Sohle Sieben. Jost Baum
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sohle Sieben - Jost Baum страница 3
Nichts schien den Fotografen mehr zu interessieren als die leidvolle Krankengeschichte seiner Mutter, bei der er, als Mittdreißiger, immer noch zur Untermiete wohnte.
Kurz vor der Ausfahrt Witten war die rechte Spur der A 44 schon etliche hundert Meter vor der Stelle gesperrt, an der der Unfall passiert sein mußte. Eddie hielt seinen Presseausweis hoch, und Rehnagel hupte wie wild, während sie auf dem Seitenstreifen im Schrittempo an den wartenden Autos vorbeirollten.
Rehnagel stoppte den Wagen hinter einem Löschzug der Feuerwehr und einem Streifenwagen, dessen Besatzung, zwei blasse, blonde Jungen, damit beschäftigt war, einerseits den Verkehr zu regeln und andererseits mit wichtiger Miene Protokoll zu führen.
»Hey, macht mal Platz für die Presse!« brüllte Schröder, ein stämmiger, untersetzter Mann in Gummistiefeln, auf dessen Kopf ein schwarzer Helm mit Nackenschutz thronte.
»Tach, Jablonski, da biste ja endlich!« begrüßte er Eddie mit Handschlag.
»Mensch, Schröder, alter Pyromane, den hat et aber ganz schön erwischt, wa?« entgegnete Eddie, der automatisch in die Rolle des engagierten Reporters fiel, als er das ausgebrannte Wrack des Autos sah, das mit offener Heckklappe im Straßengraben lag.
»Dat kannse wohl laut sagen! War mal nen Lada. Hat nen ausländisches Kennzeichen. Muß vonne Bahn abgekommen sein! Is dann anne Leitplanke vorbeigerasselt und hier innen Graben geplumpst. Hat wohl sofort Feuer gefangen! Der Fahrer hat jedenfalls ne Biege gemacht«, tönte Schröder, während er den Helm abnahm und sich mit dem Ärmel der Uniformjacke den Schweiß von der Stirn wischte.
»Wieso tragen die Kollegen da vorn so schmucke Ganzkörperkondome, und dat knatternde Ding in deren Hand, wat soll dat?« wollte Eddie wissen, wobei er auf die beiden Männer deutete, die sich vorsichtig an einem aktenkoffergroßen Metallzylinder zu schaffen machten.
»Mach dich nur lustig! Dat is todernst, wat hier passiert. Die Schutzanzüge sind direkt aus Tschernobyl importiert, oder waren et die Restbestände ausse NVA? Is ja auch egal! Dat Ding, wat son Krach macht, is nen Geigerzähler. Dat sacht uns, dat hier mehr Radioaktivität inne Luft is wie innem Schornstein von nem Kernkraftwerk!«
»Wieso Radioaktivität?« Jablonski stutzte. »Rehnagel, nimm mal besser das Tele, und geh nicht so nah ran!« ergänzte er das Resultat seiner Überlegungen.
»Der Tank is explodiert. Dabei is der Kofferraumdeckel aufgegangen. Da ham wir dat Ding entdeckt.«
»Sieht aus wie ne Waschmitteltrommel mit nem Blindenabzeichen drauf«, grinste Jablonski.
»Wat hamse dir eigentlich inne Schule beigebracht, oder hasse immer nur inne Nase gepopelt? Mensch Eddie, dat heißt: Achtung! Gefährliche Strahlung!«
»Und woher weißt du sowat?«
»Letztes Jahr haben wir son ähnliches Ding gefunden. Ich mußte danach auf Fortbildung, Wochenendseminar. Du weißt schon!«
»Schon klar: Saufen ohne Ende«, nickte Eddie, wobei er nach einer Zigarette fahndete.
»Laß die Fluppen bloß stecken, Jablonski, wir sind froh, daß wir den Brand gelöscht haben. Aber Eddie, mal im Ernst, ich weiß beim besten Willen nich, wat ich von der Sache halten soll. Eins steht jedenfalls fest: Ich hab verdammte Angst, dat da wat austritt, von dem wir keine Ahnung haben!«
»Na, da wird schon irgendeiner ne plausible Erklärung für haben. Stell dich mal für ein Foto mit Geigerzähler vor dem Kofferraum in Positur. Lächeln, Schröder! So is gut!«
Rehnagel drückte auf den Auslöser und begann dann sofort, den belichteten Film zurückzukurbeln. Für ihn war die Sache abgehakt. Er würde die Bilder entwickeln und sie auf Eddies Schreibtisch legen, bevor er sich auf den Heimweg in Mutters gute Stube machte.
