Sohle Sieben. Jost Baum

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Sohle Sieben - Jost Baum

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war.

      Er folgte den orangen Pfeilen, die jemand vorsorglich angebracht hatte, bestieg einen Fahrstuhl, der ihn in die vierte Etage brachte, durchquerte einen von Neonlicht durchfluteten Gang und gelangte schließlich an eine breite, lindgrün lackierte Tür, hinter der sich der Hörsaal befand: Ein fensterloser, halbrunder Raum, in den eine Treppe hinabführte, von der rechts und links handtuchschmale Gänge abzweigten, in denen Klappstühle aufgestellt waren, die man mittels Stahlstreben miteinander verbunden hatte. An diese Stühle war jeweils ein Klapptischchen von der Größe eines Frühstücksbrettchens montiert.

      Jablonski klemmte sich auf einen der Stühle und klappte den Tisch herunter. Er prüfte mit einem kurzen Ruck die Haltbarkeit der Konstruktion, bevor er Kugelschreiber und Notizblock darauf ablegte. Dann harrte er der Dinge, die da kommen sollten. Während sich der Saal langsam füllte und einige Herren mit wichtigtuerischer Miene, mit grauen, aber modisch geschnittenen Anzügen in der ersten Reihe Platz nahmen, spürte Eddie einen ständigen Luftzug aus dem Metallschlitz, der direkt vor dem Klappmechanismus des Tischchens angebracht war. Schon nach einigen Minuten tränten seine Augen, und er wünschte, diese Bakterienschleuder ausschalten zu können.

      Ein langer, hochgewachsener Mann, Ende Fünfzig vielleicht, mit graumelierten Haaren und einem frisch gestutzten Schnauzbart, schritt gemächlich die Stufen zu einem Podest hinunter, auf dem ein Stehpult aufgestellt war, aus dem der Schwanenhals eines Mikrofons ragte.

      Wie auf Kommando erloschen die Deckenleuchten. Nur noch eine Art Notlicht glimmte zu Füßen des Pultes. Im selben Moment, in dem man das Knarzen des Mikrofons vernahm, projizierte der Strahl eines Diaprojektors ein grellbuntes Rechteck auf die Wand hinter dem Stehpult.

      Endlich, nach zwei, drei vergeblichen Anläufen, war das Plakat der Veranstaltung klar und deutlich über dem Kopf des Mannes zu sehen, der da vor dem Stehpult stand, einen Schluck Wasser trank und sein Auditorium begrüßte. Er hieße Professor Hirschel und wäre von einem Wissenschaftlerteam beauftragt worden, das Forschungsvorhaben vorzustellen.

      Das nächste Dia zeigte ein Kohlebergwerk im Schnitt. In den Zechen des Ruhrgebiets wäre Platz für 600.000 Tonnen Abfall. Derzeit probierte man, Filterstaub aus Müll- und Klärschlammverbrennungsanlagen in Silos zu pumpen, behauptete der gute Mann. Gleichzeitig war ein haushoher, runder Metallbehälter zu sehen. Hirschel fuhr fort: Mit Wasser, sowie einigen unerheblichen Zusatzstoffen, wollte man die gallertartige Masse verdicken, um sie dann durch eine Leitung in die ausgekohlten Lagerräume unter Tage zu pressen. Dies hätte zum einen den Vorteil, daß man Problemabfälle ökologisch einwandfrei für ewig und drei Tage einschließen könnte, wobei man zum anderen die Gesteinsmassen stabilisieren und somit Bergschäden verhindern würde. Professor Hirschel fingerte ein Taschentuch hervor, tupfte seine Stirn ab und trank einen Schluck Wasser, bevor er fortfuhr. Die Verklappung dieses Mülls würde der Betreibergesellschaft etwa 500 DM pro Tonne einbringen. Man müßte bedenken, daß man mit den 120.000 Tonnen Müll, die allein in Nordrhein-Westfalen anfielen, Hunderte von Arbeitsplätzen schaffen könnte, die ja in dieser krisengeschüttelten Region mehr als notwendig wären.

      Ein Finger reckte sich in der ersten Reihe vorsichtig in die Luft.

      »Ja, bitte!« schnaufte Hirschel, sichtlich irritiert.

      Ein Mann in Lederjacke und Jeans, mit Rauschebart und langer, zotteliger Mähne stand auf. Hauser wäre sein Name, er wäre Journalist bei den Ökonachrichten und hätte eine spezielle Frage zur Grundwasserproblematik.

