zusammen, um mir die Western-Gitarre der Marke »Cimar« zu kaufen und mir das Gitarrespielen beizubringen. Mein Cousin spielte auch etwas Gitarre und ich hörte fortan nicht nur seine Platten, sondern schaute ihm auch auf die Finger, wann immer er auf der Gitarre spielte. Die damals 1974, aus dem Schaufenster erstandene Gitarre begleitet mich heute noch und ich liebe dieses Instrument sehr. Es war so, als ob sie im Schaufenster auf mich gewartet hatte.

      Musikalisch entwickelten sich die Zeiten für mich eigentlich immer besser: es liefen im Fernsehen der »Beatclub« oder auch Sendungen mit Alexis Corner oder John Pearse, in denen man Tips und Tricks fürs Gitarre spielen oder Musik machen bekam. Ich durfte zwar keine dieser Sendungen zu Hause sehen, aber die Eltern waren halt manchmal nicht da und ich durfte mich dann eben nicht beim heimlichen Fernsehen erwischen lassen oder ich schlief am besten gleich bei meinem Cousin und schaute da.

      Elterliche Abwesenheit erwies sich für mich als eine sehr nützliche Einrichtung, was das Abschalten von Sendungen oder den ungestörten Hörgenuss anging.

      Jetzt kann man sich natürlich fragen, wie das Hörerlebnis eines einzigen Gitarren-Intros eine derartige Wirkung oder Bedeutung für das weitere Leben haben kann.

      Nun, es ist nicht so, dass man sich danach völlig umgekrempelt, sozusagen innerlich auf »links gezogen« und erleuchtet, als ein neuer Mensch durchs Leben bewegt. Nein, dieses

      Gitarren-Intro von »Red House« war vielmehr ein Türöffner. Zugegeben, diese Tür war gigantisch, riesig und auch wohl schon vorhanden, aber sie musste halt erst einmal aufgestoßen werden …und ich hatte wohl den Moment und das Glück des sofort passenden, richtigen Schlüssels erlebt.

      Die Magie dieser Musik, die Magie des Blues weckte einfach eine unbändige Neugier und das Interesse nach »noch viel mehr«. Vielleicht hatten ja damals die »Bremer Gänse« des fiesen Herrn Jünter buchstäblich meine Ohren geöffnet.

      Heute, über vierzig, fast fünfzig Jahre später, weiß ich, wie sehr und entscheidend mich gerade »Red House« prägte.

      Es schärfte und lenkte meinen Blick auf die Wahrnehmung sozialer und politischer Missstände und Ungerechtigkeiten. Ich konnte nicht wegschauen und sah die entsetzlichen Bilder der hungernden, afrikanischen Kinder in Biafra, der wirklich unschuldigen, leidtragenden Opfer des grausamen Bürgerkrieges mit Nigeria. Sie schauten einen mit weit aufgerissenen, todgeweihten Augen an. Sie waren so jung, so klein und hatten vor Hunger und Angst die leeren Gesichter von Greisen. Ihre Bäuche waren dick aufgetrieben und hingen an ihren, bis auf die Knochen abgemagerten und ausgemergelten Körpern wie unförmige, zu stramm aufgeblasene Luftballone. In der Kirchen-Kollekte wurde für sie gesammelt und ich bekam immer etwas Geld in die Hand gedrückt, um auch etwas in den Spenden-Korb

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