Während Rehnagel fotografierte, hatte sich Jablonski wieder auf den Beifahrersitz des Käfers zurückgezogen und die Scheibe heruntergelassen.
»Mach dat ja publik, wat hier so allet auf den Straßen herumfährt. Dat geht nich nur die Feuerwehr wat an, dat sach ich dir!« hörte Jablonski mit halbem Ohr, als Rehnagel den VW beschleunigte und in den zweiten Gang schaltete.
Viertes Kapitel
Zwei Tage nachdem der Artikel über den mysteriösen Metallbehälter samt Fotos erschienen war, saß Jablonski vor seinem Schreibtisch in der Redaktion, spielte mit einer aufgebogenen Büroklammer, polkte ein paarmal zwischen den Zähnen nach den Resten seines Frühstücksbrötchens und lehnte sich entnervt zurück. Vor ihm lag eine Einladung zur Einweihung eines Feuerwehrschuppens. Den Termin für die Sitzung des Stadtrates, bei der über die Kürzung des Kulturetats beraten werden sollte, hatte er zwar notiert, aber in letzter Minute Kampmann auf's Auge drücken können, der schon jetzt unter der Last der Urlaubsvertretung für Pohlig zusammenzubrechen drohte. Einen Brief, der auf die Verleihung des Allergikerpreises, einer Art Gasmaske zum Pollenschutz, verwies, hatte er eher amüsiert zur Kenntnis genommen. Was ihm wirklich Sorgen bereitete, war das Schreiben, das in der Innentasche seines Jacketts steckte und ihm mitteilte, daß sein Führerschein wegen Trunkenheit eingezogen wurde und er zusätzlich eine beträchtliche Summe an die Kasse des Amtsgerichts zu überweisen hatte, deren Höhe ihm wirklich Kopfschmerzen bereitete. Sein Gehaltskonto war bereits mehrfach überzogen, die Miete fällig und die paar Mark, die er Hildesheimer abgeluchst hatte, längst ausgegeben.
Das Einzige, was ihn vielleicht wirklich für einige Wochen aus seiner mißlichen Finanzlage hätte retten können, wären ein, zwei Aufträge gewesen, die er nicht nur im Bochumer Stadtanzeiger, sondern auch in überregionalen Blättern, dann aber unter Pseudonym, veröffentlicht hätte. Daher kam ihm der Hochglanzprospekt, der da vor ihm lag, gerade recht. Ein Wissenschaftlerteam aus einem Geologen, zwei Chemikern und einem Physiker, ein gewisser Professor Hirschel, hatte angeblich ein Verfahren entwickelt, die Müllberge der Bundesrepublik in stillgelegten Kohlestollen verschwinden zu lassen. Gleichzeitig würden Arbeitsplätze geschaffen und nicht zuletzt der Umwelt ein Dienst erwiesen. Dieses aussichtsreiche Unterfangen wollte Professor Hirschel noch am selben Nachmittag dem staunenden Publikum im Hörsaal 21 der Ruhr-Universität präsentieren. Für den Abend lud man die Vertreter der Presse zu einem Empfang ins Hotel Haus Ruhrblick ein.
Jablonski griff zum Hörer, nachdem er sich eine Roth Händle angesteckt hatte, und ließ sich mit dem Chefredakteur des Brennpunkt verbinden, einer Zeitgeistpostille, deren Fast Food aus ein paar Statistiken, zwei, drei launigen Kommentaren und einem Interview bestand, die niemandem wirklich auf die Füße trat und deren Pseudolösungen kein halbwegs gescheiter Leser ernst nahm. Eddie hatte Glück. Tatsächlich ließ sich der Mann davon überzeugen, daß diese keimfreie Entsorgung des Mülls genau das Thema war, wonach sich sein Publikum bereits seit Wochen verzehrte.
Der Linienbus stoppte, die pneumatischen Türen öffneten sich, und Jablonski stolperte hinter einem hochgewachsenen Mädchen in Reithose ins Freie, das zielstrebig auf den Betonklotz zuging, der sich vor ihnen wie ein drohender Zeigefinger in den milchig-dunstigen Himmel reckte. Jablonski legte einen Schritt zu. Als er etwa in gleicher Höhe mit der blassen, blonden jungen Dame war, sprach er sie an, stutzte aber einen Moment, da er sich plötzlich nicht mehr sicher war, eine Studentin vor sich zu haben.
Das Mädchen musterte ihn mit dem abschätzenden Blick eines Pferdehändlers, klemmte sich die Collegemappe fester unter den Arm und erklärte ihm mit klarer, kalter Stimme den Weg, den er nehmen mußte, um den Hörsaal zu finden.
Erleichtert atmete Eddie auf, als er nach wenigen