      »Sie kenne ich doch«, fauchte Hirschel plötzlich lauter, als ihm offensichtlich lieb war. »Wollen Sie etwa nach wie vor behaupten, wir hätten die Wasserströme im Erdinnern falsch berechnet, oder was noch schlimmer wäre, gar nicht berücksichtigt?«

      »So ist es, Herr Hirschel, mir liegt ein Gutachten vor, das davon ausgeht, daß wir die giftigen Schlämme, ein paar Jahre, nachdem sie dort unten vergraben wurden, plötzlich im Trinkwasser haben.«

      »Sie müssen es ja wissen«, höhnte Hirschel und lachte. Er schien seine Unsicherheit bereits wieder überwunden zu haben. Etliche der Nadelstreifenanzugträger stimmten in sein Gelächter mit ein.

      1:0 für Hirschel, registrierte Jablonski, der seit geraumer Zeit einen gewaltigen Durst verspürte. Vielleicht konnte er Hauser, den er bereits von anderen Pressekonferenzen kannte, dazu überreden, ihn zu diesem Hotel zu karren. Vor seinem inneren Auge sah Eddie plötzlich ein überdimensionales Glas Fiegepils mit einer meterhohen Schaumkrone, von deren Spitze ein dünnes Rinnsal kalten Bieres auf den Deckel tropfte. Er wußte, daß dies genau der Moment war, vor dem ihn der Arzt in der Anstalt gewarnt hatte. Entsetzt sprang Eddie auf. Laut wie ein Donnerschlag klatschte der Sitz gegen die Rückenlehne. Es war Jablonski mehr als gleichgültig, daß seine Stuhlnachbarn wie Oberlehrer die Lippen spitzten, den Finger darauf legten und »Ruhe!« zischten. Eddie vergrub die Hände in den Hosentaschen, biß die Zähne zusammen und stapfte mit schweren Schritten die Treppe hinauf. Vor der Tür blickte er sich suchend um. Endlich entdeckte er den bis an den Rand gefüllten Ascher, vor dem sich bereits ein Grüppchen Unbeirrbarer eingefunden hatte und ein Rauchopfer darbrachte.

      Jablonski steckte sich eine Roth Händle an, inhalierte hastig mit tiefen Zügen und zählte bis zehn. Seine Hände zitterten, der Puls raste, und ihm wurde heiß wie bei einem Saunagang.

      Aufgeregt rannte er den Gang hinauf, Kehrtwende, wieder zurück und blieb dann vor dem verschmierten Fenster stehen, das einen Blick auf den Campus gestattete.

      Eine Gruppe junger Frauen, diesmal im Tennisdress, das Racket unter dem Arm und die Sporttasche in der Hand, öffnete die Tür, die zum Parkhausturm führte.

      Eddie hustete. Plötzlich mußte er lächeln, als er daran dachte, daß Uschi, seine Frau, vor zehn Jahren genauso unschuldig und naiv ausgesehen hatte wie diese jungen Dinger, die da mit ihrem von Papi gesponserten Cabrio zum Training fuhren. Jablonski wandte sich ab. Er schritt die Fensterfront entlang, die Arme hinter seinem Rücken verschränkt, den Blick starr auf die Spitzen seiner braunen Wildlederschuhe gerichtet. Er lehnte sich mit dem Rücken an die kalte Betonwand, schloß die Augen, atmete tief durch, fühlte den Widerstand des Steines an seinen Schulterblättern, entspannte sich und war sich dann sicher, daß er es diesmal geschafft hatte, trocken zu bleiben.

      Noch ehe er sich eine weitere Roth Händle anstecken konnte, öffnete sich die Hörsaaltür. Sie entließ die erregt diskutierende Schar der Männer aus den Vorstandsetagen, in der einen Hand den Diplomatenkoffer, die andere Hand tief in die Hosentasche des Maßanzuges vergraben. Hauser wirkte inmitten dieser geballten Aura von Seriosität wie ein Wesen von einem anderen Stern. Er grinste breit, als er Eddie bemerkte, und schritt auf ihn zu, wobei er ihm die Hand entgegenstreckte.

      »Eddie, schön, dich zu sehen. Welch ein Wunder! Ein Lebender unter all den Leichen.«

      Jablonski schüttelte die dargereichte Pranke, bevor er sich endlich die Zigarette ansteckte und einen tiefen Lungenzug nahm. »Gehst du noch zu diesem Abendessen?« begann Eddie unvermittelt.

      »Na klar, das laß ich mir nicht entgehen. Du mußt dem Gegner ins Auge blicken, wenn du ihn bekämpfen willst!«

      »Laß die Sprüche, Hauser, wir leben alle vom selben Aas! Also, was ist? Nimmst du mich mit?«

      »Bist du zu Fuß hier?« spottete Hauser. »Oder hast du extra ein Busticket geordert? Würde ich dir jedenfalls nicht zutrauen.«

      »Mein Auto ist in der Werkstatt, und da …«

      »Komm, Eddie, wer's glaubt, wird selig. Ich hab da ganz andere Sachen läuten hören. Die Buschtrommel berichtet jedenfalls, daß du eine Kur angetreten hast.«

      »Tja,

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