Und die Titanic fährt doch. Ulrich Land

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Und die Titanic fährt doch - Ulrich Land Mord und Nachschlag

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unter Beweis stellen wollen, je nachdem von welcher Seite sie entlohnt werden. Mal ganz zu schweigen von der Brut neunmalkluger Katastrophenreporter, Tratschpoeten, Groschenromanciers.

      Also!

      Nicht mal mehr vor Lightoller müsste ich noch gradestehn für meine Entscheidung. Ich meine, das war doch unverkennbar eben, wie sein rechtes Augenlid, wie das immer wieder ganz leicht, ganz kurz, aber zigmal hintereinander zuckte. Wie er mit seinen Zweifeln gekämpft hat, ob er noch auf meiner Seite stehen kann. Sich gefragt hat, wie er sich einrichten soll zwischen den Stühlen der Loyalität zu Captain und Reederei einerseits und der während der letzten Tage in der Offiziersmesse aufgefrischten, aber eigentlich schon Jahre zuvor angebahnten Freundschaft zum, sagen wir: Delinquenten andererseits.

      Natürlich hat Charles mein Handeln verstanden, hat vielleicht sogar begriffen, dass es die einzige Chance war, und hätte doch selber niemals so gehandelt. Wusste natürlich genau wie ich, dass in den vorderen Rumpfkammern etliche von den Leuten aus der Crew nichts ahnend in ihren Kojen lagen, Matrosen, Heizer und Trimmer. Hätte er nicht, hätte er nie übers Herz gebracht, deren Leben aufs Spiel zu setzen. Auch wenn er tausendmal gewusst hätte, dass das der einzige Weg wäre, um das Schiff und den Großteil der Passagiere zu retten. Die anstehenden Endlosdebatten mit Lightoller würde ich mir also auch mit einer schnellen Bewegung meines Zeigefingers sparen können.

      Also!

      Verdammt noch mal, ist so ‘n Revolver schwer! Bleischwer. Aber, mein Gott, ich werd doch noch ein Kilo Eisen bis zur Schläfe heben können! Und kalt, eiskalt, ist Eisen kalt!

      Ich … ich meine, vielleicht später. Geht ja später auch noch. Wer zwingt mich denn, wer hätte denn das Recht, mich zu zwingen, das jetzt, genau jetzt zu erledigen? Okay, friemel ich die Kugel einstweilen wieder raus. Leg den Revolver wieder aufs Regal, die Kugel – aufreizend wie sie ist – daneben. Soll mich das Metall doch anblitzen, angiften, anschreien! So leicht dreht ein Murdoch, Erster Offizier zur See, nicht bei. Nein, der stellt sich der Auseinandersetzung! Breitbeinig dastehend auf den Planken seines vermutlich letzten Schiffes.

      - . -

       6

      In der Mittagspause vor dem Crash, mir will beim besten Willen nicht einfallen, was wir da gegessen haben. Mit Lightoller, ich weiß, dass ich mit Lightoller in der Messe gesessen hab. Schräg vorne an dem begehrten Fenstertisch. Und ich weiß, dass wir übers Blaue Band geredet haben. Um nicht zu sagen: gestritten haben.

      »Nein«, sagte ich neunmalklug, »nein, ich persönlich, also wenn du mich persönlich fragst, mir ist es mit Verlaub schnurzegal, ob wir ein paar Minuten früher in New York auf der Matte stehen beziehungsweise am Ambrose-Feuerschiff unsere Ankunft betuten oder nicht.«

      »Aber?«

      »Aber weder ich noch du, keiner von uns hat hier das Sagen.«

      »Du willst sagen ...?«

      »Lieber Himmel, du weißt doch, was dieser lächerliche Wettstreit um die schnellste Überquerung des Teichs – seit, ja, seit wann eigentlich? Seit zwei, drei Jahrzehnten allemal –, was dieser Wettlauf für eine verrückte Bedeutung gewonnen hat. Sieht fast so aus, als würden Wohl und Wehe der Krone selbst und ganz Großbritanniens davon abhängen. Immerhin sind unsere Schiffe, was das ›Blaue Band‹ angeht, die unerreichten Champions.«

      »Prestige, Prestige! Weiß ich, brauchst du mir nicht zu erzählen«, brummte Lightoller.

      »Ich hab‘ das sofort gesehn, als Smith rauskam, aus dem Teesalon, wo er mit Ismay und unserm Werft-Lord gesessen hatte. Ich war ausdrücklich ausgeladen. Sämtliche Offiziere! Du auch, nur du hast es nicht mitbekommen. Die haben den Salon zum Chambre séparée gemacht. Nur die drei. ›Eine Art Strategiebesprechung‹, hatte der Alte mir gesagt, darum ginge es. Und wie er rauskommt, hat er diesen stieren Blick. Und da wusste ich: Der hat das ›Blue Ribbon of the Atlanic‹ im Visier. Wie ein Esel die Möhre, die vor seiner Nase an der Angel baumelt.«

      »Sind doch alles wüste Spekulationen! Wieso«, setzte Lightoller nach, »wieso wissen wir nichts davon? Warum sollte man uns das vorenthalten haben?«

      Ich blieb die Antwort einstweilen schuldig. Der Steward näherte sich soeben unserem Tisch und servierte den, ich schätze mal: dritten Gang. Wir strichen unsere Servietten auf dem Schoß glatt, nahmen Messer und Gabel in die Hand und beugten uns über die Teller. Unsere Blicke trafen sich. Lightollers Gabel mit dem fasrigen Stück Lammhüfte – richtig, Lammhüfte, Lammhüfte an Minzsauce, wobei wir, natürlich ohne es zu ahnen, so was wie die Vorkoster für eins der nächsten Erste-Klasse-Menüs waren –, Lightollers Gabel blieb in der Luft hängen.

      Ich bohrte ihm meinen Blick in die Augen. »Die Titanic ist doch für so eine Rekordfahrt technisch überhaupt nicht geeignet!«

      »Sag ich doch«, kam es von Lightoller, »also bitte!«

      »Ja. Und eigentlich gilt, wie du weißt, auch das Augenmerk der White Star schon längst nicht mehr Temporekorden, sondern Pünktlichkeit und Komfort. Und stattlichen Passagierzahlen.«

      »Du sagst es«, Lightoller grinste oberwasserglücklich, »wann war das, ‘90 oder so was, 1891/92, wenn mich nicht alles täuscht, da hat die Teutonic zum letzten Mal das ›Blaue Band‹ für die White Star Line geholt. Und anschließend hatten die auf gut Deutsch die Schnauze voll. Hat sich die Reedereidirektion aus diesem irrsinnig teuren Vergnügen zurückgezogen. Schluss mit der Jagd gegen die Zeit.«

      »Und ich sag dir: trotzdem! Wir sind trotzdem auf Kurs ›Blaues Band‹! Die müssen doch sehn, wie sie den Kahn wieder flottkriegen.«

      »Welchen?«

      »Na, die Reederei. Die Gerüchte dürften doch wohl nicht spurlos an dir vorübergegangen sein, dass die White Star kurz vorm Bankrott steht. Haben sich schon mit der Brittanic und der Olympic finanziell ordentlich überhoben, wie viel weniger hier mit diesem Äppelkahn. Und nicht mal die Jungfernfahrt jetzt ist ausgebucht: 1300 Passagiere zu wenig! Die müssen ganz dringend was an ihrem Image tun. Also versuchen sie‘s jetzt doch noch mal mit dem ›Blauen Band‹. Könnt‘ ich mir vorstellen. Auf jeden Fall: Smith. Der will das Ding holen. Ich hab‘ seinen Blick gesehn. Und Werft und Reederei, vorneweg natürlich Lord Pirrie und Ismay, kannst du Gift drauf nehmen, die würden nichts dagegen haben.«

      »Seit fünf Jahren, Will, das ist jetzt fünf Jahre her, wo genau diese beiden Herren der Schöpfung das neue Konzept ausgebrütet haben: neue Größenmaßstäbe unter Beibehaltung bewährter Technik.«

      »Stimmt auffallend. Woran du sehen magst, dass es nach wie vor um Rekorde geht. Vielleicht nicht mehr Geschwindigkeit, aber: größer, länger, schöner. Rekorde um der Rekorde Willen. Aber was in den Augen von Commodore Smith zu lesen war, als er von diesem konspirativen Treffen mit unsern beiden Leithammeln kam, das war eindeutig das Flirren der Geschwindigkeit. Ich meine, er heißt ja nicht von ungefähr der ›Sturmkönig‹, drosselt so gut wie nie die Geschwindigkeit wegen irgendwelcher Witterungsbedingungen. Kann durchaus sein, dass die drei Herren über die sieben Weltmeere beschlossen haben, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, also Größenrekord – der war unsrer Titanic ja nun mal gewiss, das hatten schon sämtliche Zeichentische versprochen – Größenrekord zu verbinden mit Geschwindigkeitsrekord!«

      »Aber das wäre ja mörderisch, diesen Riesenpott hier ständig am Limit fahren zu lassen. Noch dazu mitten im Eismeer.«

      »Wäre es, Lightoller, wäre es. Ist es!«

      Wir mussten die Lautstärke